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Reisen ohne Segel

Sterbebegleitung - Winterliches Santiago de Chile

1. Teil: Argentiniens Nordwesten

Mendoza, die grosszügige - San Juans spezielle Rosinen - ein sonderbarer Wallfahrtsort - Puerta a puerta, eine argentinische Transportmöglichkeit - Im Revier der ersten Dinosaurier - Rolf, der "andere" Schweizer - Mystische Thermen in den Felsen und die Maya -Astrologie - Weiter im Norden liegt Cafayate - Salta, die vielgerühmte - Die Quebrada in unzähligen Farbschattierungen - San Isidro, zwei Fussstunden abgelegen

Bericht vom 15. Oktober 2003

  Sterbebegleitung
Ich war etwas mehr als 2 Monate - bis am 8. Juli - in der Schweiz. Der Pankreas - Tumor meiner Mutter, der vor einem Jahr diagnostiziert worden war, wuchs und quälte sie jetzt zunehmend. Es war mir sehr wichtig, dass ich sie in den letzten Wochen bis zu ihrem Tode zusammen mit meinem Vater, meinen vier Schwestern und zwei Nichten begleiten durfte. Diese Wochen waren intensiv und die Gedanken und Gespräche der ganzen Familie kreisten um unsere liebe, tapfere und dem Tode ins Angesicht schauende Mutter. Rund um die Uhr waren wir bei ihr im Spital. Oft hatte ich das Gefühl, dass das Leiden, Loslassen und Sterben für uns Angehörige viel schwerer war als für unser geschwächtes Mükkeli. Der Tod war schliesslich eine Erlösung und Mükkeli sah wunderschön und friedlich erfüllt aus. Ihre positive Energie lebt weiterhin in uns, auch wenn sie uns sehr fehlt. - Ich blieb noch ein paar Wochen bei meinem Vater, schwamm mit meinen Schwestern in der Aare und erledigte einige hängige Sachen. Wenn ich mich bei dir nicht gemeldet habe, dann entschuldige bitte, aber die Tage nach dem Begräbnis der Mutter bis zu meiner Abreise nach Chile schrumpften sehr schnell. - Hans ist in Puerto Montt geblieben, hat mich aber in Gedanken einfühlsam unterstützt in der schwierigen Zeit. - Zudem gibt's auf einem Schiff immer eine Menge zu tun.

Winterliches Santiago de Chile
Hans holt mich in Santiago am Flughafen ab und wir feiern unser Wiedersehen. Für eine Woche kehren wir nach Puerto Montt auf CASIMU zurück und packen dann das Nötigste für eine Landreise in einen grossen und einen kleineren Rucksack (Hans denkt, wir würden etwa für 2 Wochen verreisen, ich hoffe für etwa 2 Monate. Darüber sprechen wir nicht!) Und so treffen wir am 20. Juli - nach einer Nacht im Schlafbus - bei unfreundlichem Winterwetter wieder in Santiago ein. Genau das Wetter für einen Besuch des hervorragenden Museo de Arte Precolombino: grosszügige Räume mit bestens erhaltenen Statuen, Vasen, Schmuck- und Kultgegenständen der prähispanischen Völker. Spots beleuchten die Exponate geheimnisvoll und es hat kaum Besucher. Besonders faszinieren uns die ganz alten Kulturen vor den Inkas. Die Sonne zeigt sich kurz und fahl und wir spazieren zurück auf die Plaza de Armas, den mit vielen grossen Bäumen bestandenen Hauptplatz. Ein Strassenclown zieht Dutzende von Bummlern an. Die Kinder sitzen staunend zuvorderst auf dem kalten Asphalt. Ohne Requisiten, nur pantomimisch, bringt der junge Künstler die Menge zum Lachen, indem er den Gang von Passanten oder die Verkehrsregelung des Polizisten karikierend nachmacht, eine überraschte Dame tanzend herumwirbelt und ähnliches. Die Komik ist perfekt. Alles fast wie in Bern, an einem warmen Tag auf dem Bärenplatz, allerdings etwas frecher und unverschämter und wesentlich kälter. Mir fällt die billig-ärmliche Winterbekleidung der Leute auf. Die Löhne hier sind tief und die meisten Menschen in Chile sind arm. Auf dem Rückweg zum Hotel schlendern wir in der Fussgängerzone an vielen Buch-Antiquariatsständen vorbei: H. Hesses "Narziss und Goldmund", abgegriffene Bücher von Macchiavelli, Schopenhauer, Freud fallen mir auf, alles auf spanisch natürlich.

Argentiniens Nordwesten

Mendoza, die grosszügige
Am nächsten Morgen ist der Himmel über Santiago blau und klar. Wer nicht die wärmenden Sonnenstrahlen empfängt, friert. In einem komfortablen Bus fahren wir über die schneebedeckte Cordillera de los Andes Richtung Mendoza, der Weinmetropole Argentiniens. Die Passstrasse schlängelt sich fast wie die Tremola am Gotthard, allerdings durch Skigebiete. Wie viele Anfänger es da gibt! Meine Güte, und in den Haarnadelkurven riesige, voll beladene Lastwagen mit Anhänger, die Waren von Argentinien nach Chile führen. Nach dem Passübergang erblicken wir kurz den höchsten Berg Südamerikas, den imposanten Aconcagua mit 6960 m ü.M. Bald darauf sind wir an der chilenisch-argentinischen Grenze. Ein eisiger Wind - der auch die Beziehung zwischen Chile und Argentinien charakterisiert - weht über die schneebedeckten Hänge und es erstaunt nicht, dass das Procedere des Landeswechsels ganze zwei Stunden dauert. Die paar Aepfel, die wir bei uns haben, hat der Chauffeur zuvorkommend in seine Obhut genommen, denn es dürfen keinerlei pflanzliche oder tierische Produkte von einem ins andere Land geführt werden. Die Gepäckkontrolle ist rigoros: alles muss ausgeladen und auf einen langen Tisch gestellt werden. Und jetzt beginnt das Wühlen. Da werden Einmachgläser mit Früchten und Zwiebeln konfisziert und einer überlässt sein ganzes Malerzeug der strengen Zöllnerin. Als wir später zum Puente del Inca kommen, können wir leider nur wehmütig zu den Thermen und den gelb gefärbten Felsen hinüber schauen, der Bus fährt vorbei. Das ist halt ein Nachteil der öffentlichen Verkehrsbusse, den wir noch etwa zu spüren bekommen: Haltestellen sind nicht bei den Sehenswürdigkeiten, sondern bei den wartenden Kunden, und das oft alle paar hundert Meter! Eben erhalten wir unsere geschmuggelten Aepfel wieder. - Abends, als wir im Terminal von Mendoza einfahren, erleben wir wieder einmal, wie vorteilhaft es ist, dass wir spanisch sprechen. Der gemütliche Bus-Stewart und der temperamentvolle Chauffeur empfehlen uns "ihr" Hotel Bianco: ruhig, sauber, günstig. Sie fahren uns auch gleich mit dem Bus vor die Hoteltür und laden uns - mit vielen Gratis-Tipps - dort aus; das heisst sie übergeben uns eigentlich der Obhut des Hotelbesitzers Don Vittorio, der sich ebenfalls sehr bemüht, uns zufrieden zu stellen. Abends erkunden wir das Zentrum und essen in einem für Argentinien typischen "Tenedor libre" (freie Gabel). Für 11 Peso pro Person (ca. 5 Fr.) holt man sich vom sehr reichhaltigen Buffet und riesigen Grill (Parrilla) so viel und so oft man mag.

