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Einsame Ankerbuchten in Patagonien - Magellanpinguine und Mähnenrobben - Starkwind und Williwaws - Ankunft in Feuerland

Bericht vom 30. Dezember 2002
 

Vor mehr als einem Monat - am 27. November- starteten wir mit neuem Mut in einer wieder gereinigten und bestens vorbereiteten CASIMU von Ingeniero White nach Süden, der Halbinsel Valdes entgegen. Ich hoffte, dort noch die bald wegschwimmenden Glattwale mit ihren Jungen zu sehen.
Mit angenehmem NE-Wind fliegen wir mit 6 bis 8 Knoten gegen SW, passieren am nächsten Tag den grossen Golf von San Matias und umschiffen die gefährlichen "overfalls" an der Nordostecke "Punta Norte" der Halbinsel Valdes mit mehr als 10 Meilen Abstand. Südlich der Halbinsel Valdes, in der Einfahrt zum Golfo Nuevo dreht der schwache SW- Wind netterweise auf SE, nimmt zu und schiebt uns durch die Einfahrt nach Westen. In den recht beträchtlichen Wellen tauchen plötzlich von hinten kleine schwarz-weisse "Torpedos" auf. Es ist eine Art Delfine, die wir bisher noch nie sahen. Sie sind auf den ersten Blick wie "Mini-Orcas", klar schwarz und weiss gezeichnet (Flossen, Oberkopf und Schwanz schwarz, Rücken und Bauch weiss) und heissen "Tonina overa" oder "Commerson- Delfin". Zu dritt rasen sie an CASIMU vorbei, drehen dann aber wieder, tanzen neben unserem Cockpit echte Pirouetten, als wollten sie uns eine Akrobatikvorstellung geben, überholen uns wieder, um das Spiel von neuem zu beginnen. Was für ein netter Empfang im Walgolf! Bei herrlichem, abendlichem Sonnenschein und wundervollem, südlichem Licht fällt unser Anker nach 343 sm und etwas mehr als zwei Tagen im tiefblauen Wasser des "Fondeadero Cracker", einer nach Norden offenen Bucht mit imposanten Tafelfelsen. Hoffen wir, dass der Wind nachts nicht nach Norden dreht, sonst müssten wir wohl wieder los. Fast eine Woche verbringen wir nun im Golfo Nuevo (fast 43° Süd): In der Bucht von Pyramide begegnen wir einem springenden Glattwal und einem, der uns seine Fluke zur Schau stellt; leider bleiben es die einzigen. Die meisten Muttertiere sind wohl anfangs Dezember mit ihren Jungen bereits nach Süden in die antarktischen Gewässer unterwegs. In Puerto Madryn, wo leider eine ruhige Anlegestelle für Jachten fehlt, dürfen wir an einer oft heftig tanzenden Boje des "CNAS" Club Nautico Atlantico Sud festmachen und werden als einzige ausländische Jacht herzlich empfangen. Gleich am ersten Abend schon werden wir zu einem Geburtstags-Asado im Clubhaus eingeladen, wo wir viele sympathische Segler und Meeresbiologen kennen lernen. Diese Leute sind sich sehr bewusst, welch reiche Fauna die unverdorbene Gegend des Golfo Nuevo beinhaltet. Es gibt viele Naturreservate und das "Whal-watching-Buisness" scheint kontrolliert und nicht übermässig zu sein. Das "Ecocentro" ist ein didaktisch sehr gut eingerichtetes Informationszentrum über die Zusammenhänge des Lebens im Golf und wird von Schulklassen aus ganz Argentinien besucht. Das freut uns immer wieder, dass die Argentinier (mindestens die, die wir kennen lernen) auf den natürlichen Reichtum ihres Landes sehr stolz sind und ihn lieben. Es wird auch viel Aufklärungsarbeit unternommen und das Studienfach "Meeresbiologie" scheint von sehr vielen engagierten Jungen gewählt zu werden. Die argentinischen Umweltschutzgesetze sind von den fortschrittlichsten weltweit. Leider ist die Kontrolle des Fischfangs in dem über 4000km langen und 200km breiten Meeresstreifen enorm schwierig, da auch die finanziellen Mittel der Prefectura Naval (Küstenwache, Umweltschutzbehörde) sehr beschränkt sind. Es gibt eine grosse Anzahl illegaler, ausländischer Gross-Fischerboote (Japaner, Koreaner, Spanier...) die den Fischreichtum gefährden.

