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Bericht vom 15. Oktober 2002
Fast alles dreht sich ums Schiff....
oder auch das gehört zum Segeln
  Wir liegen nun seit einem Monat in Buenos Aires, oder exakter im Yacht Club Argentino von San Fernando, etwa 15 km nordwestlich von Buenos Aires. Der YCA ist einer der unzähligen Yachtclubs am Hauptzufluss des Rio de la Plata im "Delta". Die Argentinier, das heisst die Ober- und Mittelschicht rund um Buenos Aires, besitzen fast alle ein Segel- oder ein Motorboot. Die Reichen natürlich eine luxuriöse Yacht. So gibt es da auch viele Yacht-Zubehörläden. Die qualitativ guten Marken-Artikel werden fast ausnahmslos von Europa oder den USA eingeführt. Da der Peso bis vor kurzem an den Dollar gekoppelt war, lohnte sich das Importieren besser als selber etwas zu entwickeln und zu produzieren. Da die kürzliche Finanzkrise den Peso tief absacken liess, und er nun zum Dollar fast vier zu eins steht, also 4 Peso = 1 Dollar, wurden die Importwaren plötzlich sehr teuer. Doch eine eigene gut funktionierende Industrie gibt es noch auf fast keinem einzigen Gebiet. Ein ziemliches Desaster. Und schuld an allem, da sind sich die Argentinier eigentlich alle einig, ist die "classe politico", die gar nichts taugt und erst noch sehr korrupt ist. Nun, für die Argentinier ist es im Moment nicht lustig: Wirtschaftskrise und sehr hohe Arbeitslosigkeit und die Folge davon zunehmende Kriminalität. Wer ein US-Dollarkonto auf einer argentinischen Bank hatte, musste akzeptieren, dass der Dollar von einem Tag auf den andern noch gleich viel Wert hatte, wie der abgewertete Peso, also noch einen Viertel des vorherigen Wertes. Proteste bewirkten eine kleine Korrektur: 1 Dollar wird nun mit 1,4 Peso bewertet, was natürlich immer noch ein Riesenverlust bedeutet. Für uns bewirkt das natürlich das Umgekehrte: das relativ teure Argentinien ist für uns zu einem Billigland geworden, da wir ja für einen Dollar fast vier Pesos erhalten und nicht nur einen wie noch kürzlich. Die Importwaren allerdings wurden natürlich nicht billiger! Aber die einheimischen Esswaren, Restaurants, Handwerker. Im Yachtclub gibt es viele Handwerkerbuden, da ja an Schiffen immer etwas zu werkeln ist - viel mehr als an einem Haus! Es gibt einige Schreiner, Metallhandwerker (Chromstahl, Stahl, Alu), Maler, Elektriker, Mechaniker für den Motor, Segelmacher, Persenningnäher, Gummibootflicker....
Obschon unser Schiff neu ist, gibt es doch eine Menge zu tun: einerseits zusätzliche Ausrüstungen für die Reise nach Patagonien und Ergänzungen, die wir vor unserem doch sehr schnellen Start letztes Jahr - in Holland und nachher in Portugal - nicht dringend brauchten. Vielleicht zum Glück. Denn erst während des Segelns merkt man, was man eigentlich braucht und was überflüssig ist. Zudem haben wir Schweizer und auch die lieben deutschen Nachbarn einen Hang zur Perfektion, was bei der Ausstattung des Bootes auch fatal sein kann: das Schiff wird nie fertig aber immer schwerer, die Crew ist immer am Werken, die Investitionen ins Boot wachsen... Es gilt da einen guten Mittelweg zu finden, denn Sicherheit muss ja sein, vor allem wenn wir in den stürmischen Süden segeln wollen, und auch Behaglichkeit - Heizung, abwechslungsreiches Essen, guter Rotwein... Also, wir haben Ergänzungen angebracht: so wird unsere kurze Chromstahl-Heckreling verlängert, damit das Cockpit nicht so weit offen ist und wir uns bei hohem Seegang sicherer fühlen und uns festhalten können. Es wird mit einer abnehmbaren Mittelstange