Das ist nur ein kleiner Teil des Buffets!
Typisch argentinische Parilla mit halbem Lamm am schrägen Spiess. Die Argentinier verzehren Unmengen Fleisch!

Wie viele dicke Leute doch da rein kommen! Doch die vielen feinen und schön präsentierten Vorspeisen, Salate, Grillspezialitäten, Zutaten und Desserts verleiten auch uns dazu, unseren Magen zu überfordern. Ein sympathisches Ehepaar aus Rosario sitzt mit den beiden kleinen, lustigen und neugierigen Töchtern neben uns. Wir plaudern angeregt. Als wir nach 22 Uhr das grosse Lokal verlassen, stehen die Leute draussen auf der Strasse immer noch Schlange, um einen freien Tisch zu erhalten. Wir sind ausgerechnet während der beiden Winter-Ferienwochen vieler Argentinier in ihr Land gereist!! (Erst um 23 Uhr das Abendessen einzunehmen, ist allerdings in Argentinien nichts Ungewöhnliches.) - Die nächsten Tage lassen wir uns von den fünf herrlichen, lebendigen "Plazas" betören. Sie sind so im Zentrum angelegt, wie die Punkte der Zahl fünf bei einem Würfel. Jeder strahlt eine andere Stimmung aus, doch jeder ist gross, mit altem Baumbestand - wuchtig ausladenden Palmen, die riesigen Platanen sind immer noch voll braunes Laub. Statuen und Brunnen schmücken die Plätze und vorallem sind sie belebt. Ein paarmal sitzen wir an der wärmenden Wintersonne auf einer Bank. Wir beobachten das Treiben oder ich schreibe Tagebuch und Hans liest. Irgendwie sind die Schwingungen in Argentinien anders als in Chile: temperamentvoller, sonniger, grosszügiger, eleganter, lebensfreudiger... oder kurz: italienischer! Auf jeden Fall fühle ich mich ähnlich vergnügt, wie wenn ich aus der Schweiz in Italien eintreffe. Und dann erst der San Martin Park: 512 ha Grünanlage mit künstlichem See, aber auch Autostrassen, denn wir sind wohl von den wenigen, die diese riesige Fläche zu Fuss erkunden. Irgendwann hält ein Polizeiauto neben uns. Wir sollen den Park nicht allzu abgelegen begehen, das sei gefährlich, warnen uns die beiden Uniformierten. Bald steigen wir hoch zu dem Hügel "Cerro de la gloria". Die Wintersonne strahlt jetzt am frühen Nachmittag und es ist wärmer geworden. Oben ehrt ein heldenhaftes, immenses Bronzedenkmal den Siegeszug des "Libertadors" San Martin. Wir blicken um uns in die Tiefe: wüstenhaft trockenes Land vom einen Standpunkt, die Dächer und Plätze von Mendoza vom anderen Ausblick; es ist sehr dunstig. Reben erblicken wir keine, obschon Mendoza das wichtigste Weinzentrum in Argentinien ist. Wir haben während unsere Segelreise viele Weine aus dieser Gegend probiert und genossen.

San Juans spezielle Rosinen
Die Busfahrt vom grossstädtischen Mendoza nach dem provinzlerischen San Juan ist etwas deprimierend: sehr trocken, viele versteppte Felder, armselige Lehmhüttchen. Allerdings ab und zu Reben. Doch San Juan ist eine gemütliche Stadt. Da Erdbeben gefährdet - 1944 stürzten 80% der Häuser ein - sind die Häuser fast alle nur ein- oder zweistöckig. Historische Sehenswürdigkeiten sucht man hier vergebens...oder nein! Das einzige Haus, das nach dem Erdbeben noch ganz geblieben sein soll, ist das alte Geburtshaus des hervorragenden Politikers und Genies Domingo Faustino Sarmiento (1811 - 1888). Wir besuchen das einstöckige, weitläufige Haus mit Patio. Es ist historisch möbliert, und das Arbeitszimmer von Sarmiento enthält eine grosse Bibliothek. Unglaublich, was dieser Mann alles bewirkt und geleistet hat: das Schulwesen hat er grundlegend modernisiert, Rechtswesen, Militär und Landwirtschaft reformiert, Strassen ausgebaut und erneuert und einiges mehr. Daneben hat er mit spitzer Zunge geschrieben und viele noch heute sehr wichtige Werke verfasst. Abends wird hier eine schauspielerische Besonderheit angeboten: Das Haus wird mit den ursprünglichen Familienmitgliedern belebt und so werden wir in etwa zwei Stunden von der temperamentvollen Hausangestellten (nochmals) durch die Räume geführt, lernen die Eltern und Schwestern von Domingo kennen und den damaligen Alltag.

Sarmientos Geburtshaus - in authentischem Rahmen - wird mit den ehemaligen Bewohnern belebt. Eine hervorragende schauspielerische Darstellung!

Domingo erscheint als Schattenfigur in seinem Arbeitsraum und ab Tonband vernehmen wir seine Stimme. Bravo, das war hervorragend inszeniert und gespielt! Eine ganz spezielle Rosine! Doch wir kosten hier noch ein paar weitere. Zuerst eine musikalische: am Freitagabend um 21.30 findet ein Volksmusikabend im Theater statt. Abends ein unglaublicher Andrang von Menschen. Wir müssen uns um die Ecke in der nächsten Strasse in die Reihe stellen, um zum einzigen Billetschalter vorzudringen. Fast schon wollen wir aufgeben. Doch wir bekommen noch Eintrittskarten und all die anderen auch. Es sind bestimmt mehr als tausend Menschen da. Viele Familien mit Kindern. Das alte rot-plüschige Theater ist sehr gross. Wer keinen Sitzplatz ergattert, der steht halt. Mit etlicher Verspätung geht's los: zuerst ein klein- formatiger dilettantischer Film vom Hauptstar des Abends. Dann eine Rede und Rezitation eines Gedichtes, wohl von einem Politiker. O weh! Hoffentlich geht das nicht so weiter! Doch endlich, er. Ein charismatischer Sänger / Gitarrist (Typ Rebroff) und seine vier Begleiter betreten die Bühne und fesseln mit Volksgesängen aus den Andendörfern. Das Publikum klatscht den Rhythmus und ist begeistert. Weitere engagierte und zum Teil weit her gereiste Gruppen singen und spielen Volksweisen, dazwischen wieder eher mühsame Reden, die vielen Sponsoren werden in drei Raten herunter geleiert ... doch ein richtiges Volkskonzert, das bis um 1 Uhr morgens dauert, also drei Stunden! Die Zuhörer sind von der ganzen Provinz gekommen - viele stundenlang gereist -, um ihre besten Musiker und die schönsten Volkslieder zu hören. Die vielen kleinen Kinder haben toll durchgehalten...und wir auch! Wir sind uns einig, es wäre echt schade gewesen, wenn wir - wohl als einzige Ausländer - diesen begeisternden Anlass verpasst hätten. - An einem späteren Abend noch eine kulinarische Rosine: Der Besitzer des gepflegten Hotel Posada empfiehlt uns den Club Sirio-Libanes mit Restaurant, den wir ohne seine Angaben nie entdeckt hätten. Eingewanderte Syrer und Libanesen haben hier nostalgisch einen grosszügigen, mit arabisch dekorativen Kacheln tapezierten Innenhof errichtet und dann essen wir im angrenzenden Restaurant in angenehmem Rahmen Arabische und auch argentinische Spezialitäten, fein und erst noch preiswert.

