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Chilenische Geografie - Unendliche, unberührte Fjordlandschaft und ihre Tücken - Früchte der Zivilisation - Ode an den Regen - Golfo de Penas, mit pena! - Grober Pazifik - Weiter nordwärts: Luxus neben Armut und der Besuch zweier Geier - Die Insel Chiloe - Aufgelaufen, ges(tr)andet! - Porcelana: wundervolle Thermen und sterbende Lachse - Puerto Montt: vorläufiges Winterquartier

 

Bericht vom 30. April 2003

 

Chilenische Geografie
Wir haben ein wichtiges Ziel erreicht: nach drei Monaten sind wir vom südlichsten Teil Chiles (Kap Hoorn, 55°58' S) durch die unzähligen Schären und Fjorde gut in Puerto Montt (41°30' S) angekommen. Fast 2000 Seemeilen oder 3700 km haben wir zurückgelegt: oft im Regen, meist unter Motor, manchmal in heftigen Böen und widrigen Wellen, fast immer allein, stets in einer spektakulären, unberührten Berg- und Fjordlandschaft, begleitet von unzähligen Delphinen und unterhalten von lustigen Seelöwen. Für die Chilenen nördlich von hier ist Puerto Montt "der Süden" Chiles. Dass sich ihr enorm langes Land noch 1600 km - fast die Strecke Sizilien bis Hamburg - weiter in den Süden erstreckt, wissen die meisten nicht oder nur dumpf: "Cabo de Hornos: muy feo y peligroso, Punta Arenas: bonita" (Kap Hoorn: sehr bösartig und gefährlich, Punta Arenas: hübsch). Das sind etwa die Kommentare der Gebildeteren, wenn wir sagen, dass wir ganz aus dem Süden, von Puerto Williams und Kap Hoorn kommen. Dass sich aber eine immense unberührte Fjord-, Gebirgs- und Gletscherlandschaft weit im Süden ihres "Südens" erstreckt, ahnen die meisten kaum. Wir haben bisher keine Einheimischen getroffen, die die "canales" wie wir und ein paar wenige andere ausländische Jachten befahren haben. Und doch haben die Nordchilenen auch recht: Puerto Montt ist trotz allem im Süden, wenn ich mal den Vergleich mit Afrika anstelle. Hier sind wir immer noch mehr als 800 km südlicher als Kapstadt! Mir war vorher gar nicht bewusst, dass der Südzipfel Südamerikas so viel weiter in die Antarktis hinein reicht als der Süden Afrikas: Kap Hoorn liegt 22° südlicher als Kapstadt, das sind 1320 Seemeilen oder fast 2500 km (Sizilien - Oslo).
Das chilenische Feuerland und Südpatagonien sind kaum bewohnt. Bis etwa vor 100 Jahren lebten nomadisierende Indianer (Tehuelche und Yahgan) hier. Die Yaghan lebten als Wassernomaden in ihren Kanus, ernährten sich von Fischen und den unzähligen Meeresfrüchten und rieben ihre Haut mit Wal- oder Robbenfett ein, um sich vor der Kälte zu schützen. Das Feuer wurde stets im Kanu mitgefahren und durfte nicht erlöschen. Deshalb nannte Magellan, der erste Europäer, der diese unwirtlichen Gegenden befuhr und die rauchenden Kanus sah, das Gebiet "Tierra de los Humos" (Rauchland), was später in "Tierra del Fuego" (Feuerland) umgetauft wurde. Anfangs des 20. Jahrhunderts wurden die Indianerstämme und ihre Kultur innerhalb weniger Jahrzehnte fast komplett ausgelöscht: sie wurden von weissen Einwanderern verjagt oder gejagt und getötet, andere starben durch eingeschleppte Krankheiten - z.B. Masern - die sich epidemienhaft ausbreiteten. Eine Tragik und Schandtat, die wieder von der weissen, christlichen Rasse verursacht wurde! Pfui! -

Mein letzter Bericht endet in Puerto Natales (51° 43'S) , der Eingangspforte zum Parque Torres del Paine, wo uns meine Freundin Christiane und ihr Mann Werner besuchten. Nach zwei eindrücklichen Wandertagen im Nationalpark erledigen wir alle nötigen Kleinigkeiten, laden unsere Ankerplatz-Gastgeber Rudi und Cladis Eberhardt noch zum Nachtessen ein und machen uns nach 11 Tagen wieder auf die Reise.

Unendliche, unberührte Fjordlanschaft und ihre Tücken
Im Logbuch steht am 28. Februar - 3. März: "Endlich können wir mit dem nach unseren Wünschen ergänzten "Zarpe" (Fahr-Erlaubnis der Armada) aus der böigen Ecke (Puerto Natales) Richtung Canal White auslaufen. Wir kommen bei wenig Wind unter Motor prima voran und sind etwas vor Stillwasser bei der Angostura White. Wir passieren sie problemlos. Herrliche Inselwelt, sehr gut mit weiss-roten Baken markiert. An den Felswänden "kleben" viele der typischen kleinen Fischerboote, von denen aus gelbe Schläuche die Muschel-Taucher mit Luft versorgen.

Angostura White:eng und bis zu 8 Knoten Strom.

In der Caleta Chandler machen wir in der Einbuchtung, ganz nahe an der Felswand fest (GPS-Angaben im RCC-Guide komplett anders, so dass wir nicht sicher sind, ob es sie ist!). Super, auch wenn der SW-Wind etwas ins Heck bläst, wir liegen sicher und ruhig. Am nächsten Morgen sehen wir Condore kreisen, leider sehr hoch oben. Am Mittag scheint es weniger Wind zu haben, und wir "hangeln" uns durch den Kelp aus der kleinen Einbuchtung heraus.

Kelp: Riesenalge, zäh wie Gummi, wächst in den kalten Gewässern und bildet für uns fast unpassierbare Teppiche. In die Schraube verwickelter Kelp kann das Schiff manövrierunfähig machen! Sehr guter Indikator für felsige Untiefen!

