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Bericht vom 12. August 2002
Die paradiesische Inselwelt westlich von Rio de Janeiro
  Nach Grosseinkauf im Supermarkt von Vitoria stossen mir zwei lustige Jungs je einen Einkaufswagen voller Plastiksäcke zum Steg. Sie freuen sich über das Trinkgeld und noch mehr über die Fotos, die wir ihnen ab Digitalkamera mit unserem kleinen Fotoprinter gleich ausdrucken.

Die Hälfte der Säcke ist schon an Bord!

Morgen soll es Richtung Rio de Janeiro gehen, knappe 200sm, vielleicht auch gleich an Rio vorbei zur Ilha Grande - je nach Wind, Lust und Laune der Besatzung. Der Wetterbericht prognostiziert keine gefürchtete Kaltfront, die letzte ist eben mit heftigen Südwestwinden vorbeigezogen. Die Temperaturen sind stark gefallen, es ist noch 20 Grad, und die Leute in Vitoria frieren trotz Winterkleidung: "Che frio!" Auch uns dünkt es kühl und unfreundlich. Morgens bunkern wir noch Wasser. Diesel hat Hans mit den Kanistern schon nachgefüllt. Das Schiff ist sauber gewaschen und ebenso unsere Kleider, Bett- und Küchenwäsche. Wer weiss, wann wir wieder mal an einem Steg mit Wasser und Strom liegen? Für die erste Nacht haben wir uns eine kleine Ankerbucht ausgesucht. Dass sie aber so winzig und eng ist, eigentlich fast nur eine Boxe für Casimu, erstaunt uns. Bei Windstille und Niedrigwasser ankern wir in nur 2m Wassertiefe. Hoffentlich kommt kein Wind auf, wir haben nur sehr wenig Raum zum schwoien. Die Nacht ist ruhig Nach einem ausgiebigen Frühstück geht's los. Im Logbuch steht am 20. Juli: "Wind und See sehr sanft! Bei ruhiger See fahren wir aus der Boxe der engen Bucht. Der Wind aus NE ist anfangs einfach zu schwach, damit wir unter Segeln etwas vorwärtskommen. Also läuft der Motor. Der anfänglich graue Tag wird sonnig und warm. Jetzt geniessen wir die wärmende Sonne bereits! Lesen, Gemüse rüsten, dösen, essen. Der Tag vergeht friedlich und entspannt. Nach dem Nachtessen setzt Röbbi (=Hans) den Spibaum und wir fahren im Schmetterling gegen Cabo Sao Tomé, resp. Richtung Cabo Frio. Auch die Nacht vergeht ohne Zwischenfälle. Leider schläft der bekömmliche Wind ein und Röbbi muss auf seiner Wache die Segel bergen und den Motor starten." Am 21. Juli notiere ich: " In Rauschefahrt nach Rio. Der nordöstliche Wind nimmt im Verlaufe des Tages zu. Eine Zeitlang wäre der Blister (= grosses, leichtes Vorsegel) wohl das richtige gewesen, doch die Wellen sind einfach zu hoch und lassen die Segel etwa schlagen. Möwen, zu zweit oder sogar zu dritt treiben auf Styropor-Flossen nahe am Schiff vorbei. Lustig wie sie auf den Gratis-Transportern stehen. Manchmal haben ins Meer geworfene Abfälle noch einen Nutzen! Ich werfe den Schlaumeiern auch ein kleines Floss zu. Beim gefürchteten Cabo Frio setzt der Wind bis 7 Beaufort zu und die Wellen werden mächtig. Doch wir segeln trocken. Keine einzige Welle steigt ein.