Ein sonderbarer Wallfahrtsort
Ein Ausflug mit dem "Remis" (eine Art Taxi) führt uns zuerst an Reben und dann durch wüstenhaftes Gebiet ins 55km entfernte Vallecito, wo der eigenartigste Wallfahrtsort liegt, den wir uns vorstellen können. Einer Legende zufolge machte sich die heute als heilig verehrte - allerdings von der katholischen Kirche nie heilig gesprochenen - Difunta Correa mit ihrem kleinen Söhnchen auf, ihren im Krieg verschollenen Mann zu suchen. Doch sie irrte in der Wüste umher und verdurstete. Maultiertreiber fanden sie tot, das Knäblein aber noch lebendig an ihrer Brust. Eben an dieser Stelle liegt heute der Wallfahrtsort: ein paar Hügel und einige Unterkünfte für die Zehntausende von Opfergegenständen bestaunen wir da. Unzählige Wasserflaschen für die Verdurstete, aber auch ausgediente Pneus, Keilriemen, Auspufftöpfe, Steuerräder, Nummernschilder und weitere Auto- und Lastwagenteile wurden hier deponiert, denn die Difunta Correa ist die Schutzheilige der Reisenden und der Camioneure. Heerscharen von Argentiniern pilgern hierher, um der Verehrten ihren Herzenswunsch auf Metalltäfelchen zu übermitteln oder ihr dann für das Erhaltene zu danken. So sind auf einem Hügel viele gebastelte Modelle von Häuschen deponiert, als Dank, dass der Häuserbau von der Heiligen ermöglicht wurde.

Gebastelte Häuser-Modelle werden der Heiligen als Dank dargebracht Der Altar mit der (fast lüstern dargestellten) Difunta Correa und ihrem überlebenden Söhnchen und vielen Dankesplättchen

Andere huldigen ihr, indem sie das Hochzeitskleid, ihre Uniform, ihr Diplom, Medaillen, Fotos, Dankes- und Wunschplaketten, ihre Nähmaschine, Geldscheine und vieles mehr überbringen. Dauernd brennen Kerzen und es duftet erschlagend, wie nach zu dick geratenen Räucherstäbchen. Nicht weit davon verbreitet sich der Geruch von angekohlter Parilla (Wurst und Grillfleisch) und einige Verkaufsstände bieten heilige und profane Souvenirs an. An Sonntagen muss da echt was los sein! Wir tun uns etwas schwer in dem Sammelsurium. Doch wenn wir in die inbrünstig betenden und dankenden Gesichter vor dem Altar blicken, sind wir berührt. Da muss etwas dran sein, und wenn es bloss die eigenen psychischen Kräfte sind, die hier aktiviert werden. Etwas verwirrt fahren wir nach San Juan zurück. Vallecito ist der grösste "Ableger", doch wir treffen an den Strassenrändern in ganz Nordargentinien noch auf viele weitere, kleinere "Filialen" mit ähnlichen Requisiten.

Puerta a Puerta - eine argentinische Transportmöglichkeit
Ein Abstecher mit landschaftlich schönen Umwegen führt uns schliesslich zu dem abgelegenen und etwas herunter gekommenen Thermalhotel Pismanta. Vor den winterlich überzuckerten Anden schwimmen wir als einzige im lauwarmen Bassin, während die andern Gäste die heissen Einzelbecken im Hotelinnern bevorzugen.

Schwimmen im lauwarmen Thermalwasser vor den winterlichen Anden Die drei sympathischen Lehrerinnen aus Buenos Aires

Wir treffen "unsere" drei gepflegten Lehrerinnen aus Buenos Aires wieder, die bereits - wie wir - am Busbahnhof in San Juan vergeblich ein Vehikel erfragten, das sie nach dem einsamen Ort bringen würde. Gegenseitige Sympathie und ihr Interesse an unserer Seereise ergeben angeregte Gespräche. - Wie kommen wir mit öffentlichen Verkehrsmitteln wieder in einen grösseren Ort, das erfragen wir an der Reception. Die Lösung ist sofort ausgesprochen "Puerta a puerta". Also ruft Hans die angegebene Telefonnummer an. "Manana a los una y media o dos..." Gespannt sitzen wir um halb zwei am nächsten Tag an der Sonne vor dem Hotel. Und wirklich holt uns ein Kleinbus gegen halb 3 Uhr vor der Hoteltüre ab. Jeder Fahrgast wird nämlich vor der gewünschten "puerta" (Türe) abgeholt und wieder vor die gewünschte Türe gebracht. Und das etwa zum gleichen Preis wie ein normales Busbillet. Wir sind fast die letzten der vierzehn Mitfahrenden. Der Rucksack wir auf dem Dach festgezurrt, und nun fahren wir durch Wüstengegenden und rütteln über Dreckstrassen in abgelegene Weiler und zu entfernten Häusern - dahin kämen wir ja sonst im Leben nie!- um die letzten drei oder vier Mitfahrenden abzuholen. Jetzt ist der Kombi voll und über einsame, steinige Hügel geht die Fahrt zügig hinunter nach San Juan. Der Fahrer legt während den geraden Strassenabschnitten die Reihenfolge der Ankunfts-puertas fest. Nicht einfach! Wer als erster einstieg und dessen Tür jetzt als eine der letzten drankommt, kann für die wenigen Pesos gut und gerne zwei Stunden länger Bus fahren, als wenn er als letzter zustiege und als einer der ersten am Ziel wäre. Doch das eine wie das andere scheint keinen der Mitfahrenden gross zu beschäftigen. Wir kommen auf jeden Fall noch vor Einbruch der Dunkelheit heil und um eine Erfahrung (im wörtlichen Sinn) reicher in San Juan an.

Im Revier der ersten Dinosaurier
Nach vier Stunden Busfahrt durch Reben, Steppen und Oasen erreichen wir San Augustin im Valle Fertil, von wo aus wir ins paläontologisch berühmte Valle Ischigualasto und ins Palampaya-Canon vordringen wollen. Am Nachmittag erkunden wir die Umgebung des Dorfes und umwandern den einsamen Stausee, wo wir kurz die trinkende Ziegenherde stören müssen.