Anfangs ist der Canal Santa Maria, der anscheinend oft eine "Gischt spritzende weisse Hölle" sein kann, recht ruhig. Zunehmend Sauwetter. Als wir fast rechtwinklig in den Paso Morla Vicuna einbiegen, bläst es uns mit 6 Bft. auf die Nase. Keine Sicht mehr und Regen, der wie Stecknadeln ins Gesicht sticht. Danke, nein, so war das nicht abgemacht!

Bei diesem Wetter hätte ein gedeckter Steuerstand seine Vorteile!

Wir wenden und ankern im nahen Canal Kirke bei den Wasserfällen. Nach einem gemütlichen Sonntag mit ein paar Sonnenstrahlen und einigen Böen brechen wir am Montagmorgen bei sehr tiefem Barometerstand aber weniger Wind und Regen auf. Anfangs läuft alles bestens: wenig Wind im engen Paso Morla Vicuna, der uns vorgestern so plagte und der Strom mit uns. Doch nach 13 Meilen, als wir in den Seno Union einfahren, sendet der uns kurze, unangenehme Wellen und einen starken Wind entgegen. Was soll's! Wir steuern den nahen Surgidero Allard an, wo es sofort ruhiger wird und ankern bereits am Mittag frei, umgeben von dunklen Delphinen. Später treffen uns einige "rachas" (starke Fallböen) von den Bergen hinunter, doch der Anker hält und es bildet sich keine wellige See. Eventuell wäre der Ankerplatz hinter dem kleinen, niedrigen Inselchen, wo nachts ein Fischer ankert, noch besser geschützt. Lesen, essen und Rotwein. Ruhige Nacht. Erst am nächsten Morgen sehen wir hoch oben einen Teil des eindrücklichen Gletschers."

Ein paar weitere Logbuch-Einträge:
4. März: "Romantischer Dixon Ankerplatz"
5. März: Im Canal Sarmiento melde ich dem nigerianischen Frachter "Concordia" unsere Position (QTH) zum Weiterleiten an die Armada. Der chilenische Lotse wünscht mir: "Disfruta la lluvia" (geniessen Sie den Regen); meinte er wohl bis Puerto Montt?! Später setzen wir für den Kreuzfahrer "Olympia Explorer" die Schweizer (Alinghi) Flagge. Schon blitzen die Kameras.
6. März: "Ruhetag wegen Dauerregen in der Caleta Moon Light Shadow". Nach sumpfigem Aufstieg, Blick in den aufgewühlten Pazifik.
7. März: Wir ankern in der legendären Bucht Puerto Bueno. Hier hat im 16. Jahrhundert Sarmiento mit seinen Leuten monatelang vergebens Drake aufgelauert.
8. März: "Wasserfälle überall. Regen und N-Wind begleiten uns treu und machen die Fahrt gegen Norden nicht angenehm. Im kleinen Durchgangskanal zum Canal Pitt bremst der Wind unsere Fahrt. Ueber die Nebel behangenen Felsen ziehen überall Wasseradern und Wasserfälle in die Tiefe. Oft mehr oder weniger senkrecht oder sogar überhängend. Wenn die Menschen auf den trockenen Cap Verden so etwas sähen: Wasser im Ueberfluss, von jedem Abhang hinunter! Wieder begleiten uns die dunklen Delphine durch "ihren" Canal. Ihnen macht das miese Wetter nichts aus. Da die Verhältnisse etwas weniger schlecht werden, forcieren wir unsere Fahrt, um noch vor Einbruch der Dunkelheit in die sehr gerühmte Bahia Tom zu gelangen. Aufhellungen ergeben einmalige Stimmungen in den dunklen Felsinseln.

Zwischendurch regnet es wieder. Wir erreichen den grossen Canal Concepcion früher als berechnet. Er macht uns die Ueberquerung zur Bahia Tom nicht schwer. Bald hängen wir an "vier Zipfeln" (ohne Anker) in der geräumigen Bahia. Leider flohen die schönen Enten, als Hans die Leinen an Land festmachte."
9. März: "Tiefer "Bergsee" und Charrua-Fall. Es ist Sonntag und regnet und wir lassen uns mit dem Frühstück Zeit. Nach Studium des Wetterfaxes und Begucken des sinkenden Baro wissen wir nicht, ob wir auslaufen sollen. Es scheint recht ruhig, doch aus der geschützten Bahia Tom ist das schwer zu beurteilen. Röbbi löst die Leinen und wir fahren los. Doch heute empfängt uns ein ekliger, hässiger Canal Concepcion. Wir kommen kaum voran, die Wellen sind kurz und konfus. CASIMU schlägt etwa hart auf mit dem Bug. Ach, was soll's! Heute will der Concepcion uns nicht! Doch umdrehen und am alten Ankerplatz wieder vier Leinen ausbringen?! Nein! Ich kann Röbbi überzeugen, bei diesen Bedingungen statt nach Norden, besser Richtung Westen, Canal Trinidad, in den Paso Caffin einzubiegen. Es wird etwas ruhiger, wir kommen besser voran, doch die Wellen sind auch hier konfus. Beeindruckende Fahrt um die Isla Topar in den Canal Brassey. Die Berge und Felsen sind hoch und "racha"-verdächtig, als wir in den Fjord zum Puerto Charrua einbiegen. Im fast runden "Bergsee" stürzt ein über 100 Meter hoher Wasserfall hinunter und ringsum erheben sich enorme bewaldete Felswände. Beim Eindunkeln treiben uns hinterlistige Fallböen vom Ankerplatz beim Wasserfall weg. Wir machen fast im Dunkeln im NW-Zipfel des Bergsees fest. Ruhige und bequeme Nacht."
10. März: "Mächtiger Pio XI. Der Baro ist gestiegen. Wir erwarten Wind, aber auch schöneres Wetter! Was gestern zur Plackerei geworden wäre, geht heute ganz einfach: wir durchfahren den Canal Wide wie auch den Canal Concepcion problemlos. Das Wetter wird schön und eine Zeitlang haben wir sogar den Strom mal mit uns! Schon fast ein Wunder! Der Baro steigt weiter bis auf 1021, was ganz ungewöhnlich hoch ist. Wir beschliessen den Abstecher zum riesigen Gletscher Pio XI zu machen, etwa 20 sm den Seno Eyre hinauf. Im Seno Eyre nimmt der kalte Gletscherwind gegenan zu, doch wir kommen unter Motor gut voran, umfahren die ersten Eisberge und tasten uns näher an den riesigen Gletscher heran. Immer wieder tauchen in diesem milchig eisigen Wasser dunkle Delphine auf. Dass das denen nicht zu kalt ist! Langsam bedeckt sich der Himmel, doch der Gletscher liegt noch im Sonnenschein. Wer weiss, wie das Wetter morgen sein wird. Wir fahren besser noch heute möglichst nahe zum Gletscher. Wir bestaunen den 4 km langen Gletscherabbruch in den Fjord, hören es donnern, doch näher ran getrauen wir wegen der vielen Eisblöcke nicht. Gegen Abend tasten wir uns durch Treibeis über den Seno zur Einfahrt zwischen den Inselchen. Delphine begleiten uns bis zum romantischen Ankerplatz in die ruhige, eisfreie Bahia Elizabeth. Der Baro steigt weiter: fast 1022!"

