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Reisen ohne Segel

2. Teil : Boliviens Altiplano
Schwerbeladene Indiofrauen und Schuhputzerjungen - zu Pferd, im Geländewagen und zu Fuss durch die Naturwunder - die Minen von Potosi, ein Alptraum - das grösste Folklorefest Boliviens - La Paz, ein übervölkerter Kessel - auf alten Inkapfaden - die gefährlichste Strasse der Welt - Titicacasee und Isla de Sol
Bericht vom 23. Oktober 2003
 


Schwerbeladene Indiofrauen und Schuhputzerjungen

Nach einem erlebnisreichen Monat in NW-Argentinien fährt der fast leere Bus am 20. August durch eine dürre, wüstenhafte Einöde Richtung bolivianische Grenze. Die rostigen Metallbrücken der alten Eisenbahnlinie sind teilweise eingestürzt. Ab und zu ein kleines Nest: Abra Pampa ist so eines: Ohne Bäume, kahl, braun, staubig. Wovon leben die Menschen hier bloss? Am Mittag erreichen wir La Quiaca, den argentinischen Grenzort. Es sei nicht weit bis zur Grenze. Also gehen wir zu Fuss. Und da sind wir in bester Gesellschaft: ein nicht aufhörender Strom an kleinen, schwerbeladenen Indios eilt der Grenze zu mit allen möglichen Waren auf dem Rücken, als wären sie auf der Flucht. Die Kisten, Säcke und Bündel müssen ja zum Teil unheimlich schwer sein! Wie schaffen die alten Frauen das bloss? Auch Kinder schleppen bereits zünftig.
Unzählige, schwerbepackte Indios tragen Waren über die offene Grenze von Argentinien nach Bolivien Sie alle möchten hier in Villazon die Schuhe von Hans putzen, um ein klein wenig Geld zu verdienen
An der Grenze müssen wir ein Einreiseformular ausfüllen und kriegen einen Stempel. Alles sehr unkompliziert. Im Prinzip ist die Grenze offen, denn der riesige Strom an Trägern passiert unkontrolliert das weit geöffnete Strassentor (ganz anders als zwischen Chile und Argentinien). Und schon sind wir mitten im quirligen, bolivianischen Grenzstädtchen Villazon, wo wir in die Welt der Hochland-Indios eintauchen: Düfte von fremdartigen Gewürzen steigen in unsere Nasen. Hier scheint jede einen kleinen Laden, eine fahrende Küche oder einen Strassenstand zu führen. Und wer nicht auf und an den Strassen handelt, hockt im kalten Markt dick vermummt in einem engen "Chruzli". Viele Frauen stricken oder nähen, während sie auf Kundinnen warten. Wir tauschen in einer der vielen Wechselstuben unsere argentinischen Pesos gegen Bolivianos. (Geldautomaten gibt es hier nicht.) Autos fahren fast keine, aber dafür gibt's in den Gassen viele Karren. Die Frauen, mit ihren langen, schwarzen Zöpfen und kecken Hüten, kleiden sich ausschliesslich in die typisch weiten, vielfachen Röcke - so dass sie häufig breiter als hoch ausschauen - und tragen die kleinen Kinder im bunten, gewobenen Rückentuch mit. Die Schuhputzjungen mit ihren stabilen Holzkistchen wollen Hans die Schuhe mehrfach putzen. Sie müssen mithelfen beim Geldverdienen. - O weh! Wenn wir nicht an einem Strassenstand etwas essen wollen, gibt's halt mittags "Pollo al spiedo" (Poulet vom Drehspiess) mit Pommes frites und abends in der Nachbarbeiz wieder .... Po....... Etwas anderes gibt's nicht - da können wir uns noch lange müde laufen und suchen - nur grosse und kleinere Portionen zur Auswahl und den Frittierölgestank inbegriffen! Dafür in jeder Beiz auf dem Riesenbildschirm ein anderer östlicher Action-Videofilm und unterschiedlich grosse Ansammlungen von Jungs und Männern, die gebannt durch den offenen Eingang starren. Nie ist auch nur eine einzige weibliche Person dabei! (Nicht dass sie sich nicht getrauen würden, die Mädchen und Frauen, nein, es fasziniert sie ganz einfach nicht. Wie das auch in Argentinien mit den kriegerischen Videospielen war: immer nur Knaben! Mädchen schrieben oder lasen im Internet. Das gibt mir schon zu denken! Aber eben belehrte mich Hans, dass nach neusten Erkenntnissen fast alles schon in den Genen programmiert sei - auch ob man glücklich durchs Leben gehe oder eben unzufrieden. Also, ihr lieben Männer, das ist ja wohl eine echte Entschuldigung, oder?) - Wir schlafen in einem unerwartet modernen, sehr schönen Hotelzimmer mit Blick auf den ruhigen Hauptplatz. (Der Preis ist fast unanständig billig für uns: umgerechnet etwa 15 SFR.) Am nächsten Tag bewegen wir uns in der morgendlichen Kälte wie die Indios fast lautlos. Wie viele Ballen und Gepäckstücke doch auf dieses Busdach gehievt und festgebunden werden müssen! Durch einsame, dürre, steinige Prärie rattert der Bus auf der Naturstrasse gegen das im NW gelegene Tupiza. Ab und zu kleine Häuschen aus Erdbausteinen mit Strohdächern, Ziegen, Schafe und etwa Lamas. Tut dieses wunderbare Licht, der tiefblaue Himmel und die Weite des Altiplanos doch meiner Seele gut!