Eines der vielen Zeugnisse der Religiosität der hiesigen Menschen: Die riesige Christusstatue aus Holz in San Augustin

Dann kaufen wir Picknick für die morgige Tour im Pickup. Abends essen wir - wie schon am Mittag - nochmals im einzigen offenen und bescheidenen Restaurant Tauro. Die sechzehnjährige, lustige Serviertochter hat seit Mittag etwas gelernt: wir wollen Brot zum Salat und Zitrone zum Fleisch. Es klappt ohne Worte!
Um 7.30 ist es noch ganz dunkel und kalt. In der kleinen Pension wartet auch Betty, eine Lehrerin aus Buenos Aires, auf den Exkursionswagen - in den Schulen der Hauptstadt sind noch Winterferien. Sie trinkt, wie üblich, ihren morgendlichen "Mate" und offeriert mir in der Dunkelheit gleich die nächste Portion ("Mate" ist ein Tee aus Blättern, die in spezielle Becher gestopft, immer wieder mit Wasser aus dem Thermoskrug übergossen und mit der "Bombilla"- einem metallenen Rohr - geschlürft werden (siehe frühere Log-Foto mit Hans). Bei den Argentiniern ist Mate trinken ein verbindender Anlass: jeder trinkt der Reihe nach immer wieder eine Portion aus dem gleichen Becher.) Während der Fahrt ins Valle de la Luna, wie Ischigualasto für die Touristen auch etwa genannt wird, erzählt sie mir von ihrem Unterricht in der Hauptstadt: sie arbeitet in einem sozial sehr armen und schwierigen Quartier, täglich acht Stunden Unterricht, montags z. Bsp. um die zweihundert Schüler zwischen 12 und 18 Jahren in den verschiedenen Klassen! (Ich denke: "Ihr Lehrer und Lehrerinnen, geniesst die schweizerischen Bedingungen!") Ihr Mann ist ganz jung an Lungenkrebs gestorben, und sie blieb mit drei kleinen Kindern zurück und musste hart arbeiten. Betty ist fröhlich und sehr interessiert. Sie unternimmt diese Exkursion, um sich für den Unterricht weiterzubilden. Der vierte Mitfahrer, ein junger Berufsmusiker namens Matias, ebenfalls aus Buenos Aires, unterhält sich während der Fahrt mit Hans. Nach 70 km Schotterstrasse merke ich, dass meine Segeljacke samt Kreditkarten noch im Schrank der Pension in San Augustin hängt. Und wir wollten doch die weite Fahrt zurück gar nicht mehr machen, sondern direkt weiter.... So ein Mist! Ich ärgere mich zünftig, doch Hans nimmt es gelassen: "Dann kehren wir halt zurück, wir haben ja Zeit..." Ins Mondtal darf man nur mit Führer. So fährt die Kolonne von sechs Autos nach neun Uhr mit Führer los. Ein heftiger Wüstenwind, der warme "Zonda" wirbelt den Sand auf und bei den ersten Stopps werden wir richtig sandgestrahlt und sehen nicht in die Weite.

Die erodierte Sphynx im "Mondtal" Der heftige "Zonda"-Wüstenwind hat auch die aus kleinsten, urzeitlichen Lebewesen und Ablagerungen entstandenen Kegelskugeln so perfekt rund geschliffen.

Beim dritten Stopp, dem "Unterseeboot", plagt uns der Wind nicht mehr und wir haben einen phantastischen Blick über das heutige Wüstental und das frühere Gebiet der ersten Dinosaurier. Americo, unser Führer, erklärt uns nun: "Hier im Ischigualasto-Tal herrschte im Trias tropisches Klima, den Gebirgszug der Anden gab es damals noch nicht. Der Regen vom Pazifik, der heute in Chile niedergeht, kam damals ungehindert bis hier. Eine Menge Skelette von den allerersten, eher kleinen Sauriern wurde in diesem Tal während der letzten Jahrzehnte gefunden. Die riesigen Saurier erschienen erst im Tertiär und wurden weiter im Süden, in Patagonien, zahlreich entdeckt. Das Ischigualasto-Tal war die Heimat der frühsten, grösseren Lebewesen, der Vorfahren der späteren Säugetiere. Noch lange ist hier nicht alles erforscht und ausgegraben. Eben erst wurde hier das älteste bisher gefundene Lebewesen überhaupt geborgen: ein "Coraptor", 228 Millionen Jahre alt. Nach Auffaltung der Anden-Kordillere veränderte sich das Klima, der Regen kam nicht mehr bis hierher und das Mondtal versteppte und wurde zur Wüste; mit fatalen Folgen...." Didaktisch brillant erläutert uns Americo auch die Evolutionstheorie und die geologischen Zeitalter, die an den verschieden farbigen Schichtungen des Gesteins "abgelesen" werden können, während wir träumerisch die von Wind- und Sanderosion geschaffenen Riesen-Skulpturen bewundern und dazwischen gewaltige Farne und unzählige gefrässige Saurier lebendig werden.

Blick ins weite Ischigualasto-Tal, das vor Urzeiten tropisch und von den ersten Sauriern belebt war. Die phantastischen Türme des "Unterseebootes". Die dauernde Winderosion wird sie in nicht allzu langer Zeit zum Einstürzen bringen.

- Weitere 100 km führt die einsame Strasse zum Talampaya-Canon, von dem wir einen winzigen Teil in offizieller "Camioneta" besuchen dürfen. Riesige braun - rote Felswände steigen senkrecht aus dem Wüstenboden, gegen 150 m hoch, oft kanülenartig. Die "Pietroglifos" der Urmenschen sind noch nicht entziffert: Wir sehen in die Felsen gehauene Tiere wie Guanacos und Menschen mit Kopflasten. Kondore kreisen über uns. Die Fahrt auf der offenen Camioneta ist nur wenige Kilometer lang, aber wir tauchen ein in eine uralte, unberührte und faszinierende Schlucht. 1994 wurden hier Riesenschildkröten gefunden, die dicht bei einander lagen und wie der Canon auch gegen 230 Millionen Jahre alt sein sollen.

Enorme Wände ragen im Talampaya-Canon rot und senkrecht auf

Der heftige, sandige "Zonda" peitscht uns noch vor Ende der Fahrt zünftig an fast allen Körperstellen. Hätte ich die Jacke nicht in San Augustin liegen gelassen, könnten wir jetzt mit dem netten deutschen Paar und ihrem gemieteten Camper weiter nach Villa Union, wie eigentlich geplant...doch alle "wenn" und "hätte" sind vergeblich! Dafür vermitteln wir Betty, der Lehrerin mit schmalem Budget, eine Mitfahrgelegenheit mit den Deutschen. Wir lassen uns halt die weite Strecke nach San Augustin - zeitweise dösend - zurück schütteln. Doch meistens öffnet sich ja bei negativ anmutenden Ereignissen unverhofft ein neues Türchen. Und dieses Türchen heisst ...