11. März: "Trotz hohem Barometerstand regnet es in Strömen. Alles im Schiff ist feucht. Die Bettwäsche besteht seit längerem aus Fleece-Leintüchern und auch für die Kopfkissen habe ich Ueberzüge aus Fleece genäht. Baumwolle speichert die Feuchtigkeit allzu sehr. Wir heizen und lassen uns Zeit. Ob wir noch da bleiben sollen? - Beim Ausfahren erwartet uns eine ganz andere Eisberg-Situation im Seno Eyre als am Abend zuvor. Der Wind hat viele Eisbrocken auf die Westseite getrieben. Zum Glück ist die Ausfahrt aus der Bahia Elizabeth nur mit kleineren Eisblöcken verbarrikadiert. CASIMU muss wohl oder übel durch die krachende und kratzende Schicht. Röbbi ist am Steuer, ich halte im Bug Ausguck. Bald wird die Fock ausgerollt und fast vor dem Wind können wir gegen Süden segeln. Heute, im fehlenden Sonnenschein, erscheint Pio XI bläulicher. Zum Glück haben wir gestern das schöne Wetter zu seiner Aufwartung genutzt. Röbbi setzt auch das Grosssegel und mit Schmetterlings-Besegelung rauschen wir an den Eisbergen vorbei. Ich sehe gackernde Hühner in Saphir-Farben, Ziegen in kristallklarem Glas, kämpfende Löwen in grau-schwarzen Farben, Gefässe in den herrlichsten Blau- und Grüntönen, moderne abstrakte Skulpturen in weiss-grau Tönen... wunderschöne Gebilde, doch gefährlich für CASIMU. Nur der siebente Teil guckt aus dem Wasser, der Rest ist hart, scharf und heimtückisch unter Wasser (Titanic lässt grüssen). Immer noch stehe ich in Kälte und Regen im Bug, halte vor allem Ausschau nach den glasklaren Gebilden, die man im wogenden Gletscherwasser kaum sieht. Wie eine Verkehrspolizistin weise ich manchmal den Weg durch die Eisberge mit Armbewegungen. Röbbi steht über Stunden nass und ungeschützt in Kälte und Nieselregen am Steuer. Wir machen 7 Knoten Fahrt und über Grund bis 8,5 Knoten!"

Früchte der Zivilisation
Nach zwei Wochen -seit Puerto Natales- gelangen wir in das idyllisch gelegene Puerto Eden, eine paradiesische Insellandschaft. Doch, o weh! Armselige Hüttchen, viele herumliegende Abfälle, einige eher beschränkt wirkende Menschen, die wenigen kleinen Läden fast ohne Frischwaren, obschon vor ein paar Stunden das wöchentliche Versorgungsschiff NAVIMAG vor Anker ging. Brot kaufen wir bei der Kochlehrerin der Schule und frische Fische tauschen wir gegen Rotwein bei den Fischern ein. Auch Diesel aus Fässern gibt's zu kaufen, dessen Qualität allerdings zweifelhaft ist. Dafür haben sie in der öffentlichen Bibliothek eine kleine Internetstelle (Satellitenverbindung), die auch wir sogar gratis benützen dürfen. Allerdings darf Röbbi seine Diskette mit dem Homepage-Update nicht verwenden! Schade! Die gemütliche Frau eines Polizeiangestellten wäscht mir eine Trommel Wäsche und will nichts dafür. Doch der Luxus-Artikel Schokolade ist immer willkommen.
- Einige Tage später fahren wir durch die zwei sehr schmalen Engen in den seenartigen Puerto Fransisco. Er soll das Startloch sein zur Ueberquerung des gefürchteten Golfo de Penas, einem offenen Stück Pazifik ( 47° Süd), in dem häufig widriges Wetter und Kreuzseen anzutreffen sind. Eine Art chilenische Biskaya. Als CASIMU vertäut ist, rudere ich - eine neue Lieblingsaktivität, da wir meistens keine grosse Auswahl an Bewegungsmöglichkeiten haben - ringsum zu den vielen Wasserfällen und Flüsschen, erkundige die Engen und die W-Einbuchtung dazwischen, die sich ebenfalls als Ankerplatz eignen würde.
Ich schmecke an verschiedenen Orten das Wasser. In der inneren Lagune, wo wir liegen, ist das Wasser trotz der Tide süss. So viele Frischwasser-Zuflüsse sprudeln. Am Sonntag, dem 16. März, ist das Wetter regnerisch und starker NW-Wind und grobe See angesagt, also ungeeignet für einen Start in den Golfo de Penas. Zudem erhalten wir von Edi, dem Bruder von Hans die Auskunft, dass ihre Mutter notfallmässig ins Spital eingeliefert wird, was uns natürlich Sorge bereitet.

neue Lieblingsbeschäftigung!

