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Vor mehr als einem Monat - am 27. November- starteten
wir mit neuem Mut in einer wieder gereinigten und bestens
vorbereiteten CASIMU von Ingeniero White nach Süden,
der Halbinsel Valdes entgegen. Ich hoffte, dort noch
die bald wegschwimmenden Glattwale mit ihren Jungen
zu sehen.
Mit angenehmem NE-Wind fliegen wir mit 6 bis 8 Knoten
gegen SW, passieren am nächsten Tag den grossen
Golf von San Matias und umschiffen die gefährlichen
"overfalls" an der Nordostecke "Punta
Norte" der Halbinsel Valdes mit mehr als 10 Meilen
Abstand. Südlich der Halbinsel Valdes, in der Einfahrt
zum Golfo Nuevo dreht der schwache SW- Wind netterweise
auf SE, nimmt zu und schiebt uns durch die Einfahrt
nach Westen. In den recht beträchtlichen Wellen
tauchen plötzlich von hinten kleine schwarz-weisse
"Torpedos" auf. Es ist eine Art Delfine, die
wir bisher noch nie sahen. Sie sind auf den ersten Blick
wie "Mini-Orcas", klar schwarz und weiss gezeichnet
(Flossen, Oberkopf und Schwanz schwarz, Rücken
und Bauch weiss) und heissen "Tonina overa"
oder "Commerson- Delfin". Zu dritt rasen sie
an CASIMU vorbei, drehen dann aber wieder, tanzen neben
unserem Cockpit echte Pirouetten, als wollten sie uns
eine Akrobatikvorstellung geben, überholen uns
wieder, um das Spiel von neuem zu beginnen. Was für
ein netter Empfang im Walgolf! Bei herrlichem, abendlichem
Sonnenschein und wundervollem, südlichem Licht
fällt unser Anker nach 343 sm und etwas mehr als
zwei Tagen im tiefblauen Wasser des "Fondeadero
Cracker", einer nach Norden offenen Bucht mit imposanten
Tafelfelsen. Hoffen wir, dass der Wind nachts nicht
nach Norden dreht, sonst müssten wir wohl wieder
los. Fast eine Woche verbringen wir nun im Golfo Nuevo
(fast 43° Süd): In der Bucht von Pyramide begegnen
wir einem springenden Glattwal und einem, der uns seine
Fluke zur Schau stellt; leider bleiben es die einzigen.
Die meisten Muttertiere sind wohl anfangs Dezember mit
ihren Jungen bereits nach Süden in die antarktischen
Gewässer unterwegs. In Puerto Madryn, wo leider
eine ruhige Anlegestelle für Jachten fehlt, dürfen
wir an einer oft heftig tanzenden Boje des "CNAS"
Club Nautico Atlantico Sud festmachen und werden als
einzige ausländische Jacht herzlich empfangen.
Gleich am ersten Abend schon werden wir zu einem Geburtstags-Asado
im Clubhaus eingeladen, wo wir viele sympathische Segler
und Meeresbiologen kennen lernen. Diese Leute sind sich
sehr bewusst, welch reiche Fauna die unverdorbene Gegend
des Golfo Nuevo beinhaltet. Es gibt viele Naturreservate
und das "Whal-watching-Buisness" scheint kontrolliert
und nicht übermässig zu sein. Das "Ecocentro"
ist ein didaktisch sehr gut eingerichtetes Informationszentrum
über die Zusammenhänge des Lebens im Golf
und wird von Schulklassen aus ganz Argentinien besucht.
Das freut uns immer wieder, dass die Argentinier (mindestens
die, die wir kennen lernen) auf den natürlichen
Reichtum ihres Landes sehr stolz sind und ihn lieben.
Es wird auch viel Aufklärungsarbeit unternommen
und das Studienfach "Meeresbiologie" scheint
von sehr vielen engagierten Jungen gewählt zu werden.
Die argentinischen Umweltschutzgesetze sind von den
fortschrittlichsten weltweit. Leider ist die Kontrolle
des Fischfangs in dem über 4000km langen und 200km
breiten Meeresstreifen enorm schwierig, da auch die
finanziellen Mittel der Prefectura Naval (Küstenwache,
Umweltschutzbehörde) sehr beschränkt sind.
Es gibt eine grosse Anzahl illegaler, ausländischer
Gross-Fischerboote (Japaner, Koreaner, Spanier...) die
den Fischreichtum gefährden.
