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Bericht vom 18. November 2002
Alles beginnt ideal - die "roaring Forties" fordern ihren Tribut -
wir bangen um uns und CASIMU- Argentinische Gastfreundschaft
  Am 22. Oktober, nach fünf langen Wochen der Vorbereitung auf den Süden, fahren wir bei strahlendem Wetter unter Motor durchs malerische Delta nochmals ins Zentrum von Buenos Aires. Diesmal liegen wir im bequemen und sehr sicheren "Yacht Club Puerto Madero", der erst vor ein paar Jahren in einem Dock ganz im Zentrum der Hauptstadt errichtet wurde. Wir wollen noch etwas "Kultur" tanken. Hans kauft Billete für das einmalig temperamentvolle argentinische Musical "Tanguera". Am Ende der Vorstellung würde ich es gleich nochmals "da capo" anhören und anschauen - was mir sonst im Theater selten passiert. Die dramatische Liebes-Story wird virtuos Tango-getanzt und ist choreographisch sensationell. Am Tage darauf sitzen wir in dem berühmten "Teatro Colon" und sehen das Ballet "Der Schwanensee" von Tschaikowsky. Auch diese Vorstellung ist wunderschön. - Ende Oktober ist es soweit. Die Grundnahrungsmittel für fast ein halbes Jahr im Süden sind besorgt, alles ist sorgsam verstaut. Das Rigg wurde nochmals überprüft und unter Segel neu eingestellt. Zusätzlich wurden noch Backstage montiert. Unsere ersten Stationen sind Ensenada bei La Plata, eine Tagesetappe von Buenos Aires im Rio de la Plata, dann Mar del Plata , 255 Meilen weiter. Wir segeln bei angenehmen 4 bis 5 Beaufort achterlichem Wind. CASIMU läuft mit seinem neuen glatten Unterwasser wie geschmiert. Mar del Plata ist zum Teil mondäner Sommer-Badeort der Argentinier, zum andern Teil grosser Fischerhafen. Hier treffen wir auf die erste Seelöwen-Kolonie, die uns das nicht mehr ferne Patagonien ankündet. Bei starkem NE-Wind (30 Knoten) laufen wir bei klarstem Wetter aus und machen am Abend Halt im Hafen Quequen. Im Flusslauf finden wir den kleinen Jachthafen, wo wir an der neusten Boje festmachen dürfen und auch noch gleich ein Beiboot zur Verfügung erhalten. Alles läuft bisher ideal. Wir hatten weder bei der Ueberfahrt von Brasilien nach Uruguay noch im Rio de la Plata Schwierigkeiten mit Starkwind von südlichen Fronten oder enormen Wellen, wie wir das etwa von anderen Seglern hören. Wohl etwas unbesorgt, treffen wir am übernächsten Tag, dem 8. November, einen Entscheid, der uns hätte zum Verhängnis werden können. Das Wetter ist zwar nicht eindeutig gut, aber der Wetterfax zeigt eine flache Druckverteilung und die Wetterprognose für die Zone sagt schwache Winde voraus. So beschliessen wir am nächsten Morgen auszulaufen und verlassen am Freitag früh den sicheren Hafen, um etwa 180 Meilen oder eineinhalb Tage später in einer einsamen Bahia Schutz zu suchen. Südlich von Mar del Plata bis Ushuaia - etwa 18° oder 1100 Meilen südlich - gibt es kaum mehr Häfen. Der nächste ist Puerto Madryn, der allerdings vom Schwell her nicht sehr angenehm sein soll. Nun, unsere Idee mit der einsamen Bahia Union, die ringsum von Untiefen und Bänken begrenzt wird, ist wohl schon bei schönem Wetter nicht ganz einfach zu verwirklichen. Bei schwerem Wetter, viel Wellen und starker Strömung ist an eine Einfahrt gar nicht zu denken. Anfangs segeln wir wirklich, wie vorausgesagt, bei eher schwachem SE-Wind, motoren sogar zwischendurch. Ich koche eine reichhaltige Gemüsesuppe und nähe den Kaminsack.

Mate, das Nationalgetränk Uruguays und Argentiniens wird auch an Bord genossen.