Rolf, der "andere" Schweizer
Meine kostbare Segeljacke hängt - zum Glück! - gut sichtbar im Innenhof beim Empfangstisch. Nachdem wir uns all den feinen Sand aus Ohren, Haaren und überhaupt weg geduscht haben, gehen wir ins "Stammrestaurant" Tauro und jassen vor dem Nachtessen. Wir sind die einzigen Gäste. Plötzlich kommentiert der eben eingetretene Mann vom Nachbartisch aus unsere Karten ... und das erst noch auf "schwyzerdütsch"! Wir beginnen mit dem sympathischen Landsmann zu plaudern und bald sitzt er zum Essen an unserem Tisch. Rolf lebt seit vier Jahren da, sehr bescheiden - anfangs in einem alten Bus - aber zufrieden, wie er sagt und auch aussieht. Er sei in Zug, trotz Direktorenjob und gutem Lohn, nie wirklich zufrieden gewesen....Wir haben bei einem einfachen Nachtessen einen vergnügten Abend zusammen und vereinbaren, dass wir ihn am kommenden Morgen besuchen: "Der Bus uf mym Land gseht dir sofort ..." Und wirklich, als wir am nächsten Morgen zu Rolfs Grundstück schlendern, fällt der alte Bus auf, an den er ein Häuschen gebaut hat. Rolf hat Freude, dass wir kommen.

Rolf freut sich über unseren Besuch
Auf der Finca begutachten die Männer den eingetauschten Traktor

Er zeigt uns das neue Schwimmbad, dem noch der Anstrich fehlt. Er will es gegen geringes Eintrittsgeld für die Dorfbewohner öffnen, denn es existiert keine Bademöglichkeit in der sommerlichen Hitze. Er hat auch ein ansprechendes Versammlungs- oder Festhäuschen gebaut, das er für Anlässe vermietet. Im Bus ist nach wie vor sein Schlafzimmer eingerichtet, im anschliessenden Häuschen die Küche und das Badezimmer. Für einen Junggesellen ganz gemütlich! Im Garten hat er Fruchtbäume und Kräuter angepflanzt, doch die "Finca", der Olivenhain, liegt 8 km ausserhalb des Dorfes. Mit dem alten Ford Falcon fahren wir hinaus. Unzählige grosse, grüne Papageie schnabulieren von den Bäumen und machen einen riesigen Krach. Der 24jährige Mario lebt sozusagen als "socio" in dem kleinen Finca - Haus, er erhält 50% des Gewinns. Doch vorerst müssen die Olivenbäume durch richtiges Schneiden und genügendes Bewässern wieder zu Ertrag gebracht werden und bis dem so ist, bekommt Mario noch einen bescheidenen monatlichen Lohn. Ein Junge schlägt Holz und macht für ein geringes Taschengeld "Wedele" (oder "Bündeli"). Rolf bringt sie dann ins Restaurant Tauro und bekommt dafür ab und zu ein Nachtesssen (deshalb haben wir ihn ja dort getroffen). So wird hier getauscht, denn Bargeld ist rar. Wir laden den bescheidenen aber zufriedenen Rolf noch "zum ene Bierli y" und verabschieden uns dann beim Busterminal.

Mystische Thermen in den Felsen und die Maya-Astrologie
An kilometerlangen Olivenplantagen vorbei, belästigt von ewig miserablen Videos im Bus, machen wir Zwischenhalt im sonntäglichen, charakterlosen Provinzstädtchen La Rioja (die Heimatprovinz von Menem). Die folgende Reise nach den empfohlenen Thermen von Fiambalà ist in öffentlichen Verkehrsmitteln unbequem: morgens nach 4 Uhr marschieren wir in der finsteren Kälte durch die menschenleeren Strassen, warten frierend, um im Doppelstöcker-Bus von Cordoba zwei Plätze zu erhalten. In Tinogasta steht ein alter Lotterbus und wir wenigen Verbliebenen müssen umsteigen. Doch die morgendliche Fahrt durch farbige, sonnenbeschienene Felsentäler wird prachtvoll. Das Dorf Fiambalà liegt als Oase in der Talebene. Der Besitzer des roten Taxi fährt uns gerne die 15 km in die felsigen Berge hinauf zu den Thermen. "Habt ihr Essen dabei? Sonst kauft ihr euch besser hier im Dorf noch Fleisch und Gemüse und.... denn oben gibt's nur einen kleinen "kiosco"." Also wird bei der Bäckerei und beim Gemüse- und Früchteladen Zwischenhalt gemacht, und schon haben wir das Nötigste zusammen. Bald haben wir die letzten Häuser hinter uns und fahren durch die gelbe Wüste den roten Bergen zu. Ziemlich oben zwischen steilen Felsen liegen sie versteckt: die Thermen von Fiambalà.

13 unterschiedlich warme Thermalbecken liegen in einmaliger, einsamer Berglandschaft untereinander. Hans geniesst die warme Massage.

13 unterschiedlich grosse Becken liegen terrassenförmig und dampfend übereinander, keines gleich wie das andere, meist sprudeln Wasserfälle ins nächst untere Becken. Das oberste ist am heissesten, denn da quillt das 70°C heisse Wasser aus dem Fels. Die unteren werden nach und nach etwas kühler. Eine kleine "cabana" - etwa 20 Meter über den Becken - bietet für Touristen 4 sehr einfache aber saubere Zimmer an. Wir stossen die beiden Kajüten Betten neben einander, denn wenn wir beide oben schlafen, können wir unseren einzigen Schlafsack als Decke über beide Betten legen. Die Glühbirne an der Wand dient so auch als Leselampe. Zum Glück hat es einen elektrischen Heizstrahler. Die beiden Plastikstühle und den kleinen Tisch stellen wir gleich auf den Vorplatz, denn jetzt gegen Mittag scheint die Wintersonne für ein paar Stunden über die hohen Felsen. Und nun brunchen wir inmitten von unzähligen "Gelbbrüsteli", von denen die frechsten schon vorher im Zimmer an unserem Brot pickten. Wir sind die einzigen Gäste. Nein, da sitzt etwas abseits und unscheinbar leise ein junger Mann und näht oder stickt. Zuerst ins Bikini und die paar Stufen runter ins warme Wasser. Später besuche ich den jungen Mann: Mauricio ist ein nomadisierender, argentinischer Kunsthandwerker, der sich hier auf einer der kleinen unteren Terrasse eingerichtet hat. Er schläft - nur mit Karton unter dem Schlafsack und ohne Zelt - auf dem kalten Boden und arbeitet tagsüber mit Stoff, Kürbissen, Avocadokernen usw. Es entstehen schöne Taschen, Mobile, Gefässe und andere schmucke Gegenstände, die er dann oft gegen Essen eintauscht. Geld hat er selten. Wir sind uns gleich sympathisch.