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Geburtstagsasado im CNAS
German Perez, der Comodore des CNAS, ist ein
passionierter Freitaucher und fischt in Tiefen
bis 20m. Heidi hat eine seiner Beuten zu einem
wunderbaren Nachtessen zubereitet. Muchos gracias
German y Heidi!
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Am 7. Dezember, einem herrlich sonnigen Tag in einer
imposanten Felsbucht, ist es so weit: Der Wetterfax,
den Hans täglich über Kurzwellen hereinholt,
zeigt eine stabile Wetterlage und baldigen Nordwind
an. Nach einem frühzeitigen Nachtessen verstauen
wir alles und lichten noch vor Sonnenuntergang den Anker,
um aus dem liebgewordenen Golfo herauszusegeln und am
nächsten Abend in der 110Meilen südlich gelegenen
Bahia Janssen (bei Punta Tombo, einem riesigen Pinguinreservat)
zu ankern. Schliesslich ist ja morgen, am 8. Dezember,
der Geburtstag von Hans und da möchten wir doch
wenn möglich ruhig am Anker liegen und bei einem
feinen Nachtessen einen kostbaren argentinischen Rotwein
geniessen. Euphorisch steuert Hans in Kappe bei frischem
Wind und rauschenden Wellen in die klare Sternennacht
dem Golfausgang entgegen. Die Lichter der Eingangskaps
sind schwach und kaum sichtbar und die Einschätzung
der Distanz ist sehr schwierig. Doch ich habe natürlich
unseren GPS programmiert und Wegpunkte eingegeben, was
die Navigation enorm erleichtert. (Die Navigation ist
der Bereich der Bordfrau, neben Kochen und Planung der
Einkäufe. Hans ist für den seemännischen
und technischen Bereich zuständig. Beide haben
wir im Gebiet des andern höchstens "beratende"
Funktion, d.h. wir passen auf, einander nicht "dri-z'schnurre".)-
Also, Hans steuert in seinen Geburtstag hinein und erst
draussen im Südatlantik setzt er die Windsteuerung
ein und legt sich schlafen, während ich nun wache.
Ist das ein Segeln, wenn der Wind von der "richtigen"
Seite mit der "richtigen" Stärke bläst
und der Tidenstrom auch noch "richtig" läuft.
Mit 8kn über Grund schieben uns Wind, Strom und
Wellen nach Südwesten. Es ist nichts zu hören,
als das gurgelnde Rauschen der Wellen. Kein Segel schlägt
und CASIMU reitet elegant und lautlos über Wellenberge
und durch Wellentäler. Alles läuft prima,
doch mit zunehmender Besorgnis beobachte ich, dass der
Wind nicht nach NW (wie er sollte!) sondern eher noch
nach NE gedreht hat. Und für östliche Winde
ist die weit nach Osten geöffnete Bahia Janssen
ungeeignet. Wo sollen wir den bloss den Geburtstag von
Hans feiern? Trotz allem, wirft Hans am Nachmittag den
Anker mit viel Kette bei ziemlich heftigem Wind, Wellen
und Schwell in der geplanten Bahia Janssen. CASIMU tanzt
temperamentvoll. Ich koche frühzeitig die von Hans
gewünschten "Spaghetti al tonno", dekoriere
als ersten Gang einen reichhaltigen, gemischten Salat
mit Frühlingszwiebeln und frischem Basilikum aus
Puerto Madryn und wir trinken einen feinen Tropfen.
Gehabt ist gehabt und gegessen ist gegessen. Wer weiss,
ob wir noch vor Einbruch der Nacht wieder los müssen,
falls Wind und Wellen zunehmen oder noch ungünstiger
drehen. Doch im Gegenteil: als Geburtstagsgeschenk dreht
der Wind nach Norden - das felsige Cap schützt
uns nun besser - er lässt auch nach, die Wellen
beruhigen sich und wir können nach dem Nachtessen
im Cockpit noch ein gemütliches "Jässli"
klopfen und nachts herrlich ruhig schlafen. Morgens
erblicken wir kleine Magellanpinguine am Ufer. Schnell
pumpt Hans das Beiboot auf und rudert uns zum Strand.
Das Landen geht ohne allzu nass zu werden, was wir bei
den Wassertemperaturen um die 10°C zu vermeiden
suchen. In grossen Gruppen stehen die süssen kleinen
Magellanpinguine mir ihren dekorativen schwarzen "Halsbändern"
am Ufer. Einige planschen und waschen sich ausgiebig,
die meisten scheinen einfach am morgendlichen "Stamm"
teilzunehmen. Weitere Dutzende "füdele"
von ihren unzähligen Bruthöhlen hinunter zum
Kiesstrand. Wir setzen uns leise in ihre Nähe.