Geburtstagsasado im CNAS

German Perez, der Comodore des CNAS, ist ein passionierter Freitaucher und fischt in Tiefen bis 20m. Heidi hat eine seiner Beuten zu einem wunderbaren Nachtessen zubereitet. Muchos gracias German y Heidi!

Am 7. Dezember, einem herrlich sonnigen Tag in einer imposanten Felsbucht, ist es so weit: Der Wetterfax, den Hans täglich über Kurzwellen hereinholt, zeigt eine stabile Wetterlage und baldigen Nordwind an. Nach einem frühzeitigen Nachtessen verstauen wir alles und lichten noch vor Sonnenuntergang den Anker, um aus dem liebgewordenen Golfo herauszusegeln und am nächsten Abend in der 110Meilen südlich gelegenen Bahia Janssen (bei Punta Tombo, einem riesigen Pinguinreservat) zu ankern. Schliesslich ist ja morgen, am 8. Dezember, der Geburtstag von Hans und da möchten wir doch wenn möglich ruhig am Anker liegen und bei einem feinen Nachtessen einen kostbaren argentinischen Rotwein geniessen. Euphorisch steuert Hans in Kappe bei frischem Wind und rauschenden Wellen in die klare Sternennacht dem Golfausgang entgegen. Die Lichter der Eingangskaps sind schwach und kaum sichtbar und die Einschätzung der Distanz ist sehr schwierig. Doch ich habe natürlich unseren GPS programmiert und Wegpunkte eingegeben, was die Navigation enorm erleichtert. (Die Navigation ist der Bereich der Bordfrau, neben Kochen und Planung der Einkäufe. Hans ist für den seemännischen und technischen Bereich zuständig. Beide haben wir im Gebiet des andern höchstens "beratende" Funktion, d.h. wir passen auf, einander nicht "dri-z'schnurre".)- Also, Hans steuert in seinen Geburtstag hinein und erst draussen im Südatlantik setzt er die Windsteuerung ein und legt sich schlafen, während ich nun wache. Ist das ein Segeln, wenn der Wind von der "richtigen" Seite mit der "richtigen" Stärke bläst und der Tidenstrom auch noch "richtig" läuft. Mit 8kn über Grund schieben uns Wind, Strom und Wellen nach Südwesten. Es ist nichts zu hören, als das gurgelnde Rauschen der Wellen. Kein Segel schlägt und CASIMU reitet elegant und lautlos über Wellenberge und durch Wellentäler. Alles läuft prima, doch mit zunehmender Besorgnis beobachte ich, dass der Wind nicht nach NW (wie er sollte!) sondern eher noch nach NE gedreht hat. Und für östliche Winde ist die weit nach Osten geöffnete Bahia Janssen ungeeignet. Wo sollen wir den bloss den Geburtstag von Hans feiern? Trotz allem, wirft Hans am Nachmittag den Anker mit viel Kette bei ziemlich heftigem Wind, Wellen und Schwell in der geplanten Bahia Janssen. CASIMU tanzt temperamentvoll. Ich koche frühzeitig die von Hans gewünschten "Spaghetti al tonno", dekoriere als ersten Gang einen reichhaltigen, gemischten Salat mit Frühlingszwiebeln und frischem Basilikum aus Puerto Madryn und wir trinken einen feinen Tropfen. Gehabt ist gehabt und gegessen ist gegessen. Wer weiss, ob wir noch vor Einbruch der Nacht wieder los müssen, falls Wind und Wellen zunehmen oder noch ungünstiger drehen. Doch im Gegenteil: als Geburtstagsgeschenk dreht der Wind nach Norden - das felsige Cap schützt uns nun besser - er lässt auch nach, die Wellen beruhigen sich und wir können nach dem Nachtessen im Cockpit noch ein gemütliches "Jässli" klopfen und nachts herrlich ruhig schlafen. Morgens erblicken wir kleine Magellanpinguine am Ufer. Schnell pumpt Hans das Beiboot auf und rudert uns zum Strand. Das Landen geht ohne allzu nass zu werden, was wir bei den Wassertemperaturen um die 10°C zu vermeiden suchen. In grossen Gruppen stehen die süssen kleinen Magellanpinguine mir ihren dekorativen schwarzen "Halsbändern" am Ufer. Einige planschen und waschen sich ausgiebig, die meisten scheinen einfach am morgendlichen "Stamm" teilzunehmen. Weitere Dutzende "füdele" von ihren unzähligen Bruthöhlen hinunter zum Kiesstrand. Wir setzen uns leise in ihre Nähe. Anfangs beachten sie uns kurz oder stoppen ihren Marsch. Doch keine fünf Minuten später, werden wir gar nicht mehr wahrgenommen. Die Bruthöhlen liegen unter niedrigem Pampagebüsch und Männchen und Weibchen wechseln sich ab beim Brüten. Die Paare bleiben ein Leben lang zusammen. Wie sorgsam und geduldig sie sich gegenseitig das Gefieder mit dem scharfen Schnabel reinigen und wie zärtlich, ja fast erotisch, sie miteinander "schnäbele". Da könnten wir Menschen noch einiges von ihnen lernen!