Am Freitagnachmittag tauchen seit langem wieder einmal etwa dreissig grosse Delphine mit schwarzem Rücken und weissem Bauch auf, sogenannte "delfinos oscuros". Sie tauchen unter CASIMU durch, springen beim Bug in die Höhe und umtanzen uns ein paar Stunden. Es sind sehr temperamentvolle und kräftige Delphine. Oder sind sie aufgeregt und nervös? Wollen sie uns etwas mitteilen? Erst im nachhinein überlegen wir uns, ob sie uns eventuell mit ihren wilden, heftigen Gebärden vor dem bevorstehenden Unwetter warnen und uns zur Umkehr bewegen wollten? (Einige Meeresbiologen sind überzeugt, dass Delphine und Wale mit uns Menschen kommunizieren, wir sie aber meist nicht verstehen.) Noch hätte die Zeit für eine Umkehr gereicht. Der Himmel verdunkelt sich, das Meer wird unruhig und beide mögen wir nur wenig von der Minestrone essen. In der Nacht auf Samstag, wir sind beinahe auf dem 40. Breitengrad, nimmt der Wind kontinuierlich zu. Die Genua ist schon längst eingerollt und die Fock und das Grosssegel zwei oder dreimal gerefft worden. Noch behalten wir den Kurs bei, in der Hoffnung, nach ein paar Stunden würde der Wind etwas abnehmen, wie das hier meistens der Fall ist.

Fliegendes Wasser und brechende Wellen nässen den Mann im Cockpit.