Anfangs beachten sie uns kurz oder stoppen ihren Marsch.
Doch keine fünf Minuten später, werden wir
gar nicht mehr wahrgenommen. Die Bruthöhlen liegen
unter niedrigem Pampagebüsch und Männchen
und Weibchen wechseln sich ab beim Brüten. Die
Paare bleiben ein Leben lang zusammen. Wie sorgsam und
geduldig sie sich gegenseitig das Gefieder mit dem scharfen
Schnabel reinigen und wie zärtlich, ja fast erotisch,
sie miteinander "schnäbele". Da könnten
wir Menschen noch einiges von ihnen lernen!
In Tagesetappen erkunden wir die südlichen Breitengrade
von 43° bis 45°: herrliche Ankerplätze,
meist Fjorde in unberührter Natur, sehr einsam,
die nächste "Estancia" meist in ziemlicher
Distanz. Vielleicht nicht für jedermann, doch wir
geniessen es sehr und erkunden zu Fuss auch die trockene,
hügelige Pampa. Wir stossen auf Guanacos und Nandus
(Straussart) mit ihren Jungen, sehen Gürteltiere,
Hasen, Füchse und unzählige Vogelarten und
natürlich immer wieder Magellanpinguine.
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Guanacos und Pinguine |
Das Wetter ist häufig sonnig und angenehm warm
und es ist bereits etwa 16 Stunden lang hell. Eigenartig,
dass die argentinische Atlantikküste südlich
von Mar del Plata allgemein als unwirtlich und ohne
geeignete Häfen für Segler verrufen ist. Die
argentinischen Segler kennen den Rio de la Plata und
Punta del Este in Uruguay und schwärmen dann von
Ushuaia (wo aber kaum einer von ihnen mit dem Segelboot
war!). Südlich von Mar del Plata schaudert sie:
heftige Winde, vor allem aus SW, Fronten und schlechtes
Wetter, Kälte, keine Häfen oder guten Ankerplätze.
Wenn einer die Strecke segelte, dann meist non-stop,
wie auch einige ausländische Segler: sie reicht
von 38° bis 55° Süd, also etwas mehr als
1000 Meilen oder 2000km. Und das, ohne etwas von der
patagonischen Küste zu sehen! Das konnte unser
Ziel nicht sein. Wir wollten die Küste kennen lernen
und so suchte ich detaillierte Seekarten, Literatur
und holte bei verschiedenen Stellen und Personen Erkundigungen
ein. Die Resultate waren eher mager: Detailkarten konnte
ich zum Teil kaufen oder vom Prefecturaschiff "DERBES"
kopieren. Der Kapitän und die Offiziere konnten
uns ein paar Tipps und Informationen über Ankerbuchten
geben. Doch wir haben als kleines Segelboot nicht die
gleichen Bedingungen wie ein grosses Motorschiff. Ein
Führer für Segler, wie es das für die
chilenischen Kanäle gibt, existiert nicht. Ausser
dem "South America Pilot" Band 1 und 2 von
der britischen Admiralty und dem argentinischen "Derrotera"
gibt es anscheinend nichts. Schade! Von Seglern bekamen
wir auch ein paar wenige Informationen und sogar drei
Skizzen von Buchten. Das war alles für einen Küstenabschnitt
von fast 2000km! Wir sind angestachelt "Neuland"
zu erkunden. Und es lohnt sich!
So ankern wir als nächstes in der grossen Bucht
mit Inselchen "Puerto Santa Elena": ein natürlicher
einsamer "Hafen", nur nach Osten offen, ringsherum
kahl und hügelig ohne Spuren menschlichen Lebens.
(Was auf der Seekarte als "Puerto" angegeben
wird, ist nie ein "Hafen", sondern bestenfalls
ein geschützter, einsamer Ankerplatz.) Wir wandern
ausgiebig durch die trockene menschenleere Pampa mit
den scheuen Schafen, erblicken hinter einem Berg ein
paar Bäume und ein Haus. Ein jüngerer "peon"
(Viehhüter)) wohnt hier allein und lädt uns
ein, hereinzukommen. Strom, fliessendes Wasser und Fernseher
hat er nicht, nur einen mit Gas betriebenen Kühlschrank
und ein kleines Radio. Ein sehr anhängliches Schäfchen
folgt ihm auf Schritt und Tritt: er hat es mit Nestlé-Trockenmilch
gross gezogen, da das Mutterschaf starb.
