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Bericht vom 15-06-02
De volta no Brasil
  Wir sind wieder in Brasilien. Ich war eineinhalb Monate bei meinen Eltern in der Schweiz. Meine Mutter wurde operiert und hat sich recht gut erholt, so dass ich mit Zuversicht zu CASIMU nach Salvador zurückfliegen konnte. Hans war ebenfalls ein Monat in der Schweiz und hat seine Arbeit an einem noch zu beendigenden Projekt abschliessen können. Mit ca. 130kg Gepäck (jeder konnte 2 mal 32 kg mitnehmen) flogen wir zurück in den brasilianischen Winter. Nicht dass der Refleks-Oelofen und dazugehörige Rohre und Kamin in unserem Gepäck bereits für den salvadorianischen Winter gebraucht würden, nein! Hier ist es immer noch ca. 27°C warm und sehr feucht. Doch wir planen ja in den nächsten Monaten gegen Süden zu segeln und da wird's nun zunehmend winterlicher und kühler.
Nun aber der Reihe nach: Also wir kamen Ende Mai mit Ofen, Taucher-Notausrüstung, wieder saniertem Laptop, Pactorgerät, viel Thermowäsche, Navigationsbüchern und Reiseführern für Argentinien und Chile, etlichen anderen Büchern und gewissen Leckereien zurück nach Salvador. CASIMU, der brav in seiner Boxe in der Marina von Aratu auf uns zu warten schien, nahm uns und auch all unser Gepäck ohne Murren auf. Nachdem wir einen akzeptablen Standort im Salon für den Ofen gefunden hatten und auch wussten, wo Rohr und Kamin platziert werden sollten, ging Hans an die Arbeit des Einbauens. Schlauch, Ventile und Befestigungsteile mussten hier gesucht und besorgt werden, was zeitraubend war. Nach einer Woche war's soweit, und wir belohnten uns mit einem mehrtägigen Wanderausflug.
Unsere Wohnstube,
neu mit Ofen.

In der Chapada da Diamantina
Etwa 400km im Inneren von Bahia liegt die Chapada da Diamantina. In der imposanten, wilden Felslandschaft mit unzähligen Flüsschen und Wasserfällen wurden im 18. Jahrhundert Diamanten entdeckt und lösten nach dem Goldfieber von Minas Gerais den Diamantenrausch aus.
Lencois
Auf einer unserer Wanderungen begegnen wir einen älteren Mann mit Sieb auf dem Kopf, der uns erklärt, dass er nach Diamanten schürfe. Nun, anscheinend gibt's immer noch ein paar Nachfahren der Diamanten-Aera. Wir wandern ein paar Tage einfach drauf los, obschon davon vehement abgeraten wird. Nehmt einen "guia"! wird uns ans Herz gelegt. Es gibt davon auch ganz viele, vom kleinen Jungen bis zum älteren Mann. Und wir gäben denen ja gerne etwas zu verdienen. Doch wir haben einfach keine Lust, einem Führer hinten nach zu stapfen, um zu einem spektakulären Wasserfall oder zu einer touristisch wertvollen Grotte zu gelangen. Wir wollen die Landschaft selber entdecken, ruhen, baden und lesen wo und wann wir wollen.
Waschtag
natürliches Alpamare
Das ist nicht ganz unproblematisch, denn nirgends gibt's einen Wegweiser, aber eine Menge kleinster Weglein und Pfade, die sich oft in der Wildnis zwischen riesigen Felsbrocken verlieren. Wir müssen also gut aufpassen, um nicht wie Hänsel und Gretel im Nirgendwo stecken zu bleiben oder verloren zu gehen. Wir erleben auf diese verpönte Art des Wanderns immer wieder Ueberraschungen: nach einem steileren Aufstieg stehen wir plötzlich vor einem grossen Felsvorsprung, von dem Rauch aufsteigt. Ein dunkler "Eremit" lebt da, sauber angezogen kocht er sich eben Tee. Wir kommen ins Gespräch, Bruchteile von seiner Biographie verstehen wir: Er ist ganz allein, lebt da unter dem Felsen, abgelegen vom Dorf Lencois. Seine Eltern sind beide tot, seine Frau ist vor fünf Jahren gestorben.
Der einsame Siedler
Während seines Redeschwalls habe ich Zeit seine "Wohnung" genauer anzusehen: an der Felswand eine schmale Pritsche, geschützt vor dem häufigen winterlichen Regen, zwei Kochtöpfe und ein paar Tassen und Gefässe neben dem Feuer, eine Kiste mit...? allen restlichen Habseligkeiten. Die Felsdecke ist ganz russig vom Kochen am offenen Feuer, doch die Lage seiner Behausung, etwas erhöht, ist wohltuend. All sein Hab und Gut hätten auf einem Schubkarren Platz... Er scheint nicht unglücklicher als wir zu leben. Was sich doch bereits auf Casimu wieder alles an Material und Technik angesammelt hat! Wovon er lebt?
Das erfahren wir ein paar Tage später, als wir ihn zufällig beim Aufstieg im Flussbett nochmals treffen. Er zeigt uns kleine Kristalle, die er anscheinend weit von hier schlagen ging. Ob er sie verkaufen kann?
Rast an einem der unzähligen Wasserfällen.
Wir wandern weiter zu einsamen Felsen, zu frischen, sauberen Wasserläufen, die von Erde und Gestein braun gefärbt sind.
natürlicher Flusslauf
In den Bassins unter den kleinen Wasserfällen können wir uns herrlich abkühlen, denn es ist warm und sehr feucht.
Angenehmer als bergan steigen!