versehen, an die wir zwei Rollen mit je etwa 110m schwimmenden Leinen aus Polypropylen besfestigen können. Nun glaubt ihr vielleicht, wir könnten einfach in ein Yachtgeschäft oder Do-it-yoursel-Laden gehen und so Rollen kaufen?! Weit gefehlt! Hans macht sich auf die Suche und findet im weit entfernten Bauzubehörgeschäft 2-Zoll-Sanitär-Kunststoffrohre, die er als Achse auf die richtige Länge umfunktioniert. Beim Schreiner sägt er vier Rondellen von 50cm Durchmesser aus Sperrholz aus und bearbeitet sie weiter. Ich lackiere sie dann und nun können wir die schwimmende Leine - die nach etlichen Vergleichen von Reissfestigkeit und Preis bestellt wurde - darauf wickeln. Diese dienen dazu, CASIMU in den chilenischen Kanälen nahe am Land, wo kein Platz zum Schwoien ist (Bewegungen des Schiffes bei Wind am Anker), an Bäumen oder Felsblöcken zu vertäuen. Und da vor allem ich ungern mit 100m langen Leinen im Beiboot oder auch im Cockpit hantiere und ein "Gnusch" im dümmsten Augenblick befürchte, sind wir nun im Besitz von zwei praktischen Rollen. (Hans bemerkt eben, die habe er nur mir zuliebe gemacht!) Ein dritter Anker (Plattenanker) wird nach langem Hin- und her gekauft. Ferner lassen wir unser Kutterstag (Stag für zweites Vorsegel) in ein Furlex-Rollstag umbauen, damit wir alles vom Cockpit aus bedienen können und Hans bei stürmischem Wetter - im Normalfall - nicht mehr aufs Vordeck muss. Natürlich müssen auch die Segel angepasst werden. Da die Vorsegel alle keinen UV-Schutz hatten, lassen wir einen solchen auch noch annähen, was die Lebensdauer der Segel verlängern sollte. Eine grosse rechteckige Plane wird bestellt: als Regenschutz, Regenwassersammler, Sonnenschutz usw. Hans baut die Steuerbord-Heckkabine vom "Stauraum" zum "Steh-Büro mit Stauraum" um: Auf Brusthöhe wird eine Holzplatte angepasst, befestigt und lackiert. Alle Kabel müssen neu gezogen werden und selbst der geduldige Hans flucht einige Male, da alles so eng ist! Nun sind dort Laptop, Normaldrucker und Fotodrucker fest montiert. Unterwegs brauchen wir ja den Laptop täglich zum Reinholen der Wetterfaxe. Das ewige Aufbauen und wieder Wegräumen des Notebooks ist unmöglich. Eine weitere Lampe wird angeschlossen. Unter dem Büro-Tablar sind nach wie vor Werkzeuge, Ersatzteile, Kabel usw. gestaut. CASIMU muss nach fast einem Jahr im Salzwasser mit dem Travellift ans Land gestellt und aufgebockt werden. Das Unterwasserschiff wird gereinigt, Muschelrückstände und die alten Antifoulingreste entfernt - eine mühsame und langwierige Arbeit - und nun heisst es die ganzen Schichten sorgfältig wieder aufbauen. Bis wir nur wissen, welches Produkt das geeignete ist, wo man es kriegt und wieviel es kostet, dauert es ein paar Fahrten mit Bus und "Remis" (Billigtaxi), einige Telefonate und viele Diskussionen. Die argentinischen Antifoulings sollen wenig taugen, die Produkte von "International" sind viel zu teuer... "Hempel - Antifouling" aus Dänemark gibt's hier nur für die Grossschiffahrt, keine Yachtlinie. Nun, nach zwei Wochen haben wir drei Schichten Primer, drei und bei der Wasserlinie vier Schichten schwarzes Hempel - Antifouling auf dem Unterwasserschiff. Und nach fast drei Wochen auf dem Bock- wir ohne Toilettenbenützung (nur Eimer für das kleine Geschäft) und Wasserverbrauch nur übers Plastikbecken, Leiter hoch und runter - liegt CASIMU nun wieder am Arbeitssteg im Wasser neben einem grossen argentinischen Hausboot mit zwei geschiedenen jungen Männern, die abends sehr schöne klassische Musik und Jazz-CDs abspielen, echt