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Sein Gärtchen pflegt er liebevoll. Hinter Windschutz-Mauern
wachsen Tomaten, Petersilie, Erbsen, Salat. Alles muss
bewässert werden. Er trägt das Wasser von
der nahen Quelle zum Haus. Im Schopf liegt in Plastik
verpackt die Wolle der 1500 Schafe, die vor etwa einem
Monat geschert wurden. Vier Pferde weiden etwas abseits.
Er reitet das Gebiet zur Kontrolle ab, wie das hier
allgemein üblich ist. Diese Estancia sei klein
mit 7000 Hektaren (70qkm). In Patagonien gibt es solche
von 500qkm. Die nächsten Nachbarn leben ein paar
Kilometer entfernt, man würde sich aber ab und
zu treffen. Etwa alle Monate mal fahre er über
die ausgewaschene Naturstrasse ins nächste Dorf,
das 90 km oder 3 bis 4 Stunden entfernt sei. Eine zufällige,
sympathische Begegnung, die uns einen kleinen Einblick
in das einfache, einsame aber zufriedene Leben eines
Peones gibt. Unsere Frage, ob schon mal ein Segler hier
vorbeikam, verneint er. Er hätte mal auf seiner
Tour einen in der Bucht vor Anker liegen sehen, doch
das sei schon eine Zeitlang her und käme selten
vor.
Der nächste Tageshalt ist die enge kleine "Caleta
Sara", ein Fjord, der sich ins Landesinnere schlängelt.
Hier hat es sogar eine Fischerboje, die wir benutzen
dürfen. Schwoikreis und Wassertiefe reichen bei
Niedrigwasser für unser Schiff gerade. Wir wandern
durchs Naturschutzreservat "Cabo dos Bahias"
zu den Pinguinbrutstätten und den Mähnenrobbenfelsen.
Unterwegs begegnen wir wieder Guanacos und Nandus. Die
sind öfters gemeinsam anzutreffen. Beide profitieren
zu ihrer Sicherheit von einander: Guanacos hören
und riechen sehr gut, Nandus sehen prima. Ein Feind
hat also kaum Chancen, sich ihnen unbemerkt zu nähern.
Bei den Pinguinen gibt's noch zwei Touristen, die uns
der Reservathüter bereits als Schweizer angekündigt
hat. Dani und Corinne sind mit ihrem umgebauten Pinzgauer-Camper
unterwegs. Geplant sind zwei Jahre von Buenos Aires
zuerst nach Feuerland runter und dann nach Alaska hoch.
Ob ich mit ihnen tauschen möchte? Nach kurzem Abwägen
verneine ich das innerlich. Abends essen wir im einzigen
kleinen Haus beim Ankerplatz, das auch ein Beizli mit
warmen Duschen ist (herrlich!) und bekommen ....natürlich
Fleisch! Mit zunehmender Dämmerung nähern
sich Füchse und Gürteltiere dem Haus, um das
vom Beizer bereitgestellte Futter und Wasser zu naschen.
Nach Berechnung der Strömung laufen wir am nächsten
Morgen aus, ums felsige, malerische Cabo dos Bahias
Richtung Insel Leones. Da der Wind schwach ist, können
wir ohne Gefahr den engen Kanal zwischen dem Festland
und der Insel befahren. Doch die Angabe, dass der Strom
bei Hochwasser kippe, stimmt irgendwie nicht. Es ist
zwar Hochwasser, aber der Strom läuft nicht mit
uns, sondern mit 4 Knoten (fast 8kmh) gegen uns. Was
soll's, wir kommen mit Motor immer noch mit 3 Knoten
voran. Plötzlich taucht ein grösseres Schlauchboot
wie aus dem Nichts hinter der Insel hervor und steuert
direkt auf CASIMU zu. Drei Männer im Oelzeug sitzen
darin. Den einen erkenne ich an seiner blonden, lockigen
Mähne sofort. Es ist der berühmte "Gioci",
von dem uns in Puerto Madryn Fotos gezeigt und so viel
erzählt wurde. Er ist mit seiner etwa 9m langen
Segeljacht "Wanderer" bis im März mit
Meeresbiologen hier unterwegs, um die Mähnenrobben-Bestände
zu registrieren. Er kommt zu einem Schwatz zu uns, denn
er hat auch schon von uns gehört. Mitten im Kanal,
bei mittäglicher Sonnenwärme, Motorenlärm
und eingeschaltetem Autopiloten (wir haben immer noch
2 Knoten Strom gegen uns) unterhalten wir uns gegen
eine Stunde an Ort und Stelle.