Der asketisch-nomadisierende Mauricio; auf den Knien eine selbst genähte Umhängetasche Der "kiosco-senor" frittiert die "empandas" für unser Nachtessen

Auf unserer Terrasse geniessen wir die Ruhe, die Wärme und den tiefblauen Berghimmel. Der Ort strahlt eine besondere Kraft aus. Doch leider verschwindet die Sonne schon um 15.30 hinter den hohen Felsen und gleich wird es kalt. Wir steigen dem Lauf der Thermalquelle entlang hoch und auf einem noch besonnten, warmen Felsklotz lesen wir bis gegen Abend. Nochmals in die heissen, dampfenden Becken und dann runter zum "kiosco", wo uns der sportliche Inhaber am einzigen Holztisch ein Nachtessen auftischt: feine "empanadas" - Fleischkrapfen die seine Senora im Dorf unten vorbereitet hat - werden zuerst frittiert und danach gibt's "milanesa" (panierte Plätzli), wie üblich trocken. Leider hat er keinen Salat. Wir trinken vom Landwein "vino patero", recht süss und stark, Sherry ähnlich. Mauricio, der sanfte Nomade, stösst zu uns. Er will nichts von unserem Fleisch, denn er ist Vegetarier (was in der Fleisch fressenden Nation Argentinien eine Rarität ist). Er isst nur etwas Brot und nippt am süffigen patero. Anschliessend holt er seine "Brujula maya", eine Arbeitsscheibe mit den Maya-Astrozeichen. Er stellt unsere Geburtsdaten ein: ich bin ein "mono" (Affe) und Hans eine "semilla" (Samenkorn). Danach deutet er uns detaillierter den ganzen Kreis mit den fremdartigen Symbolen. Ich bin überrascht, wie spirituell und positiv aufbauend die Aussagen sind, keineswegs fatalistisch bestimmend. Was Hans noch länger beschäftigt: Mauricio sagt am Schluss der Ausführungen zu mir, dass meine Seele jung sei, also noch nicht viele Reinkarnationen erlebt habe. Zu Hans sagt er darüber nichts, und so fragt ihn Hans danach. Seine Seele sei viel älter .... Was das wohl bedeuten soll? Hans möchte es wissen, aber erkundigt sich nicht. Doch später erwähnt er bei verschiedenen Situationen immer wieder mal halb ernst halb im Spass: "Meine Seele ist halt schon viel älter....." oder "Das kannst du von einer alten Seele nicht erwarten..." - Spät am Abend huschen wir in der eisigen Nachtluft die Stufen runter ins warme Wasser. Ueber uns deutlich die Milchstrasse und direkt im Zenith der ungewöhnlich helle rötliche Mars, nicht weit davon der Skorpion in seiner ganzen Grösse und etwas gegen Südosten das Kreuz des Südens. Ach, geht es mir gut: im weichen, warmen Wasser liegend kann ich in absoluter Ruhe den unendlichen Sternenhimmel in mir aufnehmen. - Am nächsten Morgen bitte ich Mauricio, mir eine Einführung in den Maya-Kalender zu geben. Das ganze ist komplex und ich verstehe die Zusammenhänge nicht, weiss aber am Ende, dass es sich um einen Mondkalender handelt, der mit den Umläufen der Venus kombiniert ist und wie die "Brujula" einzustellen ist. Da er noch eine zweite Arbeitsscheibe bei sich hat, kaufe ich sie ihm ab. Er ist sehr froh über die 13 Pesos, denn jetzt kann er sich beim Kiosco-Mann getrocknete Weinbeeren und etwas Brot kaufen. Und das zusätzliche Unterrichtsgeld, das er allerdings anfangs gar nicht will, reicht für ein Busbillet. - Am übernächsten Morgen - ich "schwadere" eben unter dem Wasserfall - kommt ein Herr die Stufen hoch: schwarze Lederjacke, elegante schwarze Hosen und glänzende Schuhe. Es ist unser Taxifahrer, der an seinem runden Geburtstag extra zu uns hochgefahren ist, um uns wie vereinbart zum Bus zu bringen. Er staunt nicht schlecht, dass ich gar nicht reisefertig bin! "Wurde ihnen nicht ausgerichtet, dass wir noch zwei Tage länger bleiben...und erst am Samstag nach Catamarca wollen?" Nun, Hans fährt dann mit ihm ins Dorf hinunter und kauft Früchte, Salat, Brot und Bier für uns und auch für Mauricio. Gute drei Stunden muss er mit den Einkäufen die heissen, baum- und weglosen Hänge wieder hochsteigen. Er kommt mit ganz gebräuntem Gesicht zurück. - Die vier Tage in der abgelegenen Berglandschaft mit den wohltuenden Thermen vergehen im Flug. Tagsüber kommen ab und zu ein paar Leute aus der Gegend zum Baden und Grillieren, doch gegen Abend sind wir wieder allein, essen, was uns der Kiosco - Senor zubereitet und liegen vor dem Schlafen nochmals ausgiebig im heissen Wasser. Der zunehmende Mond beleuchtet die steilen Felswände ringsum gespenstisch. Zum Abschied schenkt mir Mauricio ein selbst genähtes, stabiles Stoffetui zum Schutze meiner Maja-Brujula. Ist das ein gemütvoller junger Krebs-Mann! Gerne werde ich seiner Mutter die Foto zusenden, die wir von ihm machten. - Am 9. August entferne ich mich ungern vom mystischen Fiambalà.

Weiter im Norden liegt Cafayate
Wir reisen im Bus weiter nach Catamarca, einer sympathischen, quirligen Kleinstadt, mit etwas Indioeinschlag und sehr schönem Hauptplatz. Lange sonntägliche Wanderung und montags weiter: zuerst über Hügel, dann enormen Olivenhainen entlang und später, in der Ebene von Tucuman, durch riesige, unübersehbare Zuckerrohrplantagen, wo eben geerntet wird. Unzählige, unterbezahlte Tagelöhner (Männer, Frauen und wohl auch Kinder) tragen die Rohre zu Haufen zusammen und verladen sie dann auf Karren. Ein Traktor fährt mit bis zu vier Anhängern in die nahe Raffinerie. Früher war diese Gegend wegen des Zuckerrohrs sehr wohlhabend, heute wegen des gleichen Produktes, aber des schlechten Weltmarktpreises, eine der ärmsten Argentiniens, wo viele hungern müssen! - Wir steigen an einer Kreuzung bei Acheral mit einem jungen, gesprächigen Mineur um und fahren nun durch immer grüner und üppiger werdenden dampfenden Urwald. Die Rio-Sosas-Schlucht entführt uns mit riesigen Bäumen, Moosen und Baumschmarotzern für ein paar Stunden in den Amazonas! Doch je höher die Strasse sich schlängelt, um so trockener wird es, und wir erreichen die kahle Hochebene von Tafi del Valle (ca. 2000m). Uns gefällt das Kaff nicht: kein richtiger Dorfkern und die vielen Sommer-Ferienhäuschen der Tucumaner alle geschlossen. Der wunderschöne Vollmond lässt die abendliche Kälte noch eisiger erscheinen, und nach einem mässigen Abendessen in Pullover und Jacken schlüpfen wir frierend ins ungastlich kalte Bett. Doch am nächsten Tag erklimmen wir im Bus die Passhöhe und blicken über steppenartige Gebirge mit grossen Kandelaber-Kakteen hinunter ins weite, sonnige Oasental, wo wir bald das lustige Landstädtchen Santa Maria erreichen. Während der warmen Mittagsfahrt durchs sandige und trockene "Oasental" schlafen wir ein und erwachen erst, als wir im Weinort Cafayate einfahren. Oh, ist es hier schön! Warm, herrliches Licht bei tiefblauem Himmel, viele anmutende Beizli rund um die einladende Plaza, und ein Hotelzimmer ebenda. Zugegeben, es ist etwas touristisch, aber das hat auch seine Vorteile! Wir sitzen gemütlich auf einer Bank im Park, als ein Indio, wohl etwas debil, mit rauher Stimme "ab Blatt" (er hält einen Prospekt vor sich hin) jazzig singt und dazu geschickt mit schnalzender Zunge das Schlagzeug imitiert. Echt gut, und so klatsche ich ihm spontan Beifall in einer Pause. Doch das war wohl ein Fehler! Nun stürzt er sich auf uns, küsst mir die Hand nass und Hans aufs Haar, beginnt nochmals für uns zu singen und küsst uns wieder. Etwas zuviel Nähe jetzt! Ich gebe ihm noch einen Batzen und dann wandern wir in der nachmittäglichen Hitze die 3 km zur Bodega Etchart, einem berühmten Weingut, das auf Besucher eingerichtet ist und eine sehr gute Führung anbietet. Der Gründer Etchart kam vor über 150 Jahren aus Frankreich in diese abgelegene Gegend. Die riesigen, alten Eichenfässer kamen seinerzeit zerlegt aus Europa zu ihm. Jetzt werden jährlich 4 Millionen Liter "vino fino" - also bessere Qualiät - hergestellt und viel davon exportiert. Wurde bis vor kurzem vorwiegend Weisswein aus Torrontes Trauben gekeltert, hat die Bodega jetzt das Schwergewicht verlagert: da die Nachfrage mehr Rotwein verlangt, zweiten Etcharts viele Weissweinstöcke mit roten Sorten, vorwiegend Cabernet Sauvignon und Malbec. Der Boden und das Klima (gegen 350 Tage Sonne) sind ideal, allerdings werden die Rebstöcke regelmässig bewässert.