Zu Pferd, im Geländewagen und zu Fuss durch die Naturwunder
Bunte Felsen und Schluchten künden das Kleinstädtchen Tupiza an. Welch ein Betrieb, herrscht da! Aha, heute ist der grosse Wochenmarkt, und da kommen die Indios von der ganzen Umgebung mit Käsen, Ziegen, Schafen, Korbwaren usw. um zu verkaufen und einzukaufen. Gegen Mittag steigen die meisten wieder in Kleinbusse oder hinten auf die Lastwagen, um mit ihren Errungenschaften den oft weiten Weg heimzureisen. Essstände mit ganzen Gerichten, "empanadas" (Fleischkrapfen) oder den feinen, scharf gefüllten Maisklössen (im Maisblatt gekocht) gibt's in Hülle und Fülle, ebenso fahrende Fruchtsaftpressen. Ich merke, dass ich Hunger habe. Im Gegensatz zu Hans mag ich es sehr, Maisklösse und Krapfen von den Ständen zu essen. - Im ganz neuen Teil des Hotel Mitru logieren wir sehr komfortabel. Für den Nachmittag habe ich einen Reitausflug von drei Stunden organisiert. Ruben, der Pferdejunge, führt uns zu drei gesattelten Hengsten: auf den grossen, braunen Lucero steigt Hans, ich auf den wunderschönen weiss-braunen Overo und der schwarze ist für Ruben. Lucero kennt den Weg zum Canon del Inca und will unbedingt die Führung übernehmen. Sobald mein Overo ihn überholen, oder auch nur auf gleiche Höhe vorrücken will, beginnt er das Gebiss zu fletschen und seinen Kopf gegen Overo zu schleudern, so dass dieser sich gleich wieder hinter ihn stellt und untergeben nachtrappt. Die steile Nachmittagssonne brennt in die baumlose Schlucht; doch einmal hoch zu Ross macht schon Spass, auch wenn wir beide keine geübten Reiter sind. Nach 1,5 Stunden erreichen wir den Eingang zum roten, engen Canon del Inca. Ruben wartet mit den Pferden und wir klettern zu Fuss in die sehr schmale, steile Schlucht. Rote, enorm hohe Felswände rahmen uns auf beiden Seiten ein. Immer wieder neue Überraschungen: etwas Wasser, plötzlich schilfähnliche Pflanzen, ja sogar ein Baum! Einfach berauschend! Wir würden gerne noch tiefer vordringen und die Schlucht noch lange auskundschaften, aber wir müssen umkehren, da ja Ruben und die Pferde auf uns warten.
Wir erkunden das geheimnisvolle Canon del Inca bei Tupiza Vielleicht gibt's doch noch einmal Reiter aus uns?
Am nächsten Morgen - nach einem hervorragenden "Müesli" mit frischen Früchten und Baumnüssen - wandern wir auf Schusters Rappen in den umliegenden Hügeln und Gebirgen. In der steinigen Einöde ist es heiss, doch wir werden mit einem Prachtsblick auf Tupiza und seine Umgebung belohnt.
Durch diese Landschaft ritten wir zum Canon del Inca
Zurück im Hotel kühle ich mich im kalten (ca.14°C) Wasser des Schwimmbades ab. Typisch fürs Altiplano sind die warmen bis heissen Tage und die kalten Nächte. - Am nächsten Morgen, dem 23. August, beginnt unsere viertägige Exkursion im Geländewagen von Tupiza aus ganz in den SW-Zipfel hinunter, der chilenischen Grenze entlang hoch in den Salar von Uyuni und schliesslich nach Uyuni. Die Exkursion wird von Tupiza Tours für 100 US$ pro Person angeboten, alles inbegriffen. Mit uns fahren ein junges holländisches und ein englisches Paar. Mit Javier haben wir das grosse Los gezogen: er ist nicht nur ein sehr guter, intelligenter Fahrer, sondern auch ein prima Führer, stets humorvoll, und ein geübter Koch. Federico, der eigentliche Koch, fährt zum ersten Mal auf eine Tour mit. Er ist erst 17 jährig, "estudiante al universidad" wie er sagt, lieb und anhänglich, aber eher beschränkt und unpraktisch. Ich bezweifle, ob ohne Javier je ein warmes Essen fertig geworden wäre! Wir fahren am ersten Tag über 220 km durch einsame Gebirge, wo ab und zu eine Zinn-Mine und in ihrer Nähe ein Lastwagen auftaucht, sonst kein Verkehr auf den kurvigen Schotterstrassen. Ich darf mit dem Esskorb vorne neben Javier sitzen und so vernehme ich viel: er kennt die einzelnen Kräuter und Sträucher in der Einöde und erklärt mir ihre Heilwirkungen. Von den feinblättrigen "Churques" z. Bsp. werde die Frucht "cholonka" als Potenzmittel gebraucht: "para hombres de mas de 50 anos", wie er lachend erklärt. Aber die Hochland-Indios kennen und gewinnen noch viel mehr Heilmittel: für Entzündungen, Magenbeschwerden, Kopfweh, zur Reinigung der Nieren, zur Behandlung von Prostatabeschwerden usw. Auf der Höhe von 4000 m oder mehr sehen wir auch viele grosse, moosähnliche Höcker - "yara" genannt - die mit dem riesigen Wurzelstock ausgegraben werden und als Brennmaterial dienen. Bäume gibt es natürlich auf dieser Höhe keine mehr. Gekocht und zugleich geheizt wird mit yara, die aber sehr langsam wachsen und eigentlich geschützt werden müssten. Nur, sobald die Sonne weg ist, wird es eisig kalt und der dauernde, starke Wind ist ebenfalls beissend; die Menschen in diesen hohen Einöden haben kein anderes Brennmaterial. "Wovon leben denn die Menschen in diesen unwirtlichen, kalten Höhen?" frage ich Javier. Er meint, von den Lamas und den Heilkräutern, die sie trocknen und verkaufen oder gegen Mais tauschen. - Gegen Abend kriegen wir auf der steinigen, einem Bachbett ähnlichen Strasse plötzlich Schlagseite. Das rechte Hinterrad hat einen Platten. Der Pneu weist einen grossen Schlitz auf. Javier kriecht unter das Auto und nach etwa 20 Minuten können wir mit dem profillosen Ersatzpneu weiterfahren. Ein weiteres Zusatzrad ist nicht vorhanden! Als wir gegen 18 Uhr in dem primitiven San Antonio ankommen, ist es sehr kalt und die Unterkunft wirklich "muy basico" wie uns angekündet wurde. Die Toilette liegt ziemlich oben, ein kleines Häuschen mit einem Loch im Erdboden. Die Dorfbewohner verrichten ihr Geschäft meist draussen irgendwo. Das Schlafhaus enthält einen unterteilten Raum mit acht mehr oder weniger schlechten Betten ohne Leintücher, nur mit Wolldecken und natürlich keinerlei Heizung. Doch vielleicht ist ja das Hüttchen, wo wir essen werden, etwas wärmer? Weit gefehlt! In eisiger Kälte und ohne Heizmöglichkeit sitzen wir in Fleecewäsche und Jacken, einige in Kappen und Handschuhen um den kleinen Holztisch, schlürfen heissen Tee