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Gerne besichtigen die drei auch unser Schiff, von dem
sie hell begeistert sind. Von ihnen erhalten wir den
Tipp, in die kleine, malerische Caleta Leones einzufahren
(von der sie eben her kamen), um Pinguine und Mähnenrobben
zu besuchen. Wir wandern durch die stachelige Dürre
der unbewohnten Insel zum verfallenen Leuchtturm hinauf
und dann den Hügel hinunter zu den vielen Pinguinhöhlen.
Wie weit die entfernteren zum Wasser watscheln müssen,
sicher 500m! Unten am Strand liegen mehrere Gruppen
Mähnenrobben und sonnen sich. Riesige Machos dominieren
je eine Gruppe. Ich will mich ihnen vorsichtig nähern,
habe aber nicht bemerkt, dass eine einzelne Robbe nahe
bei mir liegt. Plötzlich wälzt sie sich mit
grossem Lärm ins Wasser und löst Alarm aus.
Bewegung kommt in die trägen grossen Leiber, ein
enormes Geplantsch, Wellen laufen übers ruhige
Wasser, die meisten Tiere tauchen ab ins Wasser. Sorry,
das wollte ich nun wirklich nicht, euch beim Mittagsschläfchen
stören! Bald strecken sie ihre Köpfe und Hälse
senkrecht aus dem Wasser und gucken angestrengt nach
dem Strand hin. Ob die Luft wohl wieder rein ist und
sie das Sonnenbad wieder aufnehmen können? Für
uns wird es Zeit zu CASIMU zurück zu rudern. Doch
o weh, in der Zwischenzeit hat der Strom zugenommen
und auch der Wind und wir sind unsicher, ob Hans uns
mit Ruderkaft allein zurückbringen kann. So unternimmt
er vorerst einen Versuch allein, um evt. den Beibootmotor
montieren zu gehen. Doch es geht wieder Erwarten gut
und so werde ich vom Gondoliere abgeholt und nach Hause
gerudert. Ich bin von dem herrlichen Tag auf der kleinen
Tierinsel ganz beglückt. Für die Nacht fahren
wir in die sehr sichere "Caleta Horno", ein
mehrfach gewundener, enger Fjord inmitten von roten
Felsen. Als einziges Schiff haben wir genügend
Schwoikreis und ankern in dem sehr gut haltenden Grund
frei. Ringsum sind die Felsen nicht sehr hoch, also
sollte CASIMU von keinen allzu heftigen Fallböen
geschüttelt werden. Nein, hier kann uns wirklich
kein Sturm was anhaben. Doch in der Nacht hält
mich ein starker Nordwind wach: Unser Heck ist sehr
nahe am Felsen und bei meinen ängstlichen, nächtlichen
Kontrollgängen scheint es mir, als würden
wir bald hart aufsitzen! Hoffentlich hält der Anker!
Hans ist weniger beunruhigt und überzeugt, dass
der Ankergrund gut ist und kein Grund zur Sorge besteht.
In den folgenden vier Nächten schlafen wir so ruhig
wie oftmals in den brasilianischen Buchten. Am Morgen,
bei Ebbe sind einige der Felsen ringsum dicht mit leckeren
Muscheln besetzt. Allzu gerne würde ich einen Kessel
voll ernten. Doch leider ist hier wie auch in Feuerland
die "marea roja", eine giftige Alge vorhanden,
die wir zwar nicht sehen können, die aber die "mariscos"
und "mejillones" (Krustentiere und Muscheln)
für den Menschen hoch giftig machen und ihr Konsum
lebensgefährlich ist. Schade, das hätte unsere
Menukarte bereichert. Gegen Mittag läuft die britische,
kleine Segeljacht "Vire Nord" mit dem sympathischen,
jungen Geologenpärchen Charmain und Mike ein. Wir
kennen sie seit Buenos Aires und sassen etwa zusammen,
um Informationen und Kartenmaterial auszutauschen. Seit
unserem Sturm-Erlebnis haben wir sie nicht mehr begegnet
und nur noch per e-mail von einander gehört. Wir
haben alle Freude, uns wiederzusehen und zu plaudern.