Ich setze mich wieder einmal an den Computer und schreibe die Stimmung hier nieder:

Ode an den Regen
Seit Stunden - nein, Tagen - klopfen die Regentropfen oft laut und klatschend, manchmal unaufdringlicher und fast zärtlich auf die Luken und aufs Deck. Die heftigen Schauer fegen jetzt gerade pustend und röchelnd wie sterbend - kämpfende Ungeheuer durch das Rigg und wenn sie sich im Vorbeisausen nicht festhalten können, lassen sie ein träges Fall oder eine lose Schot wütend klatschen. Es ist neben dem glucksenden Geräusch der Wellen, die an CASIMUs Rumpf torkeln, als wollten sie ihn necken, oft das einzige, was wir hören. Manchmal reklamiert Casimuli, unser Gummibeiboot, lautstark, weil eine Böe ihn jagt. Er schlägt an den Rumpf, als rufe er uns um Hilfe oder springt an seinem Platz über dem Schlafkajüten-Luk in die Höhe, was allerdings wegen seiner eingeschränkten Freiheit - er ist mit Leinen an Kopf und Fuss gefesselt- kläglich misslingt. Doch uns lässt es aufhorchen, da es nicht zu den gewohnten Geräuschen der Regentropfen passt. Wir sind ebenfalls gefangen, zwar nicht mit Stricken, aber im kleinen Raum des Schiffsinneren, wo es trocken ist und seit einer halben Stunde die vier Brotlaibe im Backofen verlockend duften. Wenn ich zum geschützten Niedergang rausgucke, sehe ich graue Regenschauer vorbei fliegen, die Bäume ringsum sind dunkelgrau undeutlich in ihren Konturen und verschwinden fast im Nebel. Ich beobachte, dass die kleine Gastlandflagge mal stramm nach hinten und bald wieder verwirrt nach vorne weist, als wüsste auch sie nicht, wohin sie sich in diesem ungastlichen Wetter wenden soll. Die CCS- und TO-Flagge sind nur noch ausgefranste fahle Fetzchen, die ums Ueberleben kämpfen. Ja, eigentlich ist diese immense Welt der chilenischen Schären nichts für Landtiere, nicht einmal Amphibien bevorzugen diese immer nasse und tropfende Region. Einzig Wasservögel, Seehunde und Delphine fühlen sich in dieser Sintflut-Gegend zurecht. Ja, und ein paar extravagante Jachties kämpfen und fluchen sich voran gegen Norden; in der Hoffnung, doch bald in weniger nasse und stürmische Gegenden zu gelangen.

Golfo de Penas, mit pena!
Logbuch-Eintrag vom 17. / 18. März: "Der Kontakt über Kanal 16 mit der Leuchtturmstation San Pedro (eingangs des Golfes) klappt von unserem Ankerplatz San Francisco aus bestens. So können wir die Bedingungen eingangs Golfo erfragen. Doch noch ist "marejada", also grobe See. Wir vertreiben uns die Zeit: Röbbi geht rudern und wandern, ich prepariere die etwa 3 kg vakuum-verpacktes Rindfleisch von Ushuaia: Ragout wird gekocht, ein paar Steaks mariniert und "suure Mocke" eingelegt. Das Ragout koche ich mit viel Zwiebeln, Knoblauch, Pelati, viel frischer Minze, die in Puerto Eden wucherte und etwas Zucker. Gegen Abend beruhigt sich das Wetter. San Pedro und Cabo Raper (N-Feuer im Golfo) melden je wenig Wind. Da auch der Baro steigt und der Wetterfax kein ankommendes Tief anzeigt, zurren wir auf und unter Deck alles fest und in einer guten halben Stunde sind die Leinen los und wir laufen aus. Die Strecke im Canal Backer gegen Westen ist etwas grob mit Gegenwind. Als wir unsere Ausfahrt über Funk ankündigen, melden die holländische Jacht "BOEKRAH" mit Gerhard und Marius und die belgische "F'MURR", die in anderen Buchten ankern, ihre Ausfahrt etwas später ebenfalls an. (Ein Start-Entschluss in kritischen Gewässern ist ansteckend, denn irgendwie wirkt es beruhigend, zu wissen, dass man nicht allein losfährt, obschon ja natürlich jede Jacht ganz auf sich abgestellt ist und man keine Sichtverbindung hat. Aber über Funk können wir die hinter uns liegenden beiden Jachten über die Verhältnisse informieren.) Um 19 Uhr haben wir den Faro San Pedro querab, und ich melde mich wie vorgeschrieben über Funk. Der Golfo de Penas empfängt uns mit ekligen Kreuzseen, genau so, wie sie öfters beschrieben werden. Der Wind ist unregelmässig stark, doch aus SW, so dass Röbbi Segel setzen kann. Trotz der vorherigen Einnahme von Stugeron, wird es uns beiden leicht schlecht. Die Sicht ist gut und es regnet nicht! Im Gegenteil: es klart zu einer wunderschönen Vollmondnacht auf. Wir beschliessen, durchzuziehen und nicht bei der Halbinsel Tres Montes Unterschlupf zu suchen, obschon Cabo Raper inzwischen N-Wind meldet. Der Wind wird vor Cabo Raper schwächer und so starten wir halt den Motor. Der Vollmond versteckt sich gegen Morgen hinter dicken Regenwolken. Das schwache Licht von Cabo Raper verschwindet für eine Weile, doch dann ist es wieder da. Zackige schwarze Felsen steigen in der Morgendämmerung auf. Die Pazifikwellen brechen sich an ihnen. Und wieder regnet es! Mit leichtem N-Wind steuern wir die verhüllten Gipfel der Bahia San Andres an. (Der eindrücklichste Berg wurde - wohl zum ersten Mal - von Darwin bestiegen.) Nach 16 Stunden haben wir die 96 Meilen überwunden, und der Anker fällt ganz hinten in der ruhigen und geschützten Bucht Caleta Suarez, wo uns lustige Seelöwen begrüssen, Magellanpinguine den Kopf unter Wasser halten, sobald wir in ihre Nähe kommen und viele andere Wasservögel leben. Leider ist die schöne Caleta etwas versaut von den Fischern: Plastik, Leinen und Netzresten liegen herum. Ich rudere in die hintere seichte Lagune und werde von ein paar neugierigen Seelöwen begleitet. Immer wieder tauchen sie auf, strecken Kopf und Hals senkrecht aus dem Wasser und gucken nach mir. Einmal taucht einer so nahe am Beiboot auf, dass er vor Schreck rückwärts kippt und untertaucht. - Die beiden anderen Jachten haben die Fahrt über den Golfo de Penas unterbrochen und haben bei Tres Montes Unterschlupf gesucht."