und warten auf das Nachtessen. (In der Küche, wo Javier den mitgeführten Gaskocher installiert hat, ist es natürlich etwas wärmer, doch an diesem ersten Abend checke ich das irgendwie noch nicht... doch das wird sich ändern!) Beine und Füsse werden bald steif und wir müssen sehr lange aufs Essen warten. Endlich serviert Federico eine feine Gemüsesuppe, Rinds-Koteletts und Kartoffelstock. Javier eröffnet uns, dass wir morgen um 5 Uhr früh losfahren müssten, um rechtzeitig bei der Laguna Colorada einzutreffen und eine Unterkunft zu kriegen, denn es kämen dort einige Geländewagen aus Uyuni an....Wir sind paff! Aber unsere Exkursion sei doch geplant und für uns sicher reserviert worden.... Nein, meint Javier, es sei eben nicht möglich zu reservieren, da von dort keine Verbindung zur Aussenwelt bestehe und deshalb seien einfach die früher Ankommenden im Vorteil. Dazu werde es dort auf über 4000 m extrem kalt und ... Da erscheinen zwei Männer des Dorfes - einer ist der Lehrer - im kleinen Esshäuschen und bitten uns, doch etwas Geld zu spenden, damit für die Kinder ein Ball (für umgerechnet etwa 7 SFR) gekauft werden könne; die Buben würden so gerne Fussball spielen, hätten aber keinen Ball! Wir geben gerne ein paar Bolivianos, da wir die Armseligkeit des Dörfchens bei Ankunft erahnen konnten. Doch die beiden jungen Pärchen rücken nicht mit einem Batzen raus, was mich sehr enttäuscht - aber leider für Rucksacktouristen mit dem "Lonely Planet"-Führer nicht untypisch ist! Ich muss ihnen am nächsten Morgen meine Enttäuschung über ihr Verhalten kundtun. - Als wir zum Schlafhaus gehen, ist es weit unter Null Grad, der Himmel in der dunklen Einsamkeit einmalig klar mit einer hellen, deutlichen Milchstrasse. Javier flickt eben bei dürftigem Licht den aufgeschlitzten Pneu. Ich bin so arg durchgefroren, dass ich lange nicht einschlafen kann. Der liebe Röbbi hat mir zwar unseren Schlafsack gegeben, in dem ich nun in allen beiden Fleece-Pullovern liege und darüber türmen sich noch etwa vier Wolldecken. Und trotzdem wird mir nicht warm! Und morgen abend soll's noch kälter werden?! O weh, wir sind für solche Touren nicht ausgerüstet! Da wir uns ohne klare Reisepläne von CASIMU verabschiedeten, dachten wir natürlich auch nicht an solch extreme Temperaturen. Bolivien war nicht das Wunschland von Hans und so haben wir jetzt auch keinen Führer und konnten bisher in keiner lokalen Buchhandlung nur das geringste auftreiben. Ich kann allerdings ohne gut leben, Hans etwas weniger. - Dummerweise habe ich zuviel Tee getrunken und so müsste ich eigentlich raus in die Kälte. Lange zögere ich und überwinde mich schliesslich, aber nur bis vors Haus unter den freien Himmel. Grosse vorüberziehende schwarze Schatten erschrecken mich: Esel! Was macht denn ihr mitten in der Nacht? - Als wir um ein Viertel nach 5 die Rucksäcke aufs Dach laden, wird es schon langsam Tag. Im Auto ist es 15 Grad unter Null. Die Heizung funktioniert nicht und es zieht grausam kalt an die Beine und Füsse, die sich bald wie Eiszapfen anfühlen. Doch die Fahrt wird noch schöner als gestern und im klaren, sonnigen Morgen erreichen wir den höchsten Pass unserer Fahrt auf 5000 m. Die erste Lagune liegt unter uns. Und nun folgen wunderschöne, wüstenhafte Berge und Täler und immer wieder Lagunen von unterschiedlicher Farbe - in ein paar wird Borax abgebaut, in anderen "ulexina" (was ist das wohl?). Die armen Männer, die in dieser vom Wind gepeitschten, eisigen Kälte, ohne jeglichen Komfort und weit weg von ihren Lieben, für einen Hungerlohn arbeiten müssen! - Einige Lagunen gehören den sehr dekorativen Flamingos. Am Mittag erreichen wir die Laguna Blanca, wo ein ziemlich warmes - wenn auch nicht heisses - Schwefel-Thermalbecken liegt und wir uns ein bisschen aufwärmen können.
Die erste Lagune hoch oben auf dem Altiplano Tut das gut, ein bisschen Wärme in den Schwefelthermen bei der Laguna Blanca
Im Windschatten des Mäuerchens picknicken wir. In der Laguna Verde erscheint das Wasser grünlich, weil vom heftigen Wind die Schwefelteilchen aufgepeitscht würden, erklärt Javier. Bei den Geysiren riecht es - wie vermutlich am Eingang zur Hölle - nach beissendem Schwefel. Die Dämpfe sind warm bis heiss. Überall kocht der dünnere oder dickere Brei in grau, braun, rot Tönen. Oft spritzt er hoch, so wie wenn Maisbrei kocht. Hoffentlich gibt's keine plötzliche Eruption! Hans fotografiert und macht gelungene Filmexperimente die du dir unter "Motion Picture" auf unserer Homepage anschauen kannst!
Laguna verde: vom heftigen Wind werden die Schwefelteilchen im Wassser aufgewirbelt und färben die Lagune grünlich Javier, unser Fahrer: hier wie der Leibhaftige vor dem Eingang der Hölle
An der Laguna Colorada bekommen wir in einem kleinen Adobe-Hüttchen eine bescheidene Unterkunft mit einem 6er-Zimmer, einem Koch- und zugleich (warmen!) Schlafraum für Javier und Federico und einem WC, dessen Spülmöglichkeit aus dem Fass allerdings wegen gefrorenem Siphon nicht funktioniert. Also besser auch wieder aufs Freiluftklo. Wir spazieren bei beissend kaltem Wind bis Sonnenuntergang über die kahlen Hügel. Heute bin ich schlauer als gestern: ich geselle mich vor dem Abendessen zu unseren beiden Köchen in die Küche, wo der Holzherd und auch der Gaskocher von Javier wärmt, während es in unserem Schlaf- und zugleich Esszimmer kalt und unfreundlich ist. Zum Nachtessen spielt Jeron, der Holländer, Rolling Stones und Beatles Musik von seinem CD-Player. Viele Erinnerungen aus den idealistisch - engagierten Jahren 1966 - 68 steigen in mir auf. Die Nacht wird trotz enormer Kälte nicht so schlimm wie erwartet, und da wir alle viel weniger Tee getrunken haben, muss auch niemand in die Kälte raus! - Am Morgen früh begebe ich mich in den Kochraum, wo Javier eben die gefrorenen Eier im heissen Wasser auftaut, um uns ein Rührei mit Tomaten zuzubereiten. Die Besitzer der Unterkunft schneiden Lamafleisch in dünne Streifen und braten es dann mit Zwiebeln auf dem Holzherd.