In Tagesetappen erkunden wir die südlichen Breitengrade von 43° bis 45°: herrliche Ankerplätze, meist Fjorde in unberührter Natur, sehr einsam, die nächste "Estancia" meist in ziemlicher Distanz. Vielleicht nicht für jedermann, doch wir geniessen es sehr und erkunden zu Fuss auch die trockene, hügelige Pampa. Wir stossen auf Guanacos und Nandus (Straussart) mit ihren Jungen, sehen Gürteltiere, Hasen, Füchse und unzählige Vogelarten und natürlich immer wieder Magellanpinguine.

Guanacos und Pinguine

Das Wetter ist häufig sonnig und angenehm warm und es ist bereits etwa 16 Stunden lang hell. Eigenartig, dass die argentinische Atlantikküste südlich von Mar del Plata allgemein als unwirtlich und ohne geeignete Häfen für Segler verrufen ist. Die argentinischen Segler kennen den Rio de la Plata und Punta del Este in Uruguay und schwärmen dann von Ushuaia (wo aber kaum einer von ihnen mit dem Segelboot war!). Südlich von Mar del Plata schaudert sie: heftige Winde, vor allem aus SW, Fronten und schlechtes Wetter, Kälte, keine Häfen oder guten Ankerplätze. Wenn einer die Strecke segelte, dann meist non-stop, wie auch einige ausländische Segler: sie reicht von 38° bis 55° Süd, also etwas mehr als 1000 Meilen oder 2000km. Und das, ohne etwas von der patagonischen Küste zu sehen! Das konnte unser Ziel nicht sein. Wir wollten die Küste kennen lernen und so suchte ich detaillierte Seekarten, Literatur und holte bei verschiedenen Stellen und Personen Erkundigungen ein. Die Resultate waren eher mager: Detailkarten konnte ich zum Teil kaufen oder vom Prefecturaschiff "DERBES" kopieren. Der Kapitän und die Offiziere konnten uns ein paar Tipps und Informationen über Ankerbuchten geben. Doch wir haben als kleines Segelboot nicht die gleichen Bedingungen wie ein grosses Motorschiff. Ein Führer für Segler, wie es das für die chilenischen Kanäle gibt, existiert nicht. Ausser dem "South America Pilot" Band 1 und 2 von der britischen Admiralty und dem argentinischen "Derrotera" gibt es anscheinend nichts. Schade! Von Seglern bekamen wir auch ein paar wenige Informationen und sogar drei Skizzen von Buchten. Das war alles für einen Küstenabschnitt von fast 2000km! Wir sind angestachelt "Neuland" zu erkunden. Und es lohnt sich!

So ankern wir als nächstes in der grossen Bucht mit Inselchen "Puerto Santa Elena": ein natürlicher einsamer "Hafen", nur nach Osten offen, ringsherum kahl und hügelig ohne Spuren menschlichen Lebens. (Was auf der Seekarte als "Puerto" angegeben wird, ist nie ein "Hafen", sondern bestenfalls ein geschützter, einsamer Ankerplatz.) Wir wandern ausgiebig durch die trockene menschenleere Pampa mit den scheuen Schafen, erblicken hinter einem Berg ein paar Bäume und ein Haus. Ein jüngerer "peon" (Viehhüter)) wohnt hier allein und lädt uns ein, hereinzukommen. Strom, fliessendes Wasser und Fernseher hat er nicht, nur einen mit Gas betriebenen Kühlschrank und ein kleines Radio. Ein sehr anhängliches Schäfchen folgt ihm auf Schritt und Tritt: er hat es mit Nestlé-Trockenmilch gross gezogen, da das Mutterschaf starb.