Charmain sagt mir, sie hätte während des grässlichen
Sturms (der uns so ja so quälte und bedrohte) für
uns gebetet; sie waren damals zum Glück im sicheren
Hafen. Drei weitere, eigentlich unbeschwerte Tage folgen:
wir unternehmen Gummiboot-Fahrten die Caleta hinauf
zum Süsswasser, Wanderungen über Klippen und
durch die steppenartigen Hügel, wo immer wieder
auf den Kreten die Guanaco-Männchen Wache halten
und zu quietschen anfangen, sobald sie uns hören
oder witttern. Doch irgendwie beschleicht mich eine
Krise. Ist es die Anspannung über die noch bevorstehenden
10° oder 600 Meilen (1100km) Starkwind-Gebiet, die
uns von allen Argentiniern als so schrecklich geschildert
wurden? Ist es die Sorge, um den Gesundheitszustand
meiner lieben aber weit entfernten Mutter? Ist es die
Musse, die wir eigentlich jetzt geniessen könnten,
die ich so schlecht vertrage? Ist es die Enge dieser
felsigen Caleta? Fehlen mir die berufliche Herausforderung
und die Kontakte zu Hause halt doch? Ich weiss es nicht,
vielleicht alles gemeinsam und noch mehr. Aber auf jeden
Fall läuft das Ganze in eine Missstimmung und kurzfristige
Krise, die auch Hans demotiviert und wir überlegen
uns, ob die nächste Etappe zurück nach Norden
nach Buenos Aires führen soll, um das Schiff zu
verkaufen und das Unternehmen abzubrechen sei..... -
Nein, wir laufen am nächsten Tag bei hohem Barometerstand,
vielversprechendem Wetterfax und starkem Nordostwind
nach Süden aus, überqueren den 120 Meilen
langen Golf von San Jorge, der uns als permanentes Starkwindgebiet
geschildert wurde. Wir haben wieder eine Herausforderung
und die Stimmung an Bord ist schnell wieder gut. Meine
Krise ist wie vom Wind weggepustet oder von den Wellen
weggeschwemmt. Hier im Golf können sich die Wellen
ganz beträchtlich aufbauen. Gegen Abend bläst
der Wind mit 7 Beaufort und die Seen lassen uns Berg-
und Tal fahren. CASIMU verhält sich vorbildlich
und lässt die Wellen, die von achterlich hochnäsig
ins Cockpit reingucken und wohl gerne einsteigen würden,
ins Leere laufen. Wir segeln trocken, ausser ab und
zu einem kleinen Spritzer von einer Welle, die sich
auf Schiffshöhe bricht. Doch für alle Fälle
haben wir beim Niedergang das Steckschot montiert ...
man weiss ja nie, es gibt ab und zu aussergewöhnlich
freche und aufdringliche Wellen. Nachts ist das Meer
wie verzaubert: die Wellenkämme ringsherum und
unser Fahrwasser leuchten strahlend weiss, ja fast grünlich
phosphoreszierend. Gebannt schaue ich auf die Disco-ähnliche
Beleuchtung ringsherum. Ganz geheuer ist sie mir nicht.
Am nächsten Mittag wollen wir mit einlaufender
Tide in Puerto Deseado einfahren. Ein Westwind von 35
Knoten setzt uns entgegen und beim Einfahren in die
Ria bekommen wir ein "Versuecherli" der baldig
vorherrschenden Windstärken. Da auch hier keine
Infrastruktur für Jachten vorhanden ist, dürfen
wir am Schiff der Prefectura Naval festmachen, Duschen
und sogar die Waschmaschine benutzen und ein junger
Marinero kommt zu uns aufs Boot und bringt uns selbstgebackene
Spezialitäten.
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In der Ria Deseado entdecken wir bei einem Ausflug
mit dem Beiboot neben Robben, Pinguinen auch Kormorane
(Cormoran gris).