Im warmen Kochraum bei der Laguna Colorada auf 4200 m Hinter unserem Gefährt die Luxus-Unterkunft auf 4200 m, Laguna Colorada
Heute fahren wir zuerst an die nahe Laguna Colorada, um im rotbraun schimmernden Wasser die Flamingos zu beobachten. Durch die Wüste Siloli führt keine eigentliche Piste, sondern eher ein für den Fahrer und die Mitfahrenden sehr anstrengendes Bachbett. Aber die prachtvollen Lagunen und Wüstengegenden entgelten die Strapazen. An der Laguna Hedionda begegnen wir ein paar Geländewagen aus Uyuni. Doch die vielen eleganten Flamingos mit ihrem dunklen orange-pinken Schwanzgefieder und ganz schwarzer "Fudispitze" lassen sich durch die fotografierenden Touristen nicht beirren.
Laguna Colorada mit den heimischen Flamingos Faszinierende Felsgebilde in der Wüste Siloli
Wir wohnen einem eindrücklichen Konzert mit verschiedenen Sopran- und Altstimmen bei. Die feingliedrigen Vögel leben anscheinend ganzjährig hier in der windigen, kalten Lagune und ernähren sich von den Algen. Wir fahren an merkwürdig erodierten Felsgebilden vorbei.
Die Wegbedingungen werden immer schlechter und unübersichtlicher, und ich möchte mich hier nicht alleine zurechtfinden müssen. An einem unwegsamen Abhang kommt uns ein geländegängiger Camper entgegen. Eine BE - Nummer! "Stop, por favor, Javier!" Ein kurzer Schwatz mit dem sympathischen Bernerpaar Marius und Fränzi - er fährt und sie navigiert mit dem Laptop auf den Knien. Seit 1,5 Jahren erkunden und besteigen sie die Vulkane von Alaska bis Südamerika. Wenn es dich interessiert, siehe unter www.volcanos.ms Schön, wieder einmal ein reines Berndeutsch zu hören! - Abends ist unsere Unterkunft im kleinen Nest San Juan schon fast luxuriös: sogar eine warme Gemeinschaftsdusche gibt's! Nach einem Besuch des kleinen aber feinen ethnologischen Museums marschieren wir bei Sonnenuntergang noch zu den historischen Rundhügelgräbern. Viele der Gräber sind offen, einige enthalten Schädel und Knochen und in einem sitzt eine etwas verrottete Mumie in Embryostellung und mit einem schwarzen Haarbüschel auf dem Kopf. Echt unheimlich bei einbrechender Nacht und kaltem Totenwind! - Abends helfe ich Javier und Federico die Spaghetti kochen. Javier bereitet eine feine Sauce "a la mamma" zu und erzählt mir, dass er zuhause auch wasche und putze, ja er könne auch bügeln. Seine Mutter habe Töchter und Söhne zu solchen Arbeiten angehalten. Auf jeden Fall hat Javier in diesen Tagen mehrmals bewiesen, dass er fast alles kann. - Strom gibt es hier von 19.00 bis 21.00 Uhr. Heute sind wir bereits im Bett bevor der Strom-Generator abgestellt wird, denn morgen früh geht's um 4 Uhr schon los, damit wir rechtzeitig zum Sonnenaufgang im Salar von Uyuni eintreffen. - Bei Kerzenlicht packen wir um 4 Uhr früh die Rucksäcke und bei eisiger Nacht fahren wir los in die unendlich erscheinende Nacht. Gegen 6 Uhr wird der Osthimmel blau, und nachdem wir zwei Kontrollstellen des Militärs passiert haben, erreichen wir die weisse Ebene des Salars von Uyuni. Mit erhöhter Geschwindigkeit fahren wir ziemlich genau nach Norden, die Sterne verblassen und nach und nach wird es heller. Vor uns liegen ein paar Inseln. Die nächste ist die Isla Pescado, die dunkel aus der weissen Fläche aufragt, und die wir noch vor Sonnenaufgang besteigen wollen. Ausser Atem - die Höhe ist für alle deutlich spürbar - erreichen wir den Gipfel vor 7 Uhr. Das Gebirgspanorama ist auch vor Sonnenaufgang wunderschön. Doch als kurz darauf die Sonne über die Berge guckt, sind wir wie verzaubert. Wären hier nicht Kakteen, wir wähnten uns in der Antarktis!
Sonnenaufgang in eisiger Kälte über dem Salar von Uyuni Zu Fuss macht es auch Spass!
Weit unten im Salar sehen wir einen Geländewagen und einen Camper. Und was entdecken wir nach dem Abstieg? Der Camper hat eine BE - Nummer! Innerhalb von 24 Stunden begegnen wir zwei Berner Pärchen! Tinu und Daniela aus Muri bei Bern sind ganz "z'friednegi" und auch ihnen empfehle ich die herrlichen Thermen von Fiambalà in Argentinien. Ihre homepage lautet http://home.tiscalinet.ch/flohtours2002 - Der Salar ist riesig und Javier gesteht uns, dass er sich am Anfang als Chauffeur hier bei schlechter Sicht zweimal verirrt hat. Doch jetzt im Winter ist es einmalig klar und Hans, Federico und ich gehen eine Strecke zu Fuss, bis uns das Auto wieder einholt. Wir besuchen das kleine Hotel, das ganz aus Salzquadern erbaut ist. Auch die Böden, Stühle und Tische sind aus Salz. Hier treffen wir auch einige Tagesausflügler, die aus dem nahen Uyuni kommen. Im eher charakterlosen Uyuni ist unsere Tour zu Ende. Nach dem Abschied wandern wir an viel Abfall vorbei zum Zugsfriedhof (cementero del tren) wo das technische Herz von Röbbi zeitweise höher schlägt. Doch bevor wir zu den schönen alten Lokomotiven -Gräbern kommen, müssen wir uns durch aber Tonnen Alteisen vorarbeiten. - Abends essen wir neben einem netten Italienerpärchen aus Siena. Er arbeitete als wissenschaftlicher Mediziner in Zusammenarbeit mit Bolivien und sie kam nur für eine Woche nachgereist. Sie wollten einen Ausflug zur Laguna Colorada machen und sie hatte das Hotelzimmer bereits in Italien gebucht und bezahlt. Die Reservation wurde ihr auch bestätigt. Nur, das Hotel existiert gar nicht - oder nicht mehr. Und so wurde nichts aus der Exkursion. (Wir haben die wenigen - für einen aus Europa anfliegenden Touristen kaum zumutbaren - Unterkünfte dort ja gesehen und erprobt!) Welch grässliches Gemisch aus Spanisch und Italienisch ich mit ihnen rede! - Am nächsten Morgen fährt uns der Bus nach Potosi, der früheren Silberstadt.