Eine schöne Bodega bei Cafayate

Nicht nur das Dörfchen sondern auch die Umgebung mit den farbig geschichteten Gebirgen sind wohltuend. - Im alten "Indio-Bus" fahren wir weiter durch bezaubernde Felstäler, einsame, wüstenhafte Gegenden und nur ganz selten ein paar Ziegen, eine Hütte bei einem Flüsschen. Später wird die Fahrt heiss und langweilig: Zuckerrohrfelder, Gemüsefelder, charakterlose Siedlungen... und dann ...

Salta, die vielgerühmte
Irgendwie gewinnt Salta "La Linda" (die Hübsche) unser Herz von Anfang an nicht: stickige Luft, heiss, viel Lärm und Verkehr. Der Weg ins Zentrum führt zwar durch einen Park, aber der ist ausgedörrt und ungepflegt. Die schönen, grossen Eukalyptusbäume werden eben gerade unfachgemäss massakriert. Für unseren Geschmack tummeln sich hier auch zu viele Touristen. Zugegeben, als Ausgangspunkt für Ausflüge liegt Salta ideal, doch die kulissenhafte Kathedrale und die neoklassizistisch, verschnörkelte San Francisco Kirche - beides Wahrzeichen der Stadt - lohnen die Reise für einen Europäer bestimmt nicht und Gebäude aus der Kolonialzeit haben wir auch anderswo schon gesehen. Fasziniert schauen wir gegen Abend allerdings den beiden Glöcknern im Campanile der Kathedrale zu, die in Schwerarbeit abwechslungweise an den grossen Pendeln zerren und zugleich die Glocke noch mit Schlägen zum Klingen bringen. Sie wechseln fliegend, so dass das Geläute keinen Unterbruch erleidet. Beim Nachtessen geraten wir beide - zum erstenmal auf dieser Reise -aneinander. Es ist wohl die Enttäuschung über Salta, die sich da Luft macht. Und nachts geht der Aerger weiter, und ich kann aus zwei Gründen kaum schlafen: die Metallfedern der neuen Matratze drücken mich in jeder Lage, denn der Sattler hat das Polster vergessen! Und ins Zimmer nebenan ziehen spät noch drei Argentinierinnen ein und schwatzen und lachen bis gegen 4 Uhr morgens, was man durch das dünne Wändchen hört, als wäre es im eigenen Zimmer. Die Schaumgummi-Ohrenpfropfen helfen da auch nicht! Mein höflicher Besuch bei ihnen gegen 2 Uhr fruchtet nur für einige Minuten. Das erste, was ich am nächsten Morgen vor dem Frühstück unternehme: neue Zimmersuche, mit Erfolg! Doch wir bleiben nur noch einen Tag hier, um dann über das Indiostädtchen Jujuy weiter in den Norden in die wunderschöne Quebrada nach Purmamarca zu reisen.

Die Quebrada in unzähligen Farbschattierungen
Nachdem die verkehrsarme Strasse sich der bunt werdenden Schlucht entlang hoch windet, steigen wir an einer einsamen Abzweigung aus und stellen uns darauf ein, dass wir die paar Kilometer ins abgelegene Bergdorf Purmamarca zu Fuss zurücklegen müssen. Doch wie gerufen, steht da ein "Remis" (billiger Taxi) und fährt uns hin. In der kleinen Pension Hostaje del Cerro, mit hübscher Dachterrasse, gibt uns Anibal ein Zimmer.

Hans und der schlaue Anibal auf der Dachterrasse der Pension Erster Spaziergang ums Dorf Purmamarca

Es windet zünftig durchs enge Tal und in den ungepflasterten Gassen des Dörfchens steigen staubige Windhosen auf. Auf unserem Spaziergang durch die Umgebung sehen wir auch Männern beim mühsamen Anfertigen der Erdbausteine (Adobe) zu, die luftgetrocknet für den Häuserbau in diesen regenarmen Gegenden geeignet und billig sind.

Die Erdbausteine werden mit Gras gemischt und nun an der Luft getrocknet Schaf- und Ziegenhaltung ist in diesen kargen Gegenden oft die einzige Einnahmequelle

Die nächsten Tage verbringen wir in weiten, einsamen Wanderungen an grossen Kakteen vorbei und klettern durch die einmaligen Farbgebirge. Oft trauen wir unseren Augen fast nicht: Können Berge und Felsformationen so bunt sein?

Unter immer tief blauem Himmel und in unglaublich bunten Bergen ist es herrlich zu wandern!

Die Tagestouristen beschränken sich auf den kleinen Rundgang ums Dorf und das erst noch meistens im Auto. Und gegen Abend sind sie wieder wie weggehaucht vom Wind. In der Pension bleiben die anderen wenigen Zimmer trotz des verlängerten Wochenendes in Argentinien leer, da Anibal immer wieder was los hat und weggeht und so die paar nachfragenden Gäste nicht aufnehmen kann. Ob der Pensionsbesitzer darüber glücklich wäre?