 

Sein Gärtchen pflegt er liebevoll. Hinter Windschutz-Mauern wachsen Tomaten, Petersilie, Erbsen, Salat. Alles muss bewässert werden. Er trägt das Wasser von der nahen Quelle zum Haus. Im Schopf liegt in Plastik verpackt die Wolle der 1500 Schafe, die vor etwa einem Monat geschert wurden. Vier Pferde weiden etwas abseits. Er reitet das Gebiet zur Kontrolle ab, wie das hier allgemein üblich ist. Diese Estancia sei klein mit 7000 Hektaren (70qkm). In Patagonien gibt es solche von 500qkm. Die nächsten Nachbarn leben ein paar Kilometer entfernt, man würde sich aber ab und zu treffen. Etwa alle Monate mal fahre er über die ausgewaschene Naturstrasse ins nächste Dorf, das 90 km oder 3 bis 4 Stunden entfernt sei. Eine zufällige, sympathische Begegnung, die uns einen kleinen Einblick in das einfache, einsame aber zufriedene Leben eines Peones gibt. Unsere Frage, ob schon mal ein Segler hier vorbeikam, verneint er. Er hätte mal auf seiner Tour einen in der Bucht vor Anker liegen sehen, doch das sei schon eine Zeitlang her und käme selten vor.
Der nächste Tageshalt ist die enge kleine "Caleta Sara", ein Fjord, der sich ins Landesinnere schlängelt. Hier hat es sogar eine Fischerboje, die wir benutzen dürfen. Schwoikreis und Wassertiefe reichen bei Niedrigwasser für unser Schiff gerade. Wir wandern durchs Naturschutzreservat "Cabo dos Bahias" zu den Pinguinbrutstätten und den Mähnenrobbenfelsen. Unterwegs begegnen wir wieder Guanacos und Nandus. Die sind öfters gemeinsam anzutreffen. Beide profitieren zu ihrer Sicherheit von einander: Guanacos hören und riechen sehr gut, Nandus sehen prima. Ein Feind hat also kaum Chancen, sich ihnen unbemerkt zu nähern. Bei den Pinguinen gibt's noch zwei Touristen, die uns der Reservathüter bereits als Schweizer angekündigt hat. Dani und Corinne sind mit ihrem umgebauten Pinzgauer-Camper unterwegs. Geplant sind zwei Jahre von Buenos Aires zuerst nach Feuerland runter und dann nach Alaska hoch. Ob ich mit ihnen tauschen möchte? Nach kurzem Abwägen verneine ich das innerlich. Abends essen wir im einzigen kleinen Haus beim Ankerplatz, das auch ein Beizli mit warmen Duschen ist (herrlich!) und bekommen ....natürlich Fleisch! Mit zunehmender Dämmerung nähern sich Füchse und Gürteltiere dem Haus, um das vom Beizer bereitgestellte Futter und Wasser zu naschen. Nach Berechnung der Strömung laufen wir am nächsten Morgen aus, ums felsige, malerische Cabo dos Bahias Richtung Insel Leones. Da der Wind schwach ist, können wir ohne Gefahr den engen Kanal zwischen dem Festland und der Insel befahren. Doch die Angabe, dass der Strom bei Hochwasser kippe, stimmt irgendwie nicht. Es ist zwar Hochwasser, aber der Strom läuft nicht mit uns, sondern mit 4 Knoten (fast 8kmh) gegen uns. Was soll's, wir kommen mit Motor immer noch mit 3 Knoten voran. Plötzlich taucht ein grösseres Schlauchboot wie aus dem Nichts hinter der Insel hervor und steuert direkt auf CASIMU zu. Drei Männer im Oelzeug sitzen darin. Den einen erkenne ich an seiner blonden, lockigen Mähne sofort. Es ist der berühmte "Gioci", von dem uns in Puerto Madryn Fotos gezeigt und so viel erzählt wurde. Er ist mit seiner etwa 9m langen Segeljacht "Wanderer" bis im März mit Meeresbiologen hier unterwegs, um die Mähnenrobben-Bestände zu registrieren. Er kommt zu einem Schwatz zu uns, denn er hat auch schon von uns gehört. Mitten im Kanal, bei mittäglicher Sonnenwärme, Motorenlärm und eingeschaltetem Autopiloten (wir haben immer noch 2 Knoten Strom gegen uns) unterhalten wir uns gegen eine Stunde an Ort und Stelle.