Die Minen von Potosi, ein Alptraum
Potosi hat in meinen Ohren einen zweideutigen Klang: aus der Geschichte "Ein Indio darf den Tag nicht verschlafen" weiss ich, dass Potosi früher dank der riesigen Silberminen eine reiche Stadt mit vielen schönen Kolonialbauten war. Ich erinnere mich aber auch, welch armseliges Leben die Minenarbeiter hatten, aber dass es halt fast die einzige Arbeitsmöglichkeit war. Und dass die Kinderarbeit in den Minen häufig war. Nun bin ich also gespannt, was heute gleich, und was andres ist. Sechs Stunden sitzen wir im Bus, es geht unzählige Kurven hinauf und wieder hinunter. Ab und zu eine dürftige Flussoase und ein kleines Dörfchen oder ein karger Weiler. Wir fühlen uns weit, weit ab von jeglicher Zivilisation. - Und nun sind wir in der höchsten Stadt der Welt: Potosi liegt auf 4070m. Im alten Teil der ehemals reichen Silberstadt trifft man auf schöne Kolonialbauten und unzählige schmucke Kirchen.
Blick von der Dachterrasse des Hotels zum Cerro Rico, dem wichtigen Minenberg An dieser Gasse liegt unsere Unterkunft "Hostal Compania de Jesus" (rechts)
Abends tönen die Musikstücke der Indios bis spät in die Nacht durch die Gassen im Zentrum: viele Tanzgruppen üben für das wichtigste Musik- und Tanzfest Boliviens vom kommenden Wochenende: "Ch'utillos" oder San Bartolome - Fest. Die Gelegenheit als Zuschauer dabei zu sein, wollen wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Doch vorerst haben wir für den morgigen Donnerstag einen Besuch in der Mine der Cooperativa Calendaria vor. Zwei ehemalige Mineure führen die Agentur "Kualatour": Für einen mässigen Betrag - von dem 15% an die Cooperativa abgeliefert wird -werden wir zuerst vollständig ausstaffiert mit Ueberkleidern, Stiefeln, Helm, Stirnlampe und dazugehöriger Anhängebatterie. Ich habe Zeit mit der alten Mutter der Agentur-Inhaber zu reden: Sie sei so froh, dass ihre Söhne nicht mehr in der Mine arbeiten würden, denn das sei die schlimmste Arbeit, die man sich überhaupt vorstellen könne! Ihr Mann sei mit 35 Jahren an einem Unfall in den Minen gestorben, als sie mit dem vierten Kind schwanger war... Schon traurig und hart! Und leider werden wir sehen und erfahren, dass es heute um keinen Deut besser ist, im Gegenteil! Als wir alle - etwa 12 Rucksackreisende aus der ganzen Welt - mit Helm und Ueberkleid im Minibus sitzen, geht's hoch ins Viertel der Mineure. Pedro, ein ehemaliger Minenarbeiter, führt unsere Gruppe in einen der unzähligen, kleinen Läden, die alles anbieten, was die Mineure brauchen und selber kaufen müssen: zuerst alle Werkzeuge wie Pickel, Schaufel, Stirnlampen, grosse Batterien, Karbitlämpchen, Zündschnur, Dynamit (ja, sie sprengen immer noch mit Dynamit!), aber auch Mineralwasser, Cocablätter und Literflaschen mit 95°-Alkohol für 10 Bolivianos (umgerechnet 2 SFR), den sie dann zwar verdünnt trinken, aber dennoch! (Die Cocablätter werden in grossen Mengen gekaut und in der Backe gespeichert; so fühlen die Arbeiter den Hunger und die Erschöpfung viel weniger.) Wir alle kaufen Geschenke für die Mineure ein. Nun geht's noch höher den Berg hinauf und wir besichtigen zuerst die Verarbeitungsstätte des geförderten Gesteins. Es wird mehrere Male verkleinert und landet schliesslich in der Flotationsanlage. Es ist kalt, als ich drinnen im Dunkeln, bei ohrenbetäubendem Lärm, neben dem Coca kauenden Mann auf dem Bänklein sitze. Er muss täglich 12 Stunden aufpassen, dass das verkleinerte Gestein durch den engen Ausgangskanal auf das Fliessband rollt und nicht etwa verstopft. - Weiter oben schlüpfen wir in einen Gang, der den Schienen entlang in den Cerro Rico (reicher Berg) verschwindet. Mit dem Licht der Stirnlampen tasten wir uns weiter. Wenn Pedro einen Förderwagen anbrausen hört, schreit er, damit wir sofort von den Schienen auf einen Ausweichplatz springen. Das gesprengte Material wird zuerst in Jutesäcken auf dem Rücken zu den vertikalen Förderschächten geschleppt. Dort wird es von Hand nach oben gezogen und auf kleine Wagen geladen, welche auf Schienen durch die horizontalen Gänge "hoppern". Diese werden von den Mineuren zum Ausgang gestossen. Wenn es etwas hinunter geht, hängen sich die Mineure hinten an den vollen Gesteinswagen und sausen schnell vorbei. Immer tiefer in den Berg führen die Gänge und "Kamine". Oft ist der Boden nass und glitschig und vermehrt können wir nur noch gebückt oder sogar auf den Knien weiterkommen. Die Luft wird stickiger und zunehmend heisser.
Der echte Minenarbeiter kaut eine Menge Cocablätter, die Hunger und Erschöpfung betäuben Die vollen Förderkarren werden von den Minenarbeitern zum Ausgang gestossen
In einer niedrigen Höhle halten wir an, und aus den Erklärungen von Pedro können wir uns Folgendes zusammenreimen: Die Minen gehörten früher dem Staat und privaten Gesellschaften. Diese investierten in Lüftung, elektrische Abbauhämmer, bauten begehbare, horizontale Förderschächte und setzten Elektroloks ein. In den Vertikalschächten waren Lifts installiert. Doch dann fielen die Rohmaterialpreise, Silikose-Opfer begannen plötzlich zu "kosten", die Profite schrumpften. Was war die Lösung? Man schenkte die Minen den Arbeitern! Heute "bewirtschaften" Kooperativen die Minen. Sie verteilen die Schürfrechte an ihre Mitglieder unter denen aber ein Kampf um die ertragsreichen Adern entbrennt. Investitionen und Unterhalt der Infrastruktur sind unbekannt. So ist alles, was mal funktionierte, ausser Betrieb und gearbeitet wird wieder wie zur Kolonialzeit. Erschreckend! So fordert der Cerro Rico in Potosi auch im 21. Jahrhundert weiterhin seine Opfer.