Wir sehen eine Art schwarze, scheue "Murmeltierchen" und später drei lustige Aeffchen, die zwar scheu, aber sehr neugierig sind. Wenn ich eine Melodie pfeife schwingen sie sich auf den grossen Aesten heran und spielen eine Art Verstecken, wie das bei uns die kleinen Kinder etwa tun: Kopf hinter dem Ast hervor, schnell zu mir geguckt und hastig das kleine Köpfchen wieder zurückgezogen; und das unzählige Male hintereinander. Wahrscheinlich meinen sie, ich würde sie so nicht sehen.
Natürlich machen wir an einem Tag auch die fast obligatorische Tour im Auto zu den vielen weit von einander gelegenen Sehenswürdigkeiten. Wir fahren mit zwei sehr sympathischen deutschen Studenten, von denen der eine in Brasilien studiert und somit ein hervorragender Dolmetscher ist.
mit Andy und Philipp
Wir erleben eine lange mit Gaslaterne stimmungsvoll und ganz behutsam geführte Höhlenwanderung. Eine andere Grotte erkunden wir schwimmend mit Tauchermaske, Schnorchel und Flossen. In der "Gruta azul" erleben wir die fantastischen Lichtbrechungen der Sonnenstrahlen, die unzählige Blau- und Grüntöne hinzaubern.
Die Sonne verzaubert die Grotte
Und natürlich erhalten wir einen Ueberblick des Massivs: eindrückliche Gesteinsformationen, die sich aus der Wildnis erheben.
Gipfelblick
Das Kamel
Am nächsten Tag machen wir uns aber wieder auf eigene Faust auf den Weg.
grosser Markt in Lencois
In Lencois ist Markt und wir bewundern die Reichhaltigkeit des Frucht- Gemüse- und Gewürzangebotes. Knaben, meist barfuss, stossen vollbeladene, schwere Schubkarren für die etwas wohlhabendere Hausfrau nach Hause.
reiche Auswahl
Eine Möglichkeit, das Familieneinkommen etwas aufbessern zu helfen. Wir statten dem ausserhalb des Dorfes gelegenen Friedhof einen Besuch ab. Neben grossen marmornen Familiengräbern gibt's viele kleine Holzkreuze. Alles ist sehr verwahrlost. Anscheinend ist hier "tot" auch gleich "vergessen". Oder ob wir das mit unserer schweizerischen Vorstellung falsch interpretieren? Am letzten Tag ist in der Unterstufe der Dorfschule "Schlussexamen": Ausstellung der Arbeiten in den verschiedenen Fächern, kleine Theateraufführung und viele, viele Kinder. Ein paar Mütter sind mit den kleineren Geschwistern anwesend, der einzige Mann ist vom Erziehungs-Departement und filmt. Kein einziger Vater ist da! Ob das nur deshalb ist, weil gleichzeitig ein WM-Fussballmatsch am Fernsehen läuft? Auf jeden Fall bin ich als Gast sehr willkommen, muss mich auf der Liste der "Visitantes" einschreiben und es wird herumgeflüstert, dass ich eine "professora suica" sei. Das ist überhaupt die Erfahrung, die wir in Brasilien bisher machten: wir sind immer willkommen!