San Isidro, zwei Fussstunden abgelegen
Weiter nördlich wird die Quebrada weiter und beim einladenden Humahuaca ist sie nicht mehr so spektakulär. Gleich würde da ein Bus weiter in den Grenzort zu Bolivien fahren, doch als wir die Billete schon in den Händen haben, sehe ich einen kleinen gepflegten Bus, der mit Iruya angeschrieben ist. Iruya ist das fotogene Werbedorf des argentinischen Touristenbüros, doch es ist so abgelegen, das nur wenige Touristen die Beschwernisse der Holperfahrt auf sich nehmen. Schnelles Umstellen ist jetzt angesagt: die Billete für den Grenzort werden undatiert geschrieben ("fecha abierta") und schon sitzen wir mit ein paar andern Fahrgästen im Kombi, der dem vollen Iruyabus folgt, bis der eben später dann Platz für uns hat. So löst der Busbetreiber hier die Ueberbesetzung. Nach kurzer Fahrt auf der komfortablen Asphaltstrasse zweigt die Schotterstrasse dann nach rechts ab. 3 Stunden holpern wir durch steinige, meist eintönige Gegend. Die Farben der Quebrada sind weg. Ab und zu queren wir ein Bachbett, wo etwas Wasser fliesst. Ein paar Erdziegelhäuser, Vieh und kleine Indios tauchen auf und ein paar Esel. Auf dem Pass über 4000m sehen wir weit ins trockene, steinige Land, durchfressen von tiefen Schluchten. Ganz oben auf den Terrassen sind Felder und kleine Siedlungen. Strassen führen keine dorthin und so müssen die paar Indios, die mit viel Gepäck kurz nach der Passhöhe aussteigen, tief ins Tal hinunter steigen und dann auf der anderen Seit wieder steil hoch. Ganz schön weit! Ueber unzählige, staubige Kehren geht's hinunter ins Tal und am Schluss wieder hoch. Nach drei Stunden anstrengender Fahrt erreichen wir das Adlerhorst-Dörfchen Iruya (2730m) wo die Strasse aufhört. Ich finde eine Unterkunft in einem historischen Haus. Wanderung dem Bewässerungskanal entlang, der hoch über dem steilen Flussbett liegt und wir haben eine schöne Sicht aufs Dorf am Ende der Welt. Bei Dämmerung sitzen wir auf dem Mäuerchen vor unserem Zimmer am Hauptplatz, und da kommt der Baggerführer aus Tucuman von der Arbeit (er baggert weiter im Tal oben einen Wasserleitungsgraben aus), mit dem Hans ins Gespräch kam, als ich nachmittags auf Zimmersuche war. Er hat schlaue Augen, erzählt allerlei und sucht anscheinend einen ausländischen Investor für ein grösseres, landwirtschaftliches Projekt bei Tucuman. Danke schön, nichts für uns, denn CASIMU ist bereits ein genügend grosses und kostspieliges Unternehmen! Wir plaudern mit dem anregenden Typ, bis das Wassser im kleinen elektrischen Zimmerboiler warm ist und ich unter der Dusche verschwinde. - Zufällig schwärmt uns die alte und fast zahnlose Busbillet-Verkäuferin am nächsten Morgen vom etwa zwei Stunden entfernten San Isidro: "Da kommt man nur zu Fuss oder mit Maultier oder Lama hin, Strasse gibt es keine. Es liegt sehr schön und zu finden ist es leicht. Ihr steigt jetzt einfach etwa 2,5 km ins Tal hinunter und dann, wenn die Täler zusammenlaufen, folgt ihr links dem Flussbett mit dem schönen klaren Bergbach, etwa 5 km geht's dann wieder hoch...." Eine weitere Erkundigung bestätigt die Angaben der Alten. Das wollen wir versuchen. Allerdings ist es schon fast 10 Uhr und um 15 Uhr fährt der einzige Bus zurück nach Humahuaca. Die Billete haben wir bereits gekauft. Doch das sollten wir schaffen. Die Wanderung ist einmalig: unberührte und wohl kaum je erklommene rote Berge, ein natürlicher, sprudelnder Bergbach, den wir ein paarmal über grosse Steine hüpfend queren und schliesslich auf einer Terrasse ein paar Dächer. Nach etwas Kletterei erreichen wir die isolierte Dorfwelt: Wir begegnen erstaunten aber freundlichen und fröhlichen Menschen und wir trinken bei der uns einladenden Frau etwas (Sie führt den Laden des Dorfes, der alles Wichtige anbietet: Getränke, Gemüse, Früchte, Konserven, Brot, Hufeisen, Pickel usw. Alles werde mit den zehn Maultieren von Iruya hochgetragen, ebenso der Diesel für den Dorfgenerator, erzählt sie. Strom gibt's abends zwischen 19 und 22 Uhr, morgens nicht.) Wir steigen auch zum Schulhäuschen hoch und machen den beiden Lehrerinnen und Klassen einen Besuch. Die älteren Schüler haben morgens Unterricht, die kleinen am Nachmittag. Alle bekommen in der Schule die Mahlzeiten gratis. Im Klassenzimmer von Lisi, der "directora della escuela", macht alles einen sehr guten, geordneten und recht anschaulichen Eindruck. Die 14 Dritt- und Viertklässler sind liebe, ruhige Kinder und machen keinen Mucks, als ich mit Lisi plaudere. Eine Schülerin wischt mir Kreidestaub vom Pullover. Die Lehrerinnen arbeiten von Montag bis Freitag je morgens vier Stunden mit den älteren und nachmittags vier Stunden mit den jüngsten Schülern, also total 40 Stunden Unterricht. Die Wochenenden verbringen die Lehrerinnen in Iruya (woher wir eben kommen), in ihre Herkunftsstadt Salta ist es sehr weit, und da reist Lisi etwa monatlich einmal zu schulisch-administrativen Zwecken hin.

Bei Lisi und ihren 3. und 4. Klässlern in der weit abgelegenen Schule von San Isidro Zwei Stunden Rückweg durchs Flussbett zur Busendstation Iruya

- Leider müssen wir jetzt an den Rückweg denken. Wir kommen zügig voran, doch der Aufstieg am Schluss nach Iruya ist enorm heiss. Und so sitzen wir um 15 Uhr - es reichte zeitlich sogar noch für ein Mittagessen - im Bus nach Humahuaca zurück. Abends hören wir zum Nachtessen die beste Indio-Musikgruppe der ganzen Reise. - Am nächsten Morgen geht's weiter an die Grenze zu Bolivien.

 

Fortsetzung folgt demnächst:

2. Teil : Boliviens Altiplano
schwerbeladene Indiofrauen und Schuhputzerjungen - zu Pferd, im Geländewagen und zu Fuss durch die Naturwunder - die Minen von Potosi, ein Alptraum - das grösste Folklorefest Boliviens - La Paz, ein übervölkerter Kessel - auf alten Inkapfaden - Titicacasee und Isla de Sol

Abstecher nach Peru:
Arequipa "la linda"

3. Teil: Chiles Norden:
Arica und Iquique unter den Dünen - mit dem Mietwagen durch Oasen und über unwegsame Pässe - Vicuna und die Nobelpreisträgerin - Clark Stedes neustes Projekt - Popaico, 20jährige Erinnerung - ESO La Silla: das europäische Observatorienzentrum in der Wüste - der italienisch elegante Betrieb unseres Freundes Emilio - in der chilenischen Schweiz - CASIMU war brav

 

 
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