8 Millionen Indios sind hier in diesem Berg allein in der Kolonialzeit der Spanier gestorben! - Ab und zu steigt ein Mineur neben uns vorbei, um zur Arbeit hinunter zu gehen. Es gibt kaum ältere Männer unter ihnen, denn diese Arbeit ist zu ungesund und anstrengend, als dass ein Mineur alt werden könnte. Stirbt einer - sei es durch Unfall oder Krankheit (Silikose) - bekommt seine Familie keinerlei finanzielle Unterstützung. Die Weltmarktpreise von Silber und Zinn sind dermassen tief, dass die Mineure von ihrer enorm harten Arbeit nicht leben können. - Im vierten Niveau unten ist es sehr eng und heiss. Auf dem Bauch kriechen wir einzeln zu den beiden Arbeitern, die abwechslungsweise Silber aus dem Felsen hämmern. Wir alle sind schon erschöpft vom blossen Atmen in dieser stickigen Hitze! Hans meint zu mir: "Also tiefer hinunter in den Berg komme ich nicht mehr...." Doch wir sind an der tiefsten Stelle unserer Tour - allerdings noch lange nicht im untersten Niveau der Mineure - angelangt. Für uns geht's durch die nassen, lehmigen Gänge und "Kamine" wieder aufwärts. Jetzt begegnen wir jungen Männern und oft fast noch Knaben, die die schweren Karren stossen. Sie sind alle sehr schlank und schweissnass. Kinderarbeit ist zwar gesetzlich in Bolivien verboten. Kontrolliert wird jedoch in den Minen offensichtlich nicht. So beginnen viele Mineure im Alter von 10 Jahren zu arbeiten. Pedro verteilt immer wieder von unseren Geschenken: Mineralwasser, Dynamit, Zündschnüre, Cocablätter.... Langsam wird die Luft etwas kühler und weniger staubig, wie uns scheint. Gott sei Dank, dort vorne, am Ende des Schachtes ist das Tageslicht! Wie neu geboren treten wir ans Sonnenlicht. Gute zwei Stunden waren wir - natürlich ohne zu arbeiten - in den Schächten und hielten es kaum aus. Diese Männer sind tagtäglich 12 oder mehr Stunden am Arbeiten drin! Etwas Unmenschlicheres können wir uns nicht vorstellen. Das dürfte doch eigentlich nicht sein!

Das grösste Folklorefest Boliviens
Schon Tage vorher werden überall in den Strassen von Potosis Zentrum einfache Tribünen aufgebaut, denn am Samstag und Sonntag, den 30. und 31. August finden sich hier die Musik- und Tanzgruppen aus dem ganzen Lande ein, um an einem Monster-Umzug teilzunehmen: 98 Gruppen sind es am Samstag, 46 am Sonntag! Überall herrscht geschäftiges Treiben, denn für viele der Kleinsthändler ist es auch die Gelegenheit gute Geschäfte zu machen: die Strassenköchinnen, die Glace- und Getränke-Verkäufer und viele andere. Vielerorts wurden auch ein paar Stühle an den Strassenrand gestellt, die jetzt für 10 - 20 Bolivianos an Zuschauer vermietet werden. Ich miete mir so einen Sperrsitz - Plastiksessel in der vordersten Reihe am Hauptplatz und erst noch an der Sonne! Einige Stunden - bis Sonnenuntergang - lasse ich mich von der Farbenpracht, den Indioklängen aus den verschiedensten, selbst hergestellten Flöten und Trommeln und den Volkstänzen bezaubern. Die Tanzenden sind eher schüchtern, viele eher etwas unbeholfen, auf jeden Fall kaum ausgelassen. Beim Hauptplatz, wo ich sitze, sind sie auch schon lange unterwegs, immer tanzend und spielend und einige schwitzen. Auch die neuen, ungewohnten Sandaletten an den Füssen der Frauen scheinen etwa zu drücken. Bestimmt haben die meisten für das wichtigste Fest ihr karges Bargeld aufgebraucht! Viele der Tänze haben - oder hatten früher - einen ritualen Charakter. Doch genug der Worte, die Bilder sprechen für sich.
Farben, Musik und Bewegung am wichtigsten Folklore-Fest Boliviens in Potosi
(In unserem Bolivien-Album findest du mehr Fotos und von besserer Auflösung)

La Paz, ein übervölkerter Kessel
Am Sonntag nehme ich ungern Abschied von dem lebendigen, schönen Potosi. Hier haben wir intensive Wechselbäder des Erlebens gehabt! Als wir frühmorgens in der Kälte durch die Stadt zum Busterminal marschieren, schlafen noch einige der Festteilnehmer in Decken eingemummt auf den Bänken, Tribünen oder auf Kartons am Boden. Lange nicht alle konnten irgendwo einen günstigen Unterschlupf für den Rest der Nacht finden. Die Gassen und Strassen sind verpisst von den Tausenden von Teilnehmern und stinken, denn Toiletten wurden natürlich nirgends aufgebaut! - Durch Schluchten und kahlen Berghängen entlang fährt der Bus Richtung Oruro. Ab und zu steigen Festteilnehmer in Tracht mitten in der Ödnis aus, wo niemand auch nur eine Menschenseele vermutet. Mittagshalt gibt's in einem trostlosen Strassenkaff, wo Indiofrauen ihre Karretten schön in Reih und Glied aufgestellt haben und unter Tüchern Töpfe mit warmem Essen anbieten: Kartoffeln und "charque" (getrocknetes und geschnetzeltes Lamafleisch, das anschliessend gekocht wurde). Andere gehen mit Körbchen herum und wollen den Fahrgästen hartgesottene, heisse Eier verkaufen. So drückt mir auch ein kleines Mädchen ein Ei an den nackten Unterarm, um zu zeigen, wie heiss es ist: "muy calientito!" Und natürlich kann ich nicht widerstehen!
Über die alte unasphaltierte Strasse rütteln wir nach Oruro und gleich steigen wir um in den Bus nach La Paz. Das erste Mal seit Wochen ist der Himmel gewittrig-stürmisch bedeckt und es fällt etwa Eisschnee und später Regen. Oben auf dem El Alto beginnen die Vororte der auf 19 Millionen angewachsenen Hauptstadt, und schon bald blicken wir hinunter in den immensen, überbauten Hexenkessel La Paz.
Mittagessen aus den Karretten der Frauen und dahinter das Abwassersystem in der Dorfstrasse
La Paz, der dicht besiedelte Hexenkessel
Da wir nicht besondere Liebhaber von Grossstädten sind, beschränken wir uns auf Spaziergänge im sauberen Zentrum, die Buchung einer 3- tägigen Trekking-Tour, und ich verirre mich noch fast in den unzähligen Marktgassen auf der Suche nach dem "Mercado de Brujos" (Markt der Hexer), wo es unzählige Zauberkräuter, -säfte und -wurzeln und vieles mehr gibt.