Grober Pazifik
Am nächsten Morgen ist es kalt, die Wolken ziehen rasch von Süden nach Norden und die Sonne scheint. Ideale Windverhältnisse, um im Pazifik draussen weiter nach Norden in die Bahia Pink zu segeln. Es wird seit sehr langem wieder einmal ein wunderschöner, sonniger aber kalter Tag. Die Pazifikwellen sind grob und hoch, doch der Wind mit 5 bis 7 Bft. gut aus SSW. Ausgerechnet an diesem Prachtstag fühle ich mich krank: Kopfweh, kalt, schlecht. Hans muss ausser der Navigation fast alles alleine machen. Doch er geniesst das rassige Segeln mit raumem Wind und steuert CASIMU voll Freude durch die beträchtlichen Wellen. Ab und zu singt er aus vollem Herzen ein Lied! Mit dem letzten Licht fahren wir nach 70 Meilen durch die heikle Einfahrt der Caleta Canaveral in Puerto Refugio. Und erst bei vollkommener Dunkelheit erreichen wir den Ankerplatz am Ende des Fjords. Wie ist das doch schwierig, die Distanzen bei Dunkelheit abzuschätzen! Doch wir schaffen es ohne Radar. Zum Glück müssen wir hier keine Landleinen ausbringen. Schon steigt der abnehmende Vollmond am wolkenlosen Himmel über die Berggipfel und gibt uns Licht.

Weiter nordwärts: Luxus neben Armut und der Besuch zweier Geier
Am nächsten Tag hören wir in der deutschen Welle, dass nun doch Krieg ist im Irak, trotz des heftigen internationalen Protestes. Der naive Blair erklärt der irakischen Bevölkerung, dass der Krieg nur gegen die Regierung geführt werde, nicht gegen sie. So ein Idiot! Wir sind weit weit weg und doch auch sehr nahe. Ich war im Oktober 1968 während meiner Asienreise im Irak. Erinnerungsfetzen steigen auf: gastfreundliche Fischer mit grossen, schweren Holzbooten im bunten Basra, riesiger "sukh" (arabischer Markt) im heissen Bagdad, Wüstenfahrten in uralten Bussen.... Seit Monaten leben die Menschen dort in Angst. -
Wieder folgen zwei Regentage, doch wir finden sehr gute und schöne Ankerplätze in der Caleta Mariucha und der Caleta Jacqueline. Beim Rudern beobachte ich ein kleines Otterchen und sehe im klaren Wasser Seesterne. Acht Tage nach Puerto Eden steuern wir das nächste bunte Fischerdorf Puerto Aguirre an. Es liegt auf einem Inselchen inmitten von unzähligen anderen kleinen und winzigsten Inselchen und Untiefen. Da die Seekarte nicht mit dem GPS übereinstimmt, ist es recht schwierig, dass wir uns nicht verlieren. Wieder mal ist Peilen angesagt. Ich notiere am 22. / 23. März folgende Stichworte ins Logbuch: "Puerto Aguirre: einmalige Lage, viele Abfälle, sympathische Begegnungen. Die zum Teil sehr bunten Häuschen haben häufig nur ein paar Scheiben in den Fenstern, die fehlenden wurden durch Plastik ersetzt. Ein beträchtlicher Teil der Indios scheint nicht ganz hundert zu sein. Inzucht? Viele, viele Hunde, auch sie zum Teil invalid und verwahrlost. Unzählige Fischerboote, meist in Gelb, immer aus Holz. Zwei Jungen bringen uns centolla (Königskrabbe) und die riesigen fleischartigen Muscheln Locos, die wir ihnen gerne abkaufen. Am Sonntag verlieren wir uns in der anderen Bucht bei der Kletterei und kommen nicht mehr weiter. Ein Fischerboot mit einem äusserst sympathischen jungen Ehepaar kommt uns "retten". Langer Schwatz vor ihrem Häuschen neben dem grossen neuen Holzboot, das im Bau ist. Die älteste Tochter, 15jährig, geht in Puerto Aysen zur Schule. Sie kann nur ein paar wenige Male im Jahr heimkommen. Das ist sehr häufig, dass die Kinder schon mit 14 oder15 Jahren weit weg von zu Hause ins "collegio" gehen und nur sehr selten nach Hause reisen können. In der Schweiz unvorstellbar!

Liebliche Landschaft bei Puerto Aguirre
Unser Fischlieferant mit seinem kleinen Bruder

- Vom armseligen Puerto Aguirre aus stossen wir in eine ganz andere Welt vor, nämlich zum Luxus Hotel Termas im Canal Puyuhuapi. Da wir die einzige Jacht sind und der Katamaran nicht da ist und in den nächsten Tagen keine Gäste bringt, dürfen wir am Hotelsteg festmachen. Man kann das ganz aus Holz erbaute Hotel nur übers Wasser erreichen, es gibt keine Strassenverbindung. Wir geniessen es, zwei Tage ausgiebig im Thermalbecken zu liegen und uns abends ein feines Menu servieren zu lassen.

Hotel "Termas de Puyuhuapi"
Don Emilio und seine Gäste beim Asado.