Salvador-Impressionen
Regen, Feuchtigkeit, triefende Haut. Stuhllehne und Handlauf im Bus klebrig von Dutzenden oder vielleicht Hunderten schwarzen, braunen, kaum weissen Rücken und Händen. Die Hemden und T-Shirts schneeweiss oder bunt, teils gebügelt, keinesfalls zerknittert. Jedenfalls sauber. Wohl erst heute morgen frisch angezogen. Die Tops der Mädchen sehr eng anliegend und knapp, viel braune Haut zur Schau stellend. Oft attraktiv, manchmal wohl unbequem. Draussen deprimierende Hütten, halbfertige Backsteinhäuschen, Pfützen und viel Dreck und Abfall. Wieso wurden nur Blech und Plastik erfunden? Der Regen und das graue Licht lassen alles viel trostloser erscheinen als bei Sonnenschein. Ein Schwarzer steht an eine Hauswand gelehnt, mit einem nackten Fuss auf einem Karton stehend, das andere Bein an die Mauer gewinkelt. Er wimmert leise vor sich hin, die rechte Wange mit der Hand drückend. Er hat offensichtlich Zahnweh. Nur für ihn gibt's keinen Zahnarzt und wahrscheinlich sind auch Schmerzmittel unerschwinglich. Keiner der Vorübergehenden achtet auf ihn, geschweige denn richte ein tröstendes Wort an ihn. Ja, arm heisst hier auch allein, ohne Hilfe, ohne Erbarmen.

WM-Fieber
Bisher hat Brasilien keinen Match verloren. Die männliche Welt konzentriert sich während der morgendlichen Fernsehübertragungen vor der "televisao". Strassen und Läden sind nur von Frauen und Mädchen bevölkert. Aus Bars, Läden und einzelnen Wohnhäusern höre ich den Reporter und das Gebrüll der brasilianischen Männer. Sobald Brasilien ein "gol" schiesst schwellt das Stimmengewirr enorm an und gleich werden "Chlepfer" und "Frouefürz" abgefeuert. Heute hat die zweite Runde begonnen: Brasilien gegen Belgien. Die meisten Läden sind während der Uebertragung zwischen 8 und 10 Uhr morgens zu, Busse fahren nicht oder mit Verspätung, die Strassen sind fast leer. Männer, Knaben und einige Frauen und Mädchen im Brasilienleibchen fiebern vor dem Fernseher. Bei strahlendem Sonnenschein spielen ein paar kleine Mädchen mit Puppen draussen auf der Strasse. Sie sind sicher, denn es fahren jetzt keine Autos. - Jubeln, Knallen.....Gott sei Dank, Brasilien gewinnt 2:0 und alle sind stolz und glücklich, obwohl sie kaum ein anderes Resultat erwartet haben. Denn Brasilien ist das Einzige, Beste, Unvergleichliche....nicht nur im Fussball! -
Ich hoffe natürlich, dass Brasilien die WM gewinnt. Was muss da erst los sein hier!! Das möchte ich schon gerne erleben.

Salvador, 15. Juni 2002 Heidi

P.S. Da die Festplatte meines Laptops kaputtging, habe ich die meisten e-mail-Adressen verloren. Du musst uns also zuerst mailen, damit wir deine Adresse wieder haben.

 

 

 


 
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