Auf alten Inkapfaden
Am nächsten Morgen geht's los: wir - Ana, die Führerin und Köchin, Celestino, der Träger und Helfer und wir beiden - werden aus der Haupstadt hinauf nach dem nahen La Cumbre (auf 4980m) gefahren. In windiger Kälte und bei bald einsetzendem Eisregen steigen wir auf der alten steilen Inkastrasse hinunter und sind bald weit ab von jeder Zivilisation. Die umliegenden Berge verschwinden im Nebel. Wir werden nass und nässer und mit uns auch unsere Rucksäcke. Mein linkes Knie sticht und schmerzt vom langen, steilen Abstieg und jeder Schritt bergab wird zur Qual. Wie soll das die nächsten Tage nur weitergehen? Ich muss durchhalten! Unten beim Fluss (auf knapp 3000 m) gibt's ein paar winzige Steinhäuschen: unser Uebernachtungshalt nach etwa 7 Stunden Marsch. In einem Hüttchen brennt ein Feuerchen im niedrigen Lehmherd, und eine alte Grossmutter sitzt daneben. Ich setze mich auf den Ziegenfellhocker neben sie. Doch sie spricht kein spanisch, nur "aimara". Bald kommt der 6-jährige Enkel Henri vom weit oben gelegenen Schulhäuschen zurück (ich hatte mehr als 2 Stunden für diese Strecke und er und seine Schwestern machen diese Bergtour täglich hin und her!), auch er ganz durchnässt. In einem anderen Hüttchen wird er in trockene Kleider gesteckt und trinkt dann auf meinen Knien, die nackten Füsse gegen die Flammen gestreckt, stumm seinen Tee und kaut an einem Bissen trockenen Brot. Ana hat die Kochutensilien in unserem Häuschen auf ihrer Pritsche ausgebreitet und auf dem mitgeschleppten Kerosen-Kocher dampft die Suppe. Zwei Kerzen spenden ein bisschen Licht. Da es draussen sehr nass ist, wird das Zelt nicht aufgestellt und wir bereiten unser "Gliger" drinnen. Auf der breiten Pritsche liegen Kartons und ein paar würzig riechende, gewobene Wolldecken, dazwischen ein alter Rock, den ich mit den Fingerspitzen ans Fussende befördere. Die beiden nassen Schlafsäcke legen wir als Decke über uns. Wir liegen sehr hart, aber so nahe beieinander frieren wir mindestens nicht.
Ana, unsere Führerin und Köchin und Celestino, der tragen hilft Das ist unser Mehrzweckhäuschen, in dem wir essen und übernachten
- Hurra, am nächsten Tag ist das Wetter freundlicher, und ich habe jetzt zwei Stecken zum Wandern (meine Schweizer-Super-Wanderstöcke liegen natürlich auf CASIMU!). Doch das viele Bergab auf den grossen runden Inkasteinen setzt meinem Knie nach wie vor sehr zu. Langsam wird es wärmer und die Vegetation tropischer. Beim Mittagshalt staune ich, wie viel überflüssiges, gewichtiges Esszeug Ana mitschleppt, das ihr Gepäck unwahrscheinlich schwer macht! Celestino trägt die Zelte, den Kocher und ebenfalls noch Esswaren! Wie freue ich mich, als es nach dem Mittagshalt über die Hängebrücke und dann zünftig bergauf geht und ich schmerzlos vorankomme! Danach führt ein fast ebener Höheweg weiter. Leider wurde hier öfters der Urwald brandgerodet um Bananen, Mais, Kartoffeln und Maiok zu pflanzen, was sich aber nicht bewährt und deshalb aufgegeben wird, um anderswo wieder den Urwald zu vernichten. Die steilen Hänge erodieren dann oder kommen ins Rutschen. Zweimal kommen uns Indios entgegen, denn dieser Fussweg ist die einzige Verbindung zu den umliegenden Weilern oder nach La Paz. Unser zweiter Übernachtungsplatz liegt malerisch auf einer winzigen Terrasse.
Blick ins tropische Tal von unserem zweiten Übernachtungsplatz im Zelt
Im schmutzigen Hüttchen lebt eine zahnlose Alte, die uns von ihren gekochten Kartoffeln offeriert. Sie stopft sie sich vom Topf ganz in den zahnlosen Mund und ist sehr gesprächig (nur etwas schwer zu verstehen: entweder hat sie einen vollen Mund oder dann eben einen ganz leeren!). Der Himmel hat jetzt ganz aufgeklart, es ist warm, und so gehen wir zum nahen Wasserlauf duschen. Doch das bezahlen wir teuer: die vielen Stechfliegen stürzen sich auf uns und noch nach einer Woche jucken nachts die unzähligen Stiche. - Die Nacht ist ohne störendes Licht sternen- und mondklar und das Zelten macht bei trockenem Wetter auch Spass. - Vor 6 Uhr dämmert es und Hans und ich marschieren nach einem kurzen Frühstück - bei noch kühlen Temperaturen - los, während Ana und Celestino noch zusammenpacken. Weit, weit geht's nach hinten in den "Chrache" des Teufels ("Cuesta del Diablo") und dann wieder hoch, bis wir nach zwei Stunden zum abgelegenen Gehöft des Japaners kommen, der hier seit 44 Jahren in der Einsamkeit lebt, einen schön terrassierten Garten und ein Gästebuch führt! (Wir schlagen den Altersrekord der Passanten um Generations-Abstand!) - Die letzten Stunden führen zeitweise durch zerstörten Urwald und in feuchter Hitze runter ins Tal, nach Chairo, das etwa auf 1300 m liegt. Von dort fährt täglich ein Pick-up-Taxi nach dem grösseren Coroico. Doch als wir passieren wollen, ist die Strasse für einige Stunden verschüttet, da ganz oben am Steilhang an der neuen Strasse nach La Paz gebaggert wird und die Erde ungebremst den kahlen Kegel hinunter rutscht. Während der Wartezeit bade ich unten im Fluss, und da ich eine kleine, weisse Seife auf dem Grund finde, wasche ich auch meine verschwitzten Kleider, die auf den heissen Steinen bald trocknen. Anschliessend verkürzt ein angeregtes Gespräch mit den beiden Entel-Movil-Spezialisten Gustavo und Alexandro aus La Paz uns den unfreiwilligen Stopp. Erst bei Dunkelheit kommen wir auf der Terrasse von Coroico an und steigen im Hostal Sol y Luna hoch über dem Dorf ab. Eine Deutsche hat sich hier niedergelassen und mit viel Flair ein paar wenige, luftige Bungalows aus vorwiegend natürlichen Materialien erstellt. Wir logieren in der höchstgelegenen Cabana Mira mit herrlicher Weitsicht und vom Bett auf der Galerie sehen wir sogar den Sternenhimmel. Ist das herrlich, wieder mal eine richtige Dusche und ein frisch angezogenes Bett! Todmüde fallen wir nach dem Nachtessen unter die Decke. - Einen Tag erholen wir uns hier vom Muskelkater der Trekkingtour. In Coroico haben sich ein paar Ausländer niedergelassen und führen entweder ein kleines Hotel, ein Restaurant oder wie Detlef die "Backstube" (Café und Restaurant). Bevor unser Kleinbus nach La Paz zurückfährt, essen wir auf der Terrasse mit Weitblick noch einen "Apfelstrudel" und plaudern mit ihm. Er hat an das Haus, das er von der Kirche mietet diese geräumige Terrasse angebaut und wirtet hier jetzt seit 4 Jahren. Vorher lebte er in Rio de Janeiro. Die Ruhe und das warme subtropische Klima gefallen ihm und er hofft, sich über Wasser halten zu können.