Gerne besichtigen die drei auch unser Schiff, von dem sie hell begeistert sind. Von ihnen erhalten wir den Tipp, in die kleine, malerische Caleta Leones einzufahren (von der sie eben her kamen), um Pinguine und Mähnenrobben zu besuchen. Wir wandern durch die stachelige Dürre der unbewohnten Insel zum verfallenen Leuchtturm hinauf und dann den Hügel hinunter zu den vielen Pinguinhöhlen. Wie weit die entfernteren zum Wasser watscheln müssen, sicher 500m! Unten am Strand liegen mehrere Gruppen Mähnenrobben und sonnen sich. Riesige Machos dominieren je eine Gruppe. Ich will mich ihnen vorsichtig nähern, habe aber nicht bemerkt, dass eine einzelne Robbe nahe bei mir liegt. Plötzlich wälzt sie sich mit grossem Lärm ins Wasser und löst Alarm aus. Bewegung kommt in die trägen grossen Leiber, ein enormes Geplantsch, Wellen laufen übers ruhige Wasser, die meisten Tiere tauchen ab ins Wasser. Sorry, das wollte ich nun wirklich nicht, euch beim Mittagsschläfchen stören! Bald strecken sie ihre Köpfe und Hälse senkrecht aus dem Wasser und gucken angestrengt nach dem Strand hin. Ob die Luft wohl wieder rein ist und sie das Sonnenbad wieder aufnehmen können? Für uns wird es Zeit zu CASIMU zurück zu rudern. Doch o weh, in der Zwischenzeit hat der Strom zugenommen und auch der Wind und wir sind unsicher, ob Hans uns mit Ruderkaft allein zurückbringen kann. So unternimmt er vorerst einen Versuch allein, um evt. den Beibootmotor montieren zu gehen. Doch es geht wieder Erwarten gut und so werde ich vom Gondoliere abgeholt und nach Hause gerudert. Ich bin von dem herrlichen Tag auf der kleinen Tierinsel ganz beglückt. Für die Nacht fahren wir in die sehr sichere "Caleta Horno", ein mehrfach gewundener, enger Fjord inmitten von roten Felsen. Als einziges Schiff haben wir genügend Schwoikreis und ankern in dem sehr gut haltenden Grund frei. Ringsum sind die Felsen nicht sehr hoch, also sollte CASIMU von keinen allzu heftigen Fallböen geschüttelt werden. Nein, hier kann uns wirklich kein Sturm was anhaben. Doch in der Nacht hält mich ein starker Nordwind wach: Unser Heck ist sehr nahe am Felsen und bei meinen ängstlichen, nächtlichen Kontrollgängen scheint es mir, als würden wir bald hart aufsitzen! Hoffentlich hält der Anker! Hans ist weniger beunruhigt und überzeugt, dass der Ankergrund gut ist und kein Grund zur Sorge besteht. In den folgenden vier Nächten schlafen wir so ruhig wie oftmals in den brasilianischen Buchten. Am Morgen, bei Ebbe sind einige der Felsen ringsum dicht mit leckeren Muscheln besetzt. Allzu gerne würde ich einen Kessel voll ernten. Doch leider ist hier wie auch in Feuerland die "marea roja", eine giftige Alge vorhanden, die wir zwar nicht sehen können, die aber die "mariscos" und "mejillones" (Krustentiere und Muscheln) für den Menschen hoch giftig machen und ihr Konsum lebensgefährlich ist. Schade, das hätte unsere Menukarte bereichert. Gegen Mittag läuft die britische, kleine Segeljacht "Vire Nord" mit dem sympathischen, jungen Geologenpärchen Charmain und Mike ein. Wir kennen sie seit Buenos Aires und sassen etwa zusammen, um Informationen und Kartenmaterial auszutauschen. Seit unserem Sturm-Erlebnis