Wir lernen den italienisch-stämmigen sympathischen Don Emilio kennen, den Mitbesitzer der Privat-Marina in Puerto Puyuhuapi ist. Er lädt uns für den nächsten Abend zu einem Lamm- Asado in die schöne Villa in Puyuhuapi ein. Wir kennen das 7 Meilen entfernte Puyuhuapi schon: als wir am Vortag die Teppichmanufaktur besuchten und vor dem Dorf ankerten, setzten sich zwei grosse Geier auf unsere Mastspitze und zwar auf den feinen Windex und verbogen ihn total. Hans stieg danach im Bootsmannstuhl auf den Mast - wie praktisch sind doch Maststufen- und konnte den arg zugerichteten Windex wieder richten. Am nächsten Nachmittag legen wir am Steg der kleinen Privat-Marina an. Ein halbes Lamm wird von Juan, dem Wärter von Emilios Ferienhaus, am Spiess über Stunden sorgsam gedreht und gegrillt. Am späteren Abend kommen weitere Gäste dazu: drei deutsche Nachfahren der Gründer des Dorfes: Fritz, Helmut und Klaus Hopperdietzel. Alle drei sprechen perfekt deutsch. Der junge Helmut betreibt die kleine Teppichmanufaktur aus der Gründerzeit in den 30er Jahren immer noch. Weitere Gäste sind der geschwätzige und später recht betrunkene Chef der Ortspolizei, der lustige junge Inhaber zweier Autobusse, die Angestellten und Wärter des Hauses und die drei Yamaha-Fachleute aus dem fernen Santiago. Don Emilio, der Besitzer und Leiter einer Elektrofabrik mit 250 Angestellten in Santiago, hat nämlich an seiner Motorjacht zwei neue 260 PS Aussenborder montieren lassen (jeder kostete 40'000 Fr.) und kam deshalb mit den entsprechenden Fachleuten für eine Woche her. Für einen Tag erleben wir eine total andere Welt: Luxusmotorjachten, die die meiste Zeit ungenutzt bleiben und feudales Ferienhaus. Kaum hundert Meter weiter: alte lecke Fischerboote, die als Arbeitsboote täglich im Einsatz sind und dringend Unterhalt und Erneuerung brauchten. Doch beim Asado sind auch die Angestellten wie selbstverständlich dabei und essen mit ihren Familien tapfer mit. -

Am nächsten Tag verabschieden wir uns, und es geht weiter nordwärts. Das Wetter wird recht stabil und schön und wir ankern jeweils abends in wunderschönen Buchten: z. Bsp.Caleta Porvenir, die allerdings wegen der heftigen Böen und dem steil abfallenden Ankergrund als unsicher oder sogar gefährlich gilt und in der neuen Ausgabe des Führers nicht mehr erscheinen wird. Wir schlafen wegen des böigen Ostwindes mit Unterbrüchen, doch wir sind niemals in Gefahr. Nach einem kalten aber strahlend sonnigen Morgen, an dem Böen von den hohen Felswänden in den engen Canal Refugio sausen und zum Teil ziemliche Wellen aufwerfen, wird es ruhiger und wärmer. Bald liegen die schneebedeckten Berge klar und deutlich steuerbord und schon schlängeln wir uns durch die Inselchen der Bahia Islas oder Bahia Anihue. In der kleinen Südbucht finden wir vor einer schroffen Felswand in wunderschöner Umgebung einen Ankerplatz. Das ganze Gebiet gehört der Familie Szydlowsky (ich glaube es sind total 30'000 ha). Raquel Szydlowksy, die das grosse Holzhaus und die Tiere hütet, solange ihr Sohn weg ist, ist äusserst gesprächig und freut sich über unseren Besuch. Sie gibt uns viel Salat und feine Kräuter aus dem Gemüsegarten und geniesst am Abend das Nachtessen bei uns an Bord. In der Abgeschiedenheit schreibt sie ein Buch: Anekdoten von der Insel Chiloe. Ihr Mann lebt im anderen Haus ihres riesigen Grundstückes. Er ist Juan Carlos oder "JC" wie er im Patagonian cruising net, das er jeden Morgen um 9 Uhr leitet, genannt wird. Das ist eine Funkrunde (kHz 8164) unter Seglern in Patagonien, in der Informationen ausgetauscht werden. Wir machen da sporadisch mit. Wir verbringen drei wunderschöne, sonnige und warme Tage in Anihue mit ausgiebigen Ruderausflügen in die hintere Lagune, langen Spaziergängen bei Niedrigwasser, wo uns der Golden Retriever "Blondy" von Raquel gerne begleitet. Bei Dämmerung schwimmt immer ein Delphin um unseren Ankerplatz und jagt wohl. Im Bett hören wir jeweils sein lautes Schnaufen noch lange. Am 1. April segeln wir bei strahlendem Wetter gemütlich gegen Norden, entdecken auf der Höhe von Pallena (immer noch Grundbesitz der Familie Szydlowsky) einen blasenden Wal und finden zwischen den Inselchen durch in der Bahia Tic Toc den Ankerpatz Juan de Yates. Bei untergehender Sonne erkundige ich die Inselwelt rudernd. Diese Ruhe und Einsamkeit ist wohltuend und das fast tägliche Rudern ist zu einer Art Ritual und Meditation geworden.

Raquel, Blondy und der "Almirante"
Ausblick vom Ankerplatz Tic Toc

Logbucheintrag vom 2. April: "Mükkeli (meine Mutter) hat heute Geburtstag und ist seit gestern wieder im Spital! Es wird Zeit, dass ich heimfliege. - Nachts kommt etwas E-Wind auf und die Ankerkette schleift gelegentlich und weckt uns. Kaum sind die Leinen los, sind wieder ein paar Delphine da; grosse, schwere Delfinos oscuros, die uns das Geleit zwischen den Inselchen und Untiefen durch in den Golfo Corcovado hinaus geben. Ruhig liegt er da, fast windstill. Im Westen, gegen den offenen Pazifik zu, sehen wir mehrere Fontänen von Walen. Einige springen. Einer springt öfters hintereinander ohne Pause. Wieso?

