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Nach Grosseinkauf im Supermarkt von
Vitoria stossen mir zwei lustige Jungs je einen Einkaufswagen
voller Plastiksäcke zum Steg. Sie freuen sich über
das Trinkgeld und noch mehr über die Fotos, die wir
ihnen ab Digitalkamera mit unserem kleinen Fotoprinter
gleich ausdrucken.
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Die Hälfte der Säcke
ist schon an Bord!
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Morgen soll es Richtung Rio de Janeiro gehen, knappe
200sm, vielleicht auch gleich an Rio vorbei zur Ilha
Grande - je nach Wind, Lust und Laune der Besatzung.
Der Wetterbericht prognostiziert keine gefürchtete
Kaltfront, die letzte ist eben mit heftigen Südwestwinden
vorbeigezogen. Die Temperaturen sind stark gefallen,
es ist noch 20 Grad, und die Leute in Vitoria frieren
trotz Winterkleidung: "Che frio!" Auch uns
dünkt es kühl und unfreundlich. Morgens bunkern
wir noch Wasser. Diesel hat Hans mit den Kanistern schon
nachgefüllt. Das Schiff ist sauber gewaschen und
ebenso unsere Kleider, Bett- und Küchenwäsche.
Wer weiss, wann wir wieder mal an einem Steg mit Wasser
und Strom liegen? Für die erste Nacht haben wir
uns eine kleine Ankerbucht ausgesucht. Dass sie aber
so winzig und eng ist, eigentlich fast nur eine Boxe
für Casimu, erstaunt uns. Bei Windstille und Niedrigwasser
ankern wir in nur 2m Wassertiefe. Hoffentlich kommt
kein Wind auf, wir haben nur sehr wenig Raum zum schwoien.
Die Nacht ist ruhig Nach einem ausgiebigen Frühstück
geht's los. Im Logbuch steht am 20. Juli: "Wind
und See sehr sanft! Bei ruhiger See fahren wir aus der
Boxe der engen Bucht. Der Wind aus NE ist anfangs einfach
zu schwach, damit wir unter Segeln etwas vorwärtskommen.
Also läuft der Motor. Der anfänglich graue
Tag wird sonnig und warm. Jetzt geniessen wir die wärmende
Sonne bereits! Lesen, Gemüse rüsten, dösen,
essen. Der Tag vergeht friedlich und entspannt. Nach
dem Nachtessen setzt Röbbi (=Hans) den Spibaum
und wir fahren im Schmetterling gegen Cabo Sao Tomé,
resp. Richtung Cabo Frio. Auch die Nacht vergeht ohne
Zwischenfälle. Leider schläft der bekömmliche
Wind ein und Röbbi muss auf seiner Wache die Segel
bergen und den Motor starten." Am 21. Juli notiere
ich: " In Rauschefahrt nach Rio. Der nordöstliche
Wind nimmt im Verlaufe des Tages zu. Eine Zeitlang wäre
der Blister (= grosses, leichtes Vorsegel) wohl das
richtige gewesen, doch die Wellen sind einfach zu hoch
und lassen die Segel etwa schlagen. Möwen, zu zweit
oder sogar zu dritt treiben auf Styropor-Flossen nahe
am Schiff vorbei. Lustig wie sie auf den Gratis-Transportern
stehen. Manchmal haben ins Meer geworfene Abfälle
noch einen Nutzen! Ich werfe den Schlaumeiern auch ein
kleines Floss zu. Beim gefürchteten Cabo Frio setzt
der Wind bis 7 Beaufort zu und die Wellen werden mächtig.
Doch wir segeln trocken. Keine einzige Welle steigt
ein.
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Cabo Frio bei 7Bft |
Abends, Richtung Rio, bläst der Wind mit 25 bis
zeitweise 36 Knoten ( 6 bis 8 Beaufort) von hinten und
Casimu fliegt Richtung Westen. Auf meiner ersten nächtlichen
Wache scheint die See zu kochen. Die Wellen sausen vorbei,
weisser Schaum legt sich in Streifen in der Windrichtung.