haben wir sie nicht mehr begegnet und nur noch per e-mail von einander gehört. Wir haben alle Freude, uns wiederzusehen und zu plaudern. Charmain sagt mir, sie hätte während des grässlichen Sturms (der uns so ja so quälte und bedrohte) für uns gebetet; sie waren damals zum Glück im sicheren Hafen. Drei weitere, eigentlich unbeschwerte Tage folgen: wir unternehmen Gummiboot-Fahrten die Caleta hinauf zum Süsswasser, Wanderungen über Klippen und durch die steppenartigen Hügel, wo immer wieder auf den Kreten die Guanaco-Männchen Wache halten und zu quietschen anfangen, sobald sie uns hören oder witttern. Doch irgendwie beschleicht mich eine Krise. Ist es die Anspannung über die noch bevorstehenden 10° oder 600 Meilen (1100km) Starkwind-Gebiet, die uns von allen Argentiniern als so schrecklich geschildert wurden? Ist es die Sorge, um den Gesundheitszustand meiner lieben aber weit entfernten Mutter? Ist es die Musse, die wir eigentlich jetzt geniessen könnten, die ich so schlecht vertrage? Ist es die Enge dieser felsigen Caleta? Fehlen mir die berufliche Herausforderung und die Kontakte zu Hause halt doch? Ich weiss es nicht, vielleicht alles gemeinsam und noch mehr. Aber auf jeden Fall läuft das Ganze in eine Missstimmung und kurzfristige Krise, die auch Hans demotiviert und wir überlegen uns, ob die nächste Etappe zurück nach Norden nach Buenos Aires führen soll, um das Schiff zu verkaufen und das Unternehmen abzubrechen sei..... - Nein, wir laufen am nächsten Tag bei hohem Barometerstand, vielversprechendem Wetterfax und starkem Nordostwind nach Süden aus, überqueren den 120 Meilen langen Golf von San Jorge, der uns als permanentes Starkwindgebiet geschildert wurde. Wir haben wieder eine Herausforderung und die Stimmung an Bord ist schnell wieder gut. Meine Krise ist wie vom Wind weggepustet oder von den Wellen weggeschwemmt. Hier im Golf können sich die Wellen ganz beträchtlich aufbauen. Gegen Abend bläst der Wind mit 7 Beaufort und die Seen lassen uns Berg- und Tal fahren. CASIMU verhält sich vorbildlich und lässt die Wellen, die von achterlich hochnäsig ins Cockpit reingucken und wohl gerne einsteigen würden, ins Leere laufen. Wir segeln trocken, ausser ab und zu einem kleinen Spritzer von einer Welle, die sich auf Schiffshöhe bricht. Doch für alle Fälle haben wir beim Niedergang das Steckschot montiert ... man weiss ja nie, es gibt ab und zu aussergewöhnlich freche und aufdringliche Wellen. Nachts ist das Meer wie verzaubert: die Wellenkämme ringsherum und unser Fahrwasser leuchten strahlend weiss, ja fast grünlich phosphoreszierend. Gebannt schaue ich auf die Disco-ähnliche Beleuchtung ringsherum. Ganz geheuer ist sie mir nicht. Am nächsten Mittag wollen wir mit einlaufender Tide in Puerto Deseado einfahren. Ein Westwind von 35 Knoten setzt uns entgegen und beim Einfahren in die Ria bekommen wir ein "Versuecherli" der baldig vorherrschenden Windstärken. Da auch hier keine Infrastruktur für Jachten vorhanden ist, dürfen wir am Schiff der Prefectura Naval festmachen, Duschen und sogar die Waschmaschine benutzen und ein junger Marinero kommt zu uns aufs Boot und bringt uns selbstgebackene Spezialitäten.

