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oder.... wenn man zu Beginn alles wüsste, würde
mans vielleicht nicht wagen!
Also vorweg mal: wir sind nach vier Tagen und vier
Nächten auf dem Atlantik (vom 16. bis 20