Gegen Samstagabend bläst er mit 8 bis 10 Beaufort und mit zwei winzigen Fetzchen Segel beschliessen wir beizudrehen (das ist eine Art parkieren des Schiffes). Dummerweise ist die grosse Nordwest Bucht von Bahia Blanca bei starken Winden aus Süd und Ost eine echte Mausefalle. Untiefes Wasser und unzählige wandernde Sandbänke machen die Navigation und das Segeln bei Starkwind zur Qual. Nach zwei Stunden Beidrehen und der Meteo-Info von Amateurfunker Rafael - 30 bis 40 Knoten Wind aus S für die nächsten Tage- beschliessen wir, die 180 Meilen nach Quequen in Richtung NE zurückzusegeln. Um Mitternacht drehen wir bei Windstärke 9 nochmals bei, da wir erschöpft sind und noch ein "Polster" von 30 Meilen zur Küste haben. Alle Stunden setzen wir über Kanal 16 eine Sécurité-Meldung ab und melden uns bei zwei grossen Tankern in der Nähe. Morgens um 5, nach 5 Stunden beidrehen, sind wir 15 Meilen gegen NE abgedriftet. Ich erschrecke, als ich auf die Windanzeige und die Karte schaue. Der Wind hat keineswegs abgenommen und zudem etwas nach Süden gedreht. Vielleicht sind wir jetzt doch zu nahe an der nördlichen Küste und den Untiefen. Ich wecke Hans und wir entscheiden, nicht nach Quequen zurück zu segeln, da es einfach zu weit und zu anstrengend ist, sondern den Kanal zum Industriehafen von Bahia Blanca anzusteuern. Sofort hole ich die Detailkarten der Einfahrt und des Hafens hervor, setze unter Berücksichtigung des möglichen Segelkurses und der Bänke neue Wegpunkte und los geht's. Die Seen sind inzwischen enorm geworden. CASIMU stampft mit seinen beiden Fetzchen Tuch tapfer durch die braunen Wellen. Noch steuert die elektrische Selbsteueranlage, die Aries-Windfahnensteuerung hat Hans vor dem Beidrehen weg geräumt und auch den Ampair-Wellengenerator eingeholt. Die kurzen und konfusen Wellen scheinen uns und CASIMU vernichten zu wollen. Sie beginnen immer häufiger zu brechen, bis um uns herum nur noch ein weisses, brechendes Chaos ist. CASIMU ist häufig fast unter Wasser, also mehr ein U-Boot anstelle eines Seglers. Ein Meter Wasser über uns und ein volles Cockpit werden zur Norm. Der Speedometer zeigt zwar noch etwa 4 Knoten Fahrt an, aber über Grund machen wir bloss etwa 2. Wir kommen einfach nicht voran. Seeschwalben begleiten uns. Sie meistern spielerisch Wind und Wellen und wundern sich vermutlich, dass wir so langsam sind. Hans steuert jetzt von Hand, ich navigiere, funke über einen Frachter mit der Prefectura naval de Argentina (coast guard), die immer wieder fragt, ob es an Bord eine "emergencia" (Notlage) gäbe. Noch kann ich verneinen. Doch durch den enormen Druck der Wellen wird ein paarmal Wasser durch die seitlichen Leeluken gepresst. Und auf dieser Seite befindet sich das Navigationspult und alle elektronischen Instrumente. Ich bemühe mich, alles sofort mit einem Lappen zu trocknen. Plötzlich ein Knall, ich denke, jetzt hat's eine Luke eingdrückt. Doch nein! Das extra starke Sprayhood wurde von einer Welle zerrissen und runtergedrückt. Durch den Niedergang schwappt etwas Wasser hinein. Erschrocken schaue ich nach oben: Ist Hans noch am Steuer? Konnte ihm die zerstörerische Welle nichts anhaben? Nun wird die Kommunikation zwischen Hans und mir enorm schwierig. Denn ohne Schutz des Vordaches gegen die Wellen und das fliegende Wasser getraue ich mich kaum mehr den Niedergang zu öffnen. Etwas später fliegt der schwere Kochtopf, den ich im Schüttstein befestigt hatte, mit der Minestrone durch den Salon. Die Polster sind voll Gemüse. Doch bei diesem Wellengang ist an ein Aufputzen nicht zu denken. Und überhaupt gibt es jetzt Wichtigeres. Wieder meldet sich die Prefectura naval, die unseren Kurs verfolgt und uns Weisungen gibt, so schnell als möglich in den Kanal zu segeln und den Hafen anzulaufen. Zu unserem Unglück hat der Wind von S auf SSW gedreht und Hans läuft nun mit Hilfe des Motors hart am Wind mit 1 Knoten Fahrt nach Westen durch die Grundwellen auf den Kanal zu. Vor uns liegt die "Banco nuevo" mit nur etwa 5 Meter Tiefe. Ich frage die Prefectura an, ob wir da durch kämen, ob das nicht zu riskiert sei bei diesem Wellengang. Sie geben uns einen neuen Kurs an, da vor uns eine Untiefe läge, die wir nicht passieren könnten. Wie Hans das mitteilen durch den geschlossenen Niedergang? Ich bange, da ich sehe, dass es immer noch fast 20 Meilen sind bis zum Kanal. Und wir kommen einfach nicht voran. Ringsum nichts als braun schäumendes Wasser bei allen Luken seitlich und oben. Dazu knallende Geräusche der brechenden Wellen. Die Betreuung durch die Prefectura tut gut, wir sind doch nicht so allein in dieser höllischen weiss schäumenden See. Ob CASIMU es schafft, noch ein paar weitere Stunden all die Schläge zu ertragen? Ob das Rigg hält? Ob der Motor das schafft? Was, wenn die Instrumente durch den Wassereinbruch aussteigen? Ob Hans noch so lange steuern mag? Ich habe eigentlich nicht Angst, aber befinde mich in einer enormen Anspannung, mental wie körperlich. Seit Freitag abend haben wir ausser zwei oder drei Zwiebacks nichts gegessen. Wir haben auch keinen Hunger. Stunden vergehen und wir kommen wenig voran. Es ist mir sehr klar, dass wir in der gefährlichsten Lage sind, die es überhaupt geben kann. In diesen brechenden Grundwellen könnte uns auch niemand retten kommen. Erst gegen 18 Uhr am Sonntagabend erreichen wir die Kanalbojen. Wir sind gerettet! Da das Fahrwasser hier ausgebaggert und tiefer ist als ringsherum, wird die Fahrt sofort angenehmer und die Wellen brechen sich nicht mehr kontinuierlich. Zudem kann Hans den Kurs auf NW ändern, was bei dem heftigen SW-Wind viel angenehmer ist. Da das fliegende Wasser die Sicht sehr reduziert und die Wellen die Fahrwasser-Bojen oft verschwinden lassen, gebe ich jede Boje als Wegpunkt ein, damit Hans genau weiss, welchen Kurs er zu steuern hat, auch wenn er nichts sieht. Ueber 20 Meilen führt das Fahrwasser durch einen untiefen, breiten Meerarm. Mit 9 Knoten über Grund schiebt uns der Motor und die Strömung gegen Nordwesten. Gegen 20 Uhr, kurz vor dem Hafen "Ingeniero White" kommt uns ein Prefectura-Schiff mit etwa zehn Mann Besatzung entgegen, um uns in den Hafen zu begleiten. Wir dürfen längsseits am Prefectura-Schiff festmachen und bekommen gleich Kaffee und eine heisse Dusche offeriert. Der Chef der Prefectura bietet uns ein Haus an, damit wir ruhiger schlafen könnten. Doch das lehnen wir dankend ab. Wir werden in unserer Koje sicher tief und fest schlafen. Wir sind fast zu müde, um noch etwas zu essen, obschon wir seit 36 Stunden nur die wenigen Zwiebacks gegessen haben. Noch können wir es kaum glauben, dass der Albtraum vorbei ist.- Hier, in Bahia Blanca, gibt es keinen Yachthafen, nur einen Club Nautico für kleinere Boote. Der Hafen "Ingeniero White", in dem wir liegen, ist ein Hafen für grosse Frachtschiffe, auf die vor allem Getreide und Erdölprodukte verladen werden. Also, wir sind eigentlich da fehl am Platz, das heisst nicht vorgesehen. Und gerade weil da nur etwa alle zwei Jahre mal eine Jacht in Not einläuft, sind wir die Attraktion! Schon am nächsten Morgen kommen mehrere Leute übers Prefectura-Schiff zu unserem CASIMU und fragen, ob sie uns helfen können, laden uns zum Essen ein, in den Club Nautico zu einem "Asado" (Grillfleisch), fahren mit uns in das ca. 10km entfernte Bahia Blanca in die Wäscherei, zu den Handwerkern usw.