Die Insel Chiloe
Die Bergsicht ist klar und der steile schneebedeckte Vulkan Corcovado liegt bald im Osten. Kein Schiffsverkehr, bis wir uns der Einfahrt zum Estero Huildad und somit auch der grossen Insel Chiloe (etwa gleich gross wie Korsika) nähern. Da hat's viele kleine Fischerboote und einige Salmoneras (= Lachszuchten). Gleich nach der stromstarken Einfahrt fällt unser Anker in 17 m Tiefe. Bei 5 bis 6 Meter Tidenhub müssen wir jetzt bei Hochwasser genügend Reserve haben. Spaziergang über Alpweiden bei Kühen und Schafen vorbei. Sehr schön, fast wie in der Schweiz!" Wir erleben zehn meist schöne Herbsttage und oft ideales Segelwetter. Die Insel und ihre Einwohner stellen in Chile etwas Besonderes dar (wieder drängt sich der Vergleich mit Korsika auf). Ueberall Hügel, mit vielen Wiesen und Wäldchen und noch mehr Bauernhäuschen und -hütten. Auf den Wiesen grasen Kühe und Schafe und auf den Feldern arbeiten die Bauern noch mit Ochsen vor den Karren. Fast jedes Dorf besitzt eine anmutige Kirche aus kunstvollen Holzschindeln.

Liebliche Landschaft!
Bis zu 8m Tidenhub können diese "Pfahlbauten" am Strand von Castro nicht stören.

Das macht von weitem einen recht idyllischen Eindruck. Doch leider verbarrikadieren viele, ja allzuviele Lachsfarmen die Buchten und belasten die Gewässer. Die Häuschen sind meist sehr armselig, die Mauern selten mehr von den traditionellen Schindeln gegen den häufigen Regen geschützt, sondern meist mit dem viel billigeren Blech überzogen. Viele der Chiloten erscheinen sehr stumpf, Alkohol scheint bei einigen Männern ein Problem zu sein. Der Wald wurde seit der spanischen Eroberung abgeholzt oder Brand gerodet und was jetzt nachwächst oder gepflanzt wird sind schnell wachsende Zypressenarten und Eukalyptus, der den Boden austrocknet und auf die Dauer sehr problematisch ist. Natürlich machen wir auch ganz nette Bekanntschaften und wir sehen wie schwer die Menschen arbeiten müssen, um ein bisschen Geld zu verdienen.

Ueber Stunden steht diese Frau im 12°C kalten Wasser und "grast" Algen.
Die getrockneten Algen werden als "Kosmetik-Rohstoff" nach Japan verkauft!

Don Ruben, der Guardia / Betreuer von Don Emilios Inselchen auf Buta Chauques versorgt uns mit frischen selbstgezüchteten Muscheln. Hans repariert tags darauf seine streikende Motorsäge.

Glücklicher Don Ruben!

Irgendwie deprimiert uns dieses armselige Leben im chilenischen "Freiburgerland" zunehmend. Wir leiden unter den allzu offensichtlichen Eingriffen der Menschen in die Natur. Das sind wir uns nicht mehr gewohnt. Wie werden wir erst eine Stadt wie Puerto Montt vertragen? Es ist uns etwas bange davor, und wir schieben die Anreise hinaus.- Vorerst überqueren wir den Golfo de Ancud und wollen noch die Thermen im Osten besuchen.

Aufgelaufen, ges(tr)andet!
Logbucheintrag vom 13. April: "Im kalten Nebel geht's bei Flaute von der Insel Chiloe weg Richtung Osten. Das Wetter wird gegen Mittag besser und so fahren wir statt in den sicheren Puerto Bonito gleich weiter in den sehr beeindruckenden Fjord Estero Cahuelmo, wo schöne, natürliche Thermen sind. Leider gibt's hier keine gute Ankermöglichkeit und der Estero hat einen sehr schlechten Ruf wegen den plötzlichen und stark auftretenden Westwinden. (Schon Hal Roth beschreibt in "Zwei gegen Kap Hoorn" wie er hier vor fast 20 Jahren seine liebe Mühe hatte!) Der vordere Teil des Fjords ist sehr tief, der hintere untief: von 80 m nimmt die Tiefe schnell ab auf praktisch nichts! Dazu gewaltige Tiden von 5 bis 6 m. Wir suchen nach einer geeigneten Ankermöglichkeit. Röbbi fährt und lotet den Grund ab: 76 m, 24 m, 10 m. Bei 10 m scheinen wir kurz den Grund berührt zu haben, doch das war ja wohl eine Täuschung! Doch wenige Sekunden später, bei der Tiefenangabe von 9,5 m sitzen wir fest! Lautlos, sanft und ohne Ruck, aber fest. Rückwärts motoren und krängen mit dem ausgebrachten Heckanker und Fall....alles vergeblich. Es ist unmöglich, frei zu kommen. Das Wasser läuft noch recht schnell ab. Vor uns erhebt sich eine Sandzunge. Neben CASIMU sehen wir überall den untiefen sauberen Sandgrund. CASIMU beginnt sich schräg zu legen, denn wir loten jetzt bei Ebbe nur noch einen Meter. Röbbi hat schon vor geraumer Zeit auch den Buganker platziert, damit wir nicht kentern!


"Abendstimmung" im Estero Cahuelmo!