In der Ria Deseado entdecken wir bei einem Ausflug mit dem Beiboot neben Robben, Pinguinen auch Kormorane (Cormoran gris).

 

 

 

Um an Land zu gelangen, müssen wir vorerst über mehrere Schiffe und Strickleitern hoch klettern. Gut für unsere Fitness! Zwei Tage später sind drei weitere Jachten eingetroffen (2 britische - darunter unsere Freunde mit der "Vire Nord"- und eine französische) und wir liegen nun in zwei Zweierpäcklein am grossen Prefecturaboot. Am Abend, wir haben gerade fertig gegessen und getrunken und die Sonne ist gerade am Untergehen um 21.30, meldet uns ein marinero, das Schiff der Küstenwache müsse zum Schlichten auslaufen, da im Golfo San Jorge auf einem Fischkutter Streit ausgebrochen sei und die Messer gezückt worden seien. Wir fahren mit dem letzten Licht und bei wenig Wind in die Ria hinaus, Richtung Kormoranfelsen, um zu ankern. Am Morgen ist unser "Mutterschiff" noch da - der Streit habe sich ohne ihr Dazutun gelegt- und wir können bei zunehmendem Wind alle vier wieder an Mamis Rockzipfel festmachen. Wir fühlen uns wie aufgeschreckte Spatzen, die sich gleich darauf wieder auf dem selben Ast niederlassen.

Am 23. Dezember laufen wir morgens aus, um am Heiligabend in San Julian, ca. 130 Meilen entfernt, ankern zu können. Gerne möchten wir dort einlaufen, obschon die Einfahrt sich über viele Barren und wandernde Sandbänke windet und die Einweisungssignale nicht zuverlässig sind. Aber schliesslich ist dieser Ort so geschichtsträchtig und wir haben das Buch "Magellan- Der Mann und seine Tat" von Stefan Zweig beide fasziniert gelesen: vor fast 500 Jahren - auf der Suche der Passage nach Westen - überwinterte hier Magellan mit seiner Flotte von fünf Schiffen und einer immer unzufriedener werdenden Mannschaft. Es kam zur Meuterei, zwei Kapitäne wurden hingerichtet, zwei weitere Männer in dieser Einöde ausgesetzt. Nur 57 Jahre später wiederholte sich an diesem düsteren Ort eine ähnliche Szene: Der englische Pirat Francis Drake, der die Geschichte von Magellan sehr wohl kannte, wiederholte am gleichen Ort dieselbe blutige Tat: auch er liess seinen Kapitän köpfen. Welch ein düsterer Ort! Ob man dort noch etwas von dieser schlimmen Energie spürt? - Doch unser Barometer fällt und fällt und Westwind mit Spitzen von über 50 Knoten verunmöglicht eine Ansteuerung des im Südwesten gelegenen San Julian. Schade! Nach kurzem Beidrehen beschliessen wir Kurs Süden zu nehmen und halt an Weihnachten unterwegs zu sein. Der Weihnachtstag ist herrlich sonnig und wir geniessen die mässig starken Winde aus dem nördlichen Sektor. Um Mitternacht, zu Beginn des 26. Dezembers, befinden wir uns auf der Breite von Cabo Virgenes, dem Eingang zur Magellanstrasse, allerdings ziemlich östlich davon. Wir machen gute Fahrt, 7 Knoten und steuern nun die "Isla de los Estados" oder "Staateninsel" im Osten der Le Maire -Strasse an. Diese Insel ist ein unbewohntes Naturreservat mit recht hohen auch im Sommer schneebekränzten Bergen und wilden tiefen Fjorden. Ein dichter "Urwald" verhindert fast überall ein Erkunden oder Besteigen der Gipfel. Früher steuerten die Yamana-Indianer die geheimnisvolle Insel mit ihren Baumrindenbooten an, wohl zu kultischen Handlungen. Viele Dreimaster wurden nach dem Umrunden von Cap Hoorn hier auf die Klippen getrieben und erlitten Schiffbruch. - Der Wind dreht gegen Abend auf SE, unsere Zielrichtung. Wir drehen bei. Vor Dunkelheit könnten wir sowieso keinen Ankerplatz mehr erreichen. Allzu lange wird er nicht so wehen. Und wirklich, schon um 20 Uhr, zwei Stunden später bläst er mit neuem Elan aus SW, zuerst mit 6, später in der Nacht mit 7 Beaufort. Mit stark gerefften Segeln können wir den Kurs von ca. 70° am Wind halten und machen 7 Knoten Fahrt. Gemütlich ist es nicht, die See kocht, als wir die Le Maire- Strasse nördlich queren. Zudem ist die Sicht eingeschränkt und wir haben das Radargerät eingeschaltet, um allfällige Tanker oder andere Schiffe auszumachen. Die Kraft des Meeres hat schon etwas Grossartiges, aber sie ist auch Respekt einflössend. Früh am Morgen erreichen wir die Staateninsel und die Bahia San Antonio. Schwarz grau und bedrohlich erheben sich die felsigen hohen Berge in den düsteren, regnerischen Morgen. Ob wir bei diesem Wellengang und starkem Wind in den engen Einschnitt von "Puerto Hoppner" einfahren können? Weisse Gischt und brechende Wellen zeigen uns jetzt bei Niedrigwasser deutlich, wo die Untiefen liegen. Schon sind wir durch die Einfahrt und befinden uns in der ersten äusseren und sehr tiefen Bucht. Das schwarze Wasser ist wie glatt gebügelt und nur einzelne Böen künden noch vom starken Wind. Hans pumpt das Beiboot auf, denn wir müssen in der engen inneren Bucht Leinen an Land ausbringen, damit CASIMU sicher liegt. Ich taste mich unterdessen unter Motor zur engen zweiten Einfahrt vor, um mal zu schnuppern. In der Mitte der etwa 25 Meter breiten Einfahrt liegt ein grosser Felsblock, links und rechts davon sind jetzt bei Niedrigwasser etwa 7 bis 8 Meter breite Durchgänge. In welchem Durchgang schwimmt weniger Kelp (eine gummiartige, sehr grossblättrige Algenart)? Gibt es noch viel Gezeitenstrom und in welcher Richtung? Für die kurze aber sehr enge Durchfahrt muss Hans das Steuer übernehmen. Und jetzt befinden wir uns in einem ruhigen kleinen Seebecken, wo es hinter Inselchen verschiedene "Verstecke" gibt.