Timotea Corral, über 80-jährig, fertigt uns ein neues Gelenk für das Sprayhood.

Wir erleben hier eine herzliche und natürliche Gastfreundschaft, wie es kaum zu glauben ist. Der Chef der Prefectura und der Kapitän des grossen Schiffes, an dem wir liegen, laden uns sehr bald zum Kaffee ein und erkären uns, dass ihre Leute für uns da seien, und wir ihnen bloss sagen sollen, was sie für uns tun könnten.

Kaffee beim Kapitän.

Wir sind vor allem froh, dass wir Wasser und Strom anzapfen dürfen und auch die trockenen Sachen bei ihnen stauen können. Denn nun beginnen für uns fünf intensive Arbeitstage. Alles auf der Steuerbordseite, in den Backskisten und in den Bilgen (unter den Bodenbrettern) muss ausgeräumt, vom Salzwasser und Sand gewaschen und getrocknet werden. Unglaublich wie viele Werkzeuge, Ersatzteile, Konserven, Weinflaschen usw. wir gestaut haben. Die Salonpolster müssen von der Minestrone gereinigt und getrocknet werden. Hinter den Büchern im Gestell liegen ebenfalls noch "Rüeblibitzli". Wir sind jeden Abend todmüde und doch geniessen wir die Einladungen zum Essen von unseren neuen argentinischen Freunden. Am Freitag fährt uns ein Chauffeur im Dienstauto zusammen mit dem Chef der Region zu einem Empfang beim höchsten Chef der Prefectura, der für ganz Nordargentinien zuständig ist. Auf unsere Frage, wie wir uns bei der Prefectura für die Unterstützung revanchieren können, meint er, wenn wir in unserem Land über Argentinien berichten und ein bisschen Aufklärungsarbeit machen könnten, wäre das wohl das hilfreichste. Als er vor Jahren zur Ausbildung in Friedrichshafen war, hätten die Leute dort über Argentinien nur gewusst, dass es Maradona und viele Kühe gibt. Der Kapitän will uns noch viele Informationen für die Weiterfahrt geben, da er seit Jahren die über 1000km lange Küste befährt, kontrolliert und genau kennt. - Am Sonntag werden wir von Bekannten in den Hafen Belgrano, den grössten Militärhafen von ganz Südamerika, gefahren und ein Freund von ihnen, Marinaoffizier, führt uns durch die riesigen und bestens unterhaltenen Kriegsschiffe. Wie einfach sind doch da im Vergleich die Installationen auf CASIMU! Nun, heute Montag ist wieder ein herrlicher sonniger Tag und wir können das geflickte Sprayhood montieren, Kleider waschen und die trockenen Konserven und Weinflaschen wieder verpacken und in die Bilge stauen. Noch eilt es uns mit der Weiterfahrt nicht. Gegen Abend besuchen wir die Radarstation der Prefectura, um uns beim Funker, der uns am vergangenen Sonntag betreut hat, zu bedanken und eine grosse Toblerone zu bringen, Fotos zu machen und sie für ihn anschliessend auszudrucken. Wir vernehmen, dass es ein "Jahrzehntesturm" gewesen sein soll. Windstärken von 120km wurden gemessen. Niemand sah ihn voraus. Einige Fischerboote wurden nach intensiver Suche erst am Dienstag darauf gefunden. Eine riesige Richtboje am Anfang des Kanals wurde im Sturm weggerissen und liegt jetzt 30 Meilen im Nordosten am Ufer. Wehe, wenn ein Schiff wie unseres mit so einer zusammen stossen würde! Wir wollen uns vor der Weiterfahrt auch bei unseren neuen Freunden revanchieren, vielleicht mit einem einfachen Nachtessen an Bord von CASIMU. Und wir werden erst bei ganz eindeutig gutem Wetter auslaufen und den Wetter- und Windprognosen noch kritischer gegenüber stehen als bisher. Was wir aber wissen, ist, dass CASIMU ein starkes, seetüchtiges Schiff ist, in das wir viel Vertrauen haben können.

Bahia Blanca, 18. November 2002, Heidi

 
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