Mit dem klein bisschen Vorsegel fahren wir mit 7 bis
10 Knoten über Grund. Die Lichter an der Küste
rauschen vorbei. Die See ist leer, keine Fischerboote
weit und breit. Wir scheinen die einzigen draussen,
bei diesem Wind. Die Fahrt ist erstaunlich ruhig und
die Surfs toll!" Schon sehen wir die Lichter von
Rio, den Corcovado und den Zuckerhut, die wir von unserer
ersten Segelreise nach Rio kennen. Toll! Um Mitternacht
liegt Rio querab, einfach fantastisch in all den Inseln
und Hügeln. Doch wir haben keine Lust in diese
riesige Stadt einzulaufen und so segeln wir die Nacht
durch bis zu der ca. 120km entfernten Insel westlich
von Rio: Ilha Grande. In der Enseada das Palmas finden
wir einen wunderschönen, ruhigen Ankerplatz. Sandstrand
abwechselnd mit Felsen, dahinter Palmen und tropische
Vegetation, paradiesisch auch die Temperaturen von Luft
und Wasser. Und das für uns ganz allein! Gegen
Mittag tuckern ein paar Ausflugsboote heran, doch gegen
Abend ist es wieder einsam. Der Vollmond beleuchtet
Bucht und Hügel und wir geniessen die romantische
Ruhe. Nach dem Nachtessen im Cockpit werden seit langem
wieder mal die Jasskarten gemischt und wir spielen unseren
Zweierjass. Nun beginnen zwei wundervolle Wochen: wir
fahren kleine Strecken von Bucht zu Bucht und zu verschiedenen
Inseln, baden, geniessen die vielen Farben des Meeres
und der Wälder im Sonnenlicht, wandern an einmaligen
Stränden und über die Hügel rauf und
runter durch tropische Vegetation.
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Bambus
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Die enormen Bambusstämme beeindrucken uns sehr.
Unzählige Vogelstimmen nehmen wir wahr. An den
Stränden finden wir Anzeichen von Herbst. Nun,
es ist hier ja tiefster Winter!
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Herbststimmung am Strand
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Die Ankerplätze sind meist sehr geschützt.
Es gibt kaum Sorgen wegen rauhem Wetter, heftigen Winden
oder Wellen, die den Anker ausreissen könnten.
Ja, im Saco do Ceu, einer geschlossenen Bucht, pfeifen
die Fallwinde eines Nachts mit über 30 Knoten die
Berge herunter, fast wie im Lee einer hohen griechischen
Insel. Doch Sorgen bereitet dies uns nicht, denn unser
Bügelanker hält super. In einer anderen Bucht
empfangen uns drei seetüchtige Höckergänse
am Ankerplatz. Sie geniessen das Brot und vorallem am
nächsten Morgen die Hirse, die ich noch vom Nachtessen
übrig habe. Ich lege sie ihnen auf die Heckkante.
Die kleinste Gans hat einen zu kurzen Hals, um den "Teller"
zu erreichen. So füttere ich sie mit einem Löffel,
damit sie nicht zu kurz kommt. Alle drei fressen sich
so voll, dass sie anschliessend über die ganze
Bucht paddeln, um auf einem Felsvorsprung das Verdauungsnickerchen
zu halten. Gegen Mittag sind sie aber wieder am Heck:
"Guäguäguä, hat's noch mehr von
dem leckeren Futter?"
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Auch sie geniessen Heidi's Küche
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Am Ufer wartet ein deutscher Schäferhund und begleitet
uns auf zwei ausgedehnten Spaziergängen. Jetzt,
im brasilianischen Winter hat es kaum Jachten in diesen
Buchten und diese Tiere scheinen dankbar, dass wir endlich
gekommen sind! - Wir fürchten uns fast vor den
Städten: dem Lärm, dem vielen Asphalt und
Beton, den Menschenmassen, dem Gestank.... Wir steuern
auch die Stadt Angra dos Rais nicht an, sondern bleiben
weiterhin in einsamen Buchten, wo tagsüber etwa
Fischer auf ihren Booten ausruhen.
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Sonnenaufgang auf der Ilha Cedro
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Paraty, ein historisches Städtchen, mit schönen
meist restaurierten Kolonialbauten besuchen wir kurz.
Es ist im Sommer ein beliebtes Touristenziel, was wir
an den unzähligen Ausflugsschiffen erkennen können,
die im Moment am langen Holzpier auf Kunden warten.