toll! Die Malerarbeiten lassen wir machen, passen aber gut auf, dass alles sorgfältig gemischt und aufgetragen wird. Es klappt gut und wir können den beiden Maler-Brüdern ein schönes Trinkgeld geben. Die Tage verfliegen im Nu, leider oft etwas unbefriedigend, mindestens für mich. Ich erledige viele kleine Nichtigkeiten, bin abends todmüde, ohne eigentlich zu wissen, was ich denn wirklich getan habe. Auf jeden Fall nichts wirklich Spannendes oder Befriedigendes. Nicht selten bin ich recht frustriert und frage mich, was uns denn eigentlich auf den unseligen Gedanken gebracht hat, unser interessantes Leben gegen den unbequemen, aufwendigen und jetzt erst noch langweiligen Alltag auf dem Schiff zu tauschen. Wieso brauchen wir denn eine so grosse Menge an (anfälliger) Technik, Unmengen von Werkzeugen und Ersatzteilen... Eigentlich habe ich mir ein einfaches und natürliches Leben auf dem Schiff vorgestellt. Hans meint dazu, dass ich eine Träumerin und unrealistische Romantikerin sei... er hat wohl recht. Die Gespräche mit den beiden netten deutschen Seglerpaaren drehen sich (leider) auch immer ums Schiff, denn wir sind ja alle in ähnlicher Lage. In den letzten vier Wochen sieht es oft aus, als würden wir umziehen. Da alles eng und auf kleinstem Raum gestaut ist, gibt's sofort ein unheimliches Auftürmen von Waren, sobald an einer Stelle gearbeitet oder umgestaut werden muss. Und die Stimmung von "Zügle", auf die bin ich echt allergisch - ich bin eine Zeitlang allzuviel umgezogen! Wenn das dann über Tage andauert, werde ich echt hässig und überlege mir, wohin ich denn flüchten könnte. Bei schönem Wetter setze ich mich ab und zu in den wunderschönen Park des Clubs und lese eine Stunde unter einem alten grossen Baum am Rio. Das hilft leider nur kurz. Wenn dann das Chaos auch im Salon nicht behoben werden darf, das Thermometer für ein paar Tage über 30° C ansteigt, ist mir so unwohl, dass ich am liebsten heimfliegen würde... doch Hans meint dann, CASIMU sei ja jetzt unser Zuhause.....hmmm! Den würde ich dann am liebsten gleich verkaufen!
Dann gibt's aber auch wieder kleine und grössere "Aufsteller": ein feines Nachtessen mit ausgezeichnetem argentinischem Rotwein auf der Terrasse des Clubrestaurants, eine Bootsfahrt mit unserem argentinischen Nachbarn ins Delta - wo wir schwimmen und neben Schilfinselchen durchs Wasser waten, dann enge romantische Nebenarme in grünen Tunnels durchstreifen, wo ab und zu eine Hütte auf Pfählen steht, in denen Deltabewohner äusserst primitv leben, aber wohl weniger deprimierend als in den Favelas von Buenos Aires. Eine Einladung zum "Asado" (Grillfleisch) von deutschen Mitseglern, ein Spässchen mit dem Clubportier, der Frühlingsgesang der unzähligen Vögel.... und die vielen durchgestrichenen Punkte auf der Liste der Arbeiten. Schon habe ich Grundnahrungsmittel für etwa 5 bis 6 Monate eingekauft und auch gestaut. Nach dem bevorstehenden Abstecher nach Montevideo mit der Fähre verlegen wir CASIMU dann in den YCA an der Darsena Norte im Zentrum von Buenos Aires. Wir erledigen dann noch die letzten Dinge, um bei guter Wetterprognose unser Süd-Abenteuer zu starten: zuerst nach Mar del Plata, wo es vielleicht für lange Zeit das letzte Mal einen Yacht Club mit Wasser- und Stromanschluss an den Stegen gibt.
Du siehst, das Seglerleben ist manchmal auch frustrierend, beschwerlich und ich würde dann am liebsten mit einem sesshaften Leben tauschen ... bestimmt wird es aber wieder anders, ich kenne mich!
 
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