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Um an Land zu gelangen, müssen wir vorerst über
mehrere Schiffe und Strickleitern hoch klettern. Gut
für unsere Fitness! Zwei Tage später sind
drei weitere Jachten eingetroffen (2 britische - darunter
unsere Freunde mit der "Vire Nord"- und eine
französische) und wir liegen nun in zwei Zweierpäcklein
am grossen Prefecturaboot. Am Abend, wir haben gerade
fertig gegessen und getrunken und die Sonne ist gerade
am Untergehen um 21.30, meldet uns ein marinero, das
Schiff der Küstenwache müsse zum Schlichten
auslaufen, da im Golfo San Jorge auf einem Fischkutter
Streit ausgebrochen sei und die Messer gezückt
worden seien. Wir fahren mit dem letzten Licht und bei
wenig Wind in die Ria hinaus, Richtung Kormoranfelsen,
um zu ankern. Am Morgen ist unser "Mutterschiff"
noch da - der Streit habe sich ohne ihr Dazutun gelegt-
und wir können bei zunehmendem Wind alle vier wieder
an Mamis Rockzipfel festmachen. Wir fühlen uns
wie aufgeschreckte Spatzen, die sich gleich darauf wieder
auf dem selben Ast niederlassen.
Am 23. Dezember laufen wir morgens aus, um am Heiligabend
in San Julian, ca. 130 Meilen entfernt, ankern zu können.
Gerne möchten wir dort einlaufen, obschon die Einfahrt
sich über viele Barren und wandernde Sandbänke
windet und die Einweisungssignale nicht zuverlässig
sind. Aber schliesslich ist dieser Ort so geschichtsträchtig
und wir haben das Buch "Magellan- Der Mann und
seine Tat" von Stefan Zweig beide fasziniert gelesen:
vor fast 500 Jahren - auf der Suche der Passage nach
Westen - überwinterte hier Magellan mit seiner
Flotte von fünf Schiffen und einer immer unzufriedener
werdenden Mannschaft. Es kam zur Meuterei, zwei Kapitäne
wurden hingerichtet, zwei weitere Männer in dieser
Einöde ausgesetzt. Nur 57 Jahre später wiederholte
sich an diesem düsteren Ort eine ähnliche
Szene: Der englische Pirat Francis Drake, der die Geschichte
von Magellan sehr wohl kannte, wiederholte am gleichen
Ort dieselbe blutige Tat: auch er liess seinen Kapitän
köpfen. Welch ein düsterer Ort! Ob man dort
noch etwas von dieser schlimmen Energie spürt?
- Doch unser Barometer fällt und fällt und
Westwind mit Spitzen von über 50 Knoten verunmöglicht
eine Ansteuerung des im Südwesten gelegenen San
Julian. Schade! Nach kurzem Beidrehen beschliessen wir
Kurs Süden zu nehmen und halt an Weihnachten unterwegs
zu sein. Der Weihnachtstag ist herrlich sonnig und wir
geniessen die mässig starken Winde aus dem nördlichen
Sektor. Um Mitternacht, zu Beginn des 26. Dezembers,
befinden wir uns auf der Breite von Cabo Virgenes, dem
Eingang zur Magellanstrasse, allerdings ziemlich östlich
davon. Wir machen gute Fahrt, 7 Knoten und steuern nun
die "Isla de los Estados" oder "Staateninsel"
im Osten der Le Maire -Strasse an. Diese Insel ist ein
unbewohntes Naturreservat mit recht hohen auch im Sommer
schneebekränzten Bergen und wilden tiefen Fjorden.
Ein dichter "Urwald" verhindert fast überall
ein Erkunden oder Besteigen der Gipfel. Früher
steuerten die Yamana-Indianer die geheimnisvolle Insel
mit ihren Baumrindenbooten an, wohl zu kultischen Handlungen.
Viele Dreimaster wurden nach dem Umrunden von Cap Hoorn
hier auf die Klippen getrieben und erlitten Schiffbruch.
- Der Wind dreht gegen Abend auf SE, unsere Zielrichtung.
Wir drehen bei. Vor Dunkelheit könnten wir sowieso
keinen Ankerplatz mehr erreichen. Allzu lange wird er
nicht so wehen. Und wirklich, schon um 20 Uhr, zwei
Stunden später bläst er mit neuem Elan aus
SW, zuerst mit 6, später in der Nacht mit 7 Beaufort.
Mit stark gerefften Segeln können wir den Kurs
von ca. 70° am Wind halten und machen 7 Knoten Fahrt.
Gemütlich ist es nicht, die See kocht, als wir
die Le Maire- Strasse nördlich queren. Zudem ist
die Sicht eingeschränkt und wir haben das Radargerät
eingeschaltet, um allfällige Tanker oder andere
Schiffe auszumachen. Die Kraft des Meeres hat schon
etwas Grossartiges, aber sie ist auch Respekt einflössend.