Die gefährlichste Strasse der Welt
Von Hans, dem Verkehrsspezialisten:
Coroico - La Paz, die Todesstrasse
Wir waren ein wenig vorgewarnt. Unsere neuen Bekannten Gustavo und Alexandro (Entel Movil, La Paz) erzählten uns, dass gerade wieder ein Bus mit über 30 Personen abgestürzt sei. Ein erfahrener Mitfahrer - pensionierter Arzt aus La Paz mit libanesischem Stammbaum - meinte, wir hätten zum Glück einen guten Fahrer erwischt. Los ging's. Er fuhr sicher aber schnell wie "Schumi" auf der staubigen Strasse und überholte immer wieder. Dann ging's bergauf. Linksverkehr! Der Grund: Um die Zahl der Abstürze zu reduzieren, wird auf gefährlichen Bergstrecken in Bolivien links gefahren. Der links sitzende Fahrer sieht dann den immer wieder abrutschenden und ohne Leitplanken ausgerüsteten Strassenrand resp. Abgrund besser. Ob's nützt? Die vielen Erinnerungskreuze unterwegs lassen zweifeln. Jetzt beginnt auch noch der Nieselregen und der uns sonst immer begleitende Staub ist weg. Die lehmige Strasse wird glitschig wie bei Schneematch. Mountainbiker Touristen kommen uns entgegen. Viel Spass! Wir steigen langsam höher und höher. Die Abhänge werden immer tiefer und steiler. Wir haben jedoch Glück. Wir fahren bergseitig und entgegenkommende Fahrzeuge passieren talseitig. Dann Stau! Vor uns eine längere Kolonne mit LKWs und Bussen. Ein mit Gasflaschen beladener LKW kommt in einer glatten Kurve der Bergstrecke nicht mehr weiter. Die durchdrehenden Pneus rauchen!
Stau! Linksverkehr!
Die gefährlichste Strasse der Welt soll sie sein
(Zu den LKWs: Boliviens Strassennetz geht vom Urwald - 300 bis 400 m - bis in die Anden auf über 5000 m. Die sich ändernde Luftdichte und -temperatur stellen grosse Anforderungen an die Motorregelung. Früher war Saurer in Bolivien gut vertreten. Heute sind 100% der LKWs von Volvo und die Chauffeure schwärmen von ihren 3-achsigen, 18m langen Volvos!) Wir sind an der gefährlichsten Stelle der Strecke und ich bin froh, dass ich hier zu Fuss hoch kann. Der Stau in beiden Richtungen wächst an. Früher galt auf dieser Strecke ein Uhrzeit abhängiges Einbahnregime. Laissez-faire hat sich jedoch auch in Bolivien durchgesetzt. Der Nieselregen hat aufgehört, die Strasse trocknet etwas, der Stau verursachende LKW hat's geschafft und bald rast der Kleinbus-"Schumi" mit uns weiter Richtung La Paz.

Titicacasee und Isla de Sol
Da am Sonntagmorgen um "unsere" Zeit kein Bus nach Copacabana fährt, setzten wir uns in einen Kombi nach Tiquina, gleich auf die Plätze hinter den Fahrer. Und schon geht's los. Das klappt ja bestens und verspricht eine angenehme Fahrt zu werden. Doch, o weh! Auf dem El Alto (Vororte von La Paz) ist überall Markt, viele Strassen gesperrt und ein riesiges Verkehrschaos. Unser Fahrer kennt Schleichwege, doch auch die sind oft mit allen möglichen Fahrzeugen und Karren verstopft. Immer steigen noch neue Fahrgäste ein. Schliesslich zwängt sich noch ein älteres Indiopaar uns gegenüber auf die schmale Ablagefäche. Die Frau ist zwar klein aber sehr korpulent und für Beine und Füsse bleibt kein Platz mehr. Die lautstarke Reklamation des Kunden hinter uns - es seien nur 14 Personen zugelassen und nicht 20, so käme es eben zu Unfällen... - hilft auch nicht, und so lassen wir uns halt eng zusammen gepfercht an den wunderschön blauen Titicacasee entführen. Mit einem kleinen Fährboot setzen wir von San Paulo über nach San Pedro, wo wir eine feine, frittierte und gerätlose "Trucha" (Forelle) essen, bevor wir nach Copacabana weiter fahren. Im neuen Hotel Mirador am Strand beziehen wir ein schönes Zimmer. Nur wurde der Baudreck und -staub im Badezimmer noch nie weggeputzt und anstelle der Leselämpchen hängen noch die Kabel aus der Wand. Auch Frottiertücher gibt es keine trockene. Aber was will man: drei junge Männer führen das Hotel und da fehlt einfach eine tüchtige Hausfrau. Die Sicht auf Bucht und See ist aber sehr schön und für 60 Bolivianos (ca.11 SFR) inkl. Frühstück kann man ja auch ein Auge zudrücken. - Mit einem kleinen Ausflugsboot fahren wir am nächsten Tag - bei wolkenloser Sicht auf die Anden - in den Norden der kahlen Isla del Sol, die ein wichtiger Kultplatz war.
Blick vom Hotelzimmer auf den Strand von Copacabana.. nein, nicht in Rio, sondern am Titicacasee auf fast 4000 m Ausflug auf die - den Incas heilige - Isla del Sol im Titicacasee
Wir wandern ein paar Stunden auf und ab über die Hügel der Insel und besteigen gegen Abend das Boot im Süden wieder. Das wunderbare Licht und der immer blaue Himmel tun einfach gut! - Am nächsten Tag verlassen wir das lieb gewonnene Bolivien mit etwas Wehmut Richtung Peru.

Wir hatten das Glück, noch vor dem Aufstand drei Wochen in einem ruhigen, faszinierenden Bolivien zu reisen.

 
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