Die Einfahrt ist recht eng und hat Strömung.

 

CASIMU versteckt sich hinter den Felsen vor den Fallböen.

Eine Jacht liegt zu unserem Erstaunen bei der Mündung des Flüsschens vor Anker. Es ist die deutsche "Auryn" mit Bernt und Christie, die wir bereits von Salvador her kennen und ins Herz geschlossen haben. Sie haben uns gemailt, dass ihre brasilianische Katze schwanger sei, und ich das Katzengeschirr auf jeden Fall behalten solle...Es ist noch zu früh am Morgen, um sie zu wecken. Gegen Mittag, als wir hinter einem Inselchen - man kann CASIMU nicht sehen - Anker und Leinen ausgebracht haben, fahren wir mit dem Beiboot zur Auryn. Christie und Bernt staunen nicht schlecht, als sie ein Beiboot aus dem Nichts auftauchen sehen. Alle haben wir grosse Freude uns hier, an diesem sehr einsamen, unbewohnten Ort wiederzusehen. Nun kann ich mich gleich nach dem ungefähren Niederkunftstermin erkundigen. Natürlich adoptiere ich gerne ein Kätzchen! Denn eine Schiffskatze fehlt mir sehr!

Nach 4 Tagen haben wir die 510 Meilen bis hierher zurück gelegt, ohne Probleme, allerdings mit dem notwendigen Respekt vor Starkwinden und plötzlichen Wetteränderungen. Und nun liegen wir also bis ins neue Jahr hier in dieser grandiosen, unberührten Bergwelt. Der Ausblick nach Westen, zum grossen Wasserfall, ist wie der Blick von Adelboden zu den Engstligenfällen - der Wildstrubel dahinter sieht einfach etwas anders aus, und es hat keine Bergwanderer ausser uns! - Bereits haben wir gestern die ersten Erfahrungen mit den "Williwaws" (heftige Fallböen von bis zu 60 Knoten oder mehr) gemacht. Ich hatte ziemlich Unbehagen, doch Hans hat ausser dem Anker noch vier lange Leinen zum Land gezogen und die werden täglich überprüft und oft auch ihre Position verbessert! Also Hans hat täglich draussen mit Beiboot und Leinen viel zu tun. Ich glaube das wird zu seinem neuen Hobby: Beiboot fahren, Leinen festmachen und umhängen. Er meint heute Mittag : "Ich könnte ja für den CCS einen Kurs anbieten: "Wie befestige ich Leinen am Land richtig". Kursort: natürlich "Isla de los Estados", 54° 46' Süd, 64° 25'West."

Puerto Hoppner, Isla de los Estados, 30. Dezember 2002 Heidi Brenner

 
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