Wir loten die Umgebung: etwa zwei Meter hinter dem Heck messen wir 20 m und mehr! Doch jetzt gibt's vorläufig nichts als warten, bis das Wasser wieder steigt. Hoffentlich kommen wir noch vor Einbruch der Dunkelheit frei! Wir haben sehr viel Glück: Kein Hauch bewegt die Luft. Also, das Ganze ist zwar unangenehm aber ganz ungefährlich. Damit ich nicht auf dem schrägen Schiff bleiben muss, rudere ich mit dem Bimbo zur Sandzunge und fotografiere. Danach untersuche ich auch die Wassertiefen der Umgebung, denn wenn wir frei sind, müssen wir vielleicht im Dunkeln ankern gehen. Gleich nördlich vom Strandungsplatz ist es tief, leider allzu tief. Ich beobachte, dass CASIMU sich langsam aufrichtet und so hole ich mit dem Bimbo den Buganker ein. Als wir wieder schwimmen, muss Röbbi den Heckanker mit 15m Kette aus über 25m Tiefe hochkrampfen, der Aermste! Als ich den Ankerplatz ansteure, sehe ich in der hereinfallenden Nacht die Felswände kaum mehr und wir ankern halt in 30 m Tiefe. Nun, bei Windstille ist das i.O. Doch etwa um 5 Uhr morgens weckt uns das Schleifen der Ankerkette und der Wind. Innerhalb von zehn Minuten bläst er bereits mit 15 bis 20 Knoten aus Westen (der Estero ist gegen Westen offen!) und nimmt noch zu. Schnell, in die Kleider und ins Oelzeug! In völliger Dunkelheit motoren wir schleunigst gegen Wind und zunehmende Wellen. Mit Hilfe des Radars und einem Wegpunkt finden wir den Ausgang aus dem unseligen, aber tiefen Estero Cahuelmo hinaus. Statt in den warmen Thermen zu liegen, frieren wir jetzt in dem starken Gegenwind! Im Estero Bonito suchen wir nach drei Stunden Zuflucht und dürfen in dem kleinen Einschnitt bei den Fischern an einem schwimmenden Häuschen festmachen. Ende gut, alles gut!"

CASIMU ist am "Schwimmdock" im Estero Bonito sicher verankert. Die Fischer bereiten die Köder für den Merluza-Fang vor.


Porcelana: wundervolle Thermen und sterbende Lachse

Zwei Tage später kommen wir doch noch zu wunderschönen Thermen. Ganz am Südende des Canal Leptepu liegt die geschützte Caleta Porcelana. Eine heisse Quelle sprudelt etwas erhöht aus dem bewaldeten Felsen und ergiesst sich in verschiedene Becken. Je weiter unten das Becken, um so weniger heiss das Wasser. Gleich nebenan fliesst ein sehr kalter grosser Bergbach. Wir sind ganz alleine hier in diesem zauberhaft dampfenden Wald und wechseln von heiss zu kalt die Flussbecken. Ach ist das schön!

Traumhaft unberührte Naturthermen! Es seien die schönsten von Chile!

Am nächsten Tag besuchen wir die nahe Salmonera (Lachsmästerei) und werden vom jungen Chef geführt. Bereitwillig zeigt er uns die moderne, bald Computer gesteuerte Zucht und gibt uns gerne Auskunft auf unsere Fragen. Die Angestellten sind eben tauchend dabei 30'000 (!) grosse Lachse aus den Grundnetzen der Bassins hochzuheben. Alle sind an Sauerstoffmangel gestorben. Der Chef erklärt: Es war längere Zeit zu schönes Wetter, das Wasser hat sich erwärmt, die grünen Algen haben sich vermehrt und zuviel Sauerstoff entzogen... Ich kann es kaum mit ansehen, wie die Lachse in den anderen Becken hoch in die Luft springen. 30'000 sind je in einem der 15 runden Becken von 25 m Durchmesser und 20 m Tiefe. Ein unwahrscheinlicher Stress muss das in diesem engen Raum für die wanderfreudigen Fische sein! Wir essen keinen Lachs mehr. -

Salmonera: Vom zentralen Futtersilo aus wird jedes der 15 Becken automatisch über eine Rohrleitung mit Futter versorgt. Die Salmonera-Crew besucht CASIMU. Die Fischindustrie ist fast der einzige und deshalb wichtigste Arbeitgeber in diesem Gebiet.

Puerto Montt, vorläufiges Winterquartier
Als wir am Ostersamstag, den 19. April, nach einem geselligen Karfreitag mit chilenischen Motorbootfahrern in den Thermen Caleta Los Banos nach Puerto Montt segeln wollen, überrascht uns ein starker Nordwind und wir müssen einen Fluchthafen suchen. Im Puerto Pilolcura, 23 sm vor Puerto Montt, finden wir hinter Muschelzuchten einen geeigneten Ankerplatz. An Ostern schwächt sich der Wind etwas ab, und wir segeln Richtung Puerto Montt, wo wir im Club Nautico Reloncavi festmachen. Wir haben am Karfreitag den Präsidenten des Clubs kennengelernt, und er hat uns die Marina bestens empfohlen. Da liegt CASIMU jetzt an einem Schwimmsteg vertäut und wir haben seit länger als einem halben Jahr wieder einmal Strom- und Wasseranschluss und sehr komfortable neue Duschen.
Wir reisten letzte Woche auch schon per Bus nach Valdivia, um die Stadt und die Marinas dort zu begutachten. Valdivia ist hübscher und geordneter als Puerto Montt, doch im Moment haben wir keine Lust, CASIMU zu überführen, da wir auch noch nicht genau wissen, was wir in den Wintermonaten machen werden. Um in den Pazifik nach Westen zu segeln, ist es zu spät. Wir bekämen wegen der Hurrican-Saison, die bereits im Dezember beginnt, ein zu grosses Gehetze. Hier herum wird es Winter und kalt oder regnerisch. Was können wir Sinnvolles tun? Es geht uns wie einem Studenten nach grosser Prüfung: wenn man sie erfolgreich bestanden hat, fällt man etwas in ein Sinn-Loch. Als wir von Valdivia über das argentinische Bariloche fuhren - um bei der Wiedereinreise nach Chile unsere Aufenthaltsbewilligung von 90 Tagen zu reaktivieren- dünkte es mich, als würde ich den Winter am liebsten hier in dieser grandiosen Berg- und Seenlandschaft in einem Haus (mit vielen Tieren) verbringen....Im Moment haben wir (noch) keine konkreten Ziele. Ich und wohl auch Hans haben etwas genug vom engen Schiffsleben und wir machen CASIMU für einen längeren Hafenaufenthalt klar: die Segel wurden gewaschen und weggeräumt... Sie sind bei einem Stimmungswechsel ja bald wieder montiert! - Ich fliege am 1. Mai in die Schweiz zu meinen Eltern.

Puerto Montt, den 30. April 2003 Heidi Brenner

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