Früher wurde das Gold von Minas Gerais hierhin
getragen und da auf die Schiffe verladen, die den ganzen
Reichtum nach Portugal brachten. Ein reichhaltiger Früchte-
und Gemüsemarkt lässt uns den Frischproviant
wieder aufstocken: herrliche Ananas, duftende Mangos,
kleine leckere Bananen, Papayas und viel Gemüse
werden ins Beiboot verladen und von Hans zu Casimu gerudert,
während ich in einem gemütlichen Beizli einen
Apero trinke. (Geht's mir nicht gut, mit so einem lieben
Partner? Es war weit zum Rudern!!) . Am 4. August, dem
50. Geburtstag von Edi (Bruder von Hans) ist der Himmel
grau und die Wolken hängen tief von den umliegenden
Bergen - Novemberstimmung am Vierwaldstättersee
- aber warm (21 bis 22 Grad). Wir telefonieren um 7
Uhr morgens mit unserem Satellitentelefon Iridium, um
ihm zu gratulieren. Dann wollen wir den wunderbar geschützten
Ankerplatz bei dem Inselchen Cotia verlassen und in
den nahen Saco do Mamangua verholen. Vorsichtig erkunden
wir die ganzen westlichen Fiords von der Bahia de Paraty,
die zum Teil nicht vermessen sind und kommen uns wirklich
vor, wie am Vierwaldstättersee; es ist nur grösser.
Vor dem Mittagessen kehren wir wieder zu "unserem"
Inselchen zurück, da im Saco ein ungemütlicher
SW-Wind weht. Zum Geburtstags-Mittagessen von Edi gibt
es einen schönen Salatteller und natürlich
einen guten Schluck Rotwein. Prost Edi!
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Wir feiern Edi's 50igsten
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Am nächsten Tag, dem 5. August notiere ich ins
Logbuch: "Waschtag bei der cajoeira. Aus Abrahams
Schoss motoren wir bei zunehmend schönem Wetter
und fast Windstille aus den Fjorden heraus zu einer
weiten Bucht. Im nautischen Führer lesen wir von
"rapids" (Stromschnellen), die nach einer
etwa zwanzigminütigen Wanderung zu erreichen seien.
Mit einem Rucksack voll T-shirts und Shorts machen wir
uns auf die kurze Wanderung.
Der Bergbach und der Wasserfall übertreffen unsere
Erwartungen: gross, viel sauberes kühles Wasser,
ganz in der grünen Wildnis. Wir baden, waschen
uns und unsere sieben Sachen und balancieren auf den
Steinen und Felsen zur höher gelegenen "cajoeira"
(Wasserfall), die wie eine breite, lange Rutschbahn
vor uns liegt. Casimu wartet brav in der Bucht."
Logbuch-eintrag vom 6. August: "Hagel, Blitz und
Donner. Morgens fallen Hagelkörner aufs Schiff.
Die Wolken hängen nach dem gestrigen Prachtstag
wieder tief von den hohen Bergen runter. Es ist trübe
und wenig "amächelig". Auf unserer Weiterfahrt
werden wir dauernd genarrt: angenehmer Wind von raumschots,
also Genua raus. Dann abflauender Wind, Blitz und Donner
voraus, also Motor an, Genua wieder einrollen. So geht's
noch zwei oder drei Male.
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Gewitter auf dem Meer sind unheimlich!
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Doch der bedrohliche Himmel klart im Westen, unserer
Fahrrichtung, auf und als wir um den Südzipfel
der Insel Couves biegen, ankern wir im schönsten
Sonnenschein.
Ja, eigentlich ist es recht schwierig, eine so unbeschwerte
und für den Lesenden wohl eher langweilige Etappe
zu beschreiben. Doch für uns war sie trotz fehlen,
oder vielleicht gerade wegen fehlen von einschneidenden
Ereignissen, im Kleinen sehr reich und wundervoll. Vielleicht
genossen wir die meist ruhigen Buchten und Inseln auch
so bewusst, weil wir ahnen, dass die nächste grössere
Etappe nach Uruguay / Argentinien hart und ganz anders
ausfallen wird.
Ilhabela, 12. August 2002 Heidi
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