Cabo Frio bei 7Bft

Abends, Richtung Rio, bläst der Wind mit 25 bis zeitweise 36 Knoten ( 6 bis 8 Beaufort) von hinten und Casimu fliegt Richtung Westen. Auf meiner ersten nächtlichen Wache scheint die See zu kochen. Die Wellen sausen vorbei, weisser Schaum legt sich in Streifen in der Windrichtung. Mit dem klein bisschen Vorsegel fahren wir mit 7 bis 10 Knoten über Grund. Die Lichter an der Küste rauschen vorbei. Die See ist leer, keine Fischerboote weit und breit. Wir scheinen die einzigen draussen, bei diesem Wind. Die Fahrt ist erstaunlich ruhig und die Surfs toll!" Schon sehen wir die Lichter von Rio, den Corcovado und den Zuckerhut, die wir von unserer ersten Segelreise nach Rio kennen. Toll! Um Mitternacht liegt Rio querab, einfach fantastisch in all den Inseln und Hügeln. Doch wir haben keine Lust in diese riesige Stadt einzulaufen und so segeln wir die Nacht durch bis zu der ca. 120km entfernten Insel westlich von Rio: Ilha Grande. In der Enseada das Palmas finden wir einen wunderschönen, ruhigen Ankerplatz. Sandstrand abwechselnd mit Felsen, dahinter Palmen und tropische Vegetation, paradiesisch auch die Temperaturen von Luft und Wasser. Und das für uns ganz allein! Gegen Mittag tuckern ein paar Ausflugsboote heran, doch gegen Abend ist es wieder einsam. Der Vollmond beleuchtet Bucht und Hügel und wir geniessen die romantische Ruhe. Nach dem Nachtessen im Cockpit werden seit langem wieder mal die Jasskarten gemischt und wir spielen unseren Zweierjass. Nun beginnen zwei wundervolle Wochen: wir fahren kleine Strecken von Bucht zu Bucht und zu verschiedenen Inseln, baden, geniessen die vielen Farben des Meeres und der Wälder im Sonnenlicht, wandern an einmaligen Stränden und über die Hügel rauf und runter durch tropische Vegetation.

Bambus

Die enormen Bambusstämme beeindrucken uns sehr. Unzählige Vogelstimmen nehmen wir wahr. An den Stränden finden wir Anzeichen von Herbst. Nun, es ist hier ja tiefster Winter!

Herbststimmung am Strand

Die Ankerplätze sind meist sehr geschützt. Es gibt kaum Sorgen wegen rauhem Wetter, heftigen Winden oder Wellen, die den Anker ausreissen könnten. Ja, im Saco do Ceu, einer geschlossenen Bucht, pfeifen die Fallwinde eines Nachts mit über 30 Knoten die Berge herunter, fast wie im Lee einer hohen griechischen Insel. Doch Sorgen bereitet dies uns nicht, denn unser Bügelanker hält super. In einer anderen Bucht empfangen uns drei seetüchtige Höckergänse am Ankerplatz. Sie geniessen das Brot und vorallem am nächsten Morgen die Hirse, die ich noch vom Nachtessen übrig habe. Ich lege sie ihnen auf die Heckkante. Die kleinste Gans hat einen zu kurzen Hals, um den "Teller" zu erreichen. So füttere ich sie mit einem Löffel, damit sie nicht zu kurz kommt. Alle drei fressen sich so voll, dass sie anschliessend über die ganze Bucht paddeln, um auf einem Felsvorsprung das Verdauungsnickerchen zu halten. Gegen Mittag sind sie aber wieder am Heck: "Guäguäguä, hat's noch mehr von dem leckeren Futter?"

Auch sie geniessen Heidi's Küche

Am Ufer wartet ein deutscher Schäferhund und begleitet uns auf zwei ausgedehnten Spaziergängen. Jetzt, im brasilianischen Winter hat es kaum Jachten in diesen Buchten und diese Tiere scheinen dankbar, dass wir endlich gekommen sind! - Wir fürchten uns fast vor den Städten: dem Lärm, dem vielen Asphalt und Beton, den Menschenmassen, dem Gestank.... Wir steuern auch die Stadt Angra dos Rais nicht an, sondern bleiben weiterhin in einsamen Buchten, wo tagsüber etwa Fischer auf ihren Booten ausruhen.