Früh am Morgen erreichen wir die Staateninsel und
die Bahia San Antonio. Schwarz grau und bedrohlich erheben
sich die felsigen hohen Berge in den düsteren,
regnerischen Morgen. Ob wir bei diesem Wellengang und
starkem Wind in den engen Einschnitt von "Puerto
Hoppner" einfahren können? Weisse Gischt und
brechende Wellen zeigen uns jetzt bei Niedrigwasser
deutlich, wo die Untiefen liegen. Schon sind wir durch
die Einfahrt und befinden uns in der ersten äusseren
und sehr tiefen Bucht. Das schwarze Wasser ist wie glatt
gebügelt und nur einzelne Böen künden
noch vom starken Wind. Hans pumpt das Beiboot auf, denn
wir müssen in der engen inneren Bucht Leinen an
Land ausbringen, damit CASIMU sicher liegt. Ich taste
mich unterdessen unter Motor zur engen zweiten Einfahrt
vor, um mal zu schnuppern. In der Mitte der etwa 25
Meter breiten Einfahrt liegt ein grosser Felsblock,
links und rechts davon sind jetzt bei Niedrigwasser
etwa 7 bis 8 Meter breite Durchgänge. In welchem
Durchgang schwimmt weniger Kelp (eine gummiartige, sehr
grossblättrige Algenart)? Gibt es noch viel Gezeitenstrom
und in welcher Richtung? Für die kurze aber sehr
enge Durchfahrt muss Hans das Steuer übernehmen.
Und jetzt befinden wir uns in einem ruhigen kleinen
Seebecken, wo es hinter Inselchen verschiedene "Verstecke"
gibt.
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Die Einfahrt ist recht eng und hat Strömung.
CASIMU versteckt sich hinter den Felsen vor den
Fallböen.
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Eine Jacht liegt zu unserem Erstaunen bei der Mündung
des Flüsschens vor Anker. Es ist die deutsche "Auryn"
mit Bernt und Christie, die wir bereits von Salvador
her kennen und ins Herz geschlossen haben. Sie haben
uns gemailt, dass ihre brasilianische Katze schwanger
sei, und ich das Katzengeschirr auf jeden Fall behalten
solle...Es ist noch zu früh am Morgen, um sie zu
wecken. Gegen Mittag, als wir hinter einem Inselchen
- man kann CASIMU nicht sehen - Anker und Leinen ausgebracht
haben, fahren wir mit dem Beiboot zur Auryn. Christie
und Bernt staunen nicht schlecht, als sie ein Beiboot
aus dem Nichts auftauchen sehen. Alle haben wir grosse
Freude uns hier, an diesem sehr einsamen, unbewohnten
Ort wiederzusehen. Nun kann ich mich gleich nach dem
ungefähren Niederkunftstermin erkundigen. Natürlich
adoptiere ich gerne ein Kätzchen! Denn eine Schiffskatze
fehlt mir sehr!
Nach 4 Tagen haben wir die 510 Meilen bis hierher zurück
gelegt, ohne Probleme, allerdings mit dem notwendigen
Respekt vor Starkwinden und plötzlichen Wetteränderungen.
Und nun liegen wir also bis ins neue Jahr hier in dieser
grandiosen, unberührten Bergwelt. Der Ausblick
nach Westen, zum grossen Wasserfall, ist wie der Blick
von Adelboden zu den Engstligenfällen - der Wildstrubel
dahinter sieht einfach etwas anders aus, und es hat
keine Bergwanderer ausser uns! - Bereits haben wir gestern
die ersten Erfahrungen mit den "Williwaws"
(heftige Fallböen von bis zu 60 Knoten oder mehr)
gemacht. Ich hatte ziemlich Unbehagen, doch Hans hat
ausser dem Anker noch vier lange Leinen zum Land gezogen
und die werden täglich überprüft und
oft auch ihre Position verbessert! Also Hans hat täglich
draussen mit Beiboot und Leinen viel zu tun. Ich glaube
das wird zu seinem neuen Hobby: Beiboot fahren, Leinen
festmachen und umhängen. Er meint heute Mittag
: "Ich könnte ja für den CCS einen Kurs
anbieten: "Wie befestige ich Leinen am Land richtig".
Kursort: natürlich "Isla de los Estados",
54° 46' Süd, 64° 25'West."
Puerto Hoppner, Isla de los Estados, 30. Dezember 2002
Heidi Brenner
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