Sonnenaufgang auf der Ilha Cedro

Paraty, ein historisches Städtchen, mit schönen meist restaurierten Kolonialbauten besuchen wir kurz. Es ist im Sommer ein beliebtes Touristenziel, was wir an den unzähligen Ausflugsschiffen erkennen können, die im Moment am langen Holzpier auf Kunden warten. Früher wurde das Gold von Minas Gerais hierhin getragen und da auf die Schiffe verladen, die den ganzen Reichtum nach Portugal brachten. Ein reichhaltiger Früchte- und Gemüsemarkt lässt uns den Frischproviant wieder aufstocken: herrliche Ananas, duftende Mangos, kleine leckere Bananen, Papayas und viel Gemüse werden ins Beiboot verladen und von Hans zu Casimu gerudert, während ich in einem gemütlichen Beizli einen Apero trinke. (Geht's mir nicht gut, mit so einem lieben Partner? Es war weit zum Rudern!!) . Am 4. August, dem 50. Geburtstag von Edi (Bruder von Hans) ist der Himmel grau und die Wolken hängen tief von den umliegenden Bergen - Novemberstimmung am Vierwaldstättersee - aber warm (21 bis 22 Grad). Wir telefonieren um 7 Uhr morgens mit unserem Satellitentelefon Iridium, um ihm zu gratulieren. Dann wollen wir den wunderbar geschützten Ankerplatz bei dem Inselchen Cotia verlassen und in den nahen Saco do Mamangua verholen. Vorsichtig erkunden wir die ganzen westlichen Fiords von der Bahia de Paraty, die zum Teil nicht vermessen sind und kommen uns wirklich vor, wie am Vierwaldstättersee; es ist nur grösser. Vor dem Mittagessen kehren wir wieder zu "unserem" Inselchen zurück, da im Saco ein ungemütlicher SW-Wind weht. Zum Geburtstags-Mittagessen von Edi gibt es einen schönen Salatteller und natürlich einen guten Schluck Rotwein. Prost Edi!

Wir feiern Edi's 50igsten

Am nächsten Tag, dem 5. August notiere ich ins Logbuch: "Waschtag bei der cajoeira. Aus Abrahams Schoss motoren wir bei zunehmend schönem Wetter und fast Windstille aus den Fjorden heraus zu einer weiten Bucht. Im nautischen Führer lesen wir von "rapids" (Stromschnellen), die nach einer etwa zwanzigminütigen Wanderung zu erreichen seien. Mit einem Rucksack voll T-shirts und Shorts machen wir uns auf die kurze Wanderung.

Der Bergbach und der Wasserfall übertreffen unsere Erwartungen: gross, viel sauberes kühles Wasser, ganz in der grünen Wildnis. Wir baden, waschen uns und unsere sieben Sachen und balancieren auf den Steinen und Felsen zur höher gelegenen "cajoeira" (Wasserfall), die wie eine breite, lange Rutschbahn vor uns liegt. Casimu wartet brav in der Bucht." Logbuch-eintrag vom 6. August: "Hagel, Blitz und Donner. Morgens fallen Hagelkörner aufs Schiff. Die Wolken hängen nach dem gestrigen Prachtstag wieder tief von den hohen Bergen runter. Es ist trübe und wenig "amächelig". Auf unserer Weiterfahrt werden wir dauernd genarrt: angenehmer Wind von raumschots, also Genua raus. Dann abflauender Wind, Blitz und Donner voraus, also Motor an, Genua wieder einrollen. So geht's noch zwei oder drei Male.


Gewitter auf dem Meer sind unheimlich!

Doch der bedrohliche Himmel klart im Westen, unserer Fahrrichtung, auf und als wir um den Südzipfel der Insel Couves biegen, ankern wir im schönsten Sonnenschein.
Ja, eigentlich ist es recht schwierig, eine so unbeschwerte und für den Lesenden wohl eher langweilige Etappe zu beschreiben. Doch für uns war sie trotz fehlen, oder vielleicht gerade wegen fehlen von einschneidenden Ereignissen, im Kleinen sehr reich und wundervoll. Vielleicht genossen wir die meist ruhigen Buchten und Inseln auch so bewusst, weil wir ahnen, dass die nächste grössere Etappe nach Uruguay / Argentinien hart und ganz anders ausfallen wird.

Ilhabela, 12. August 2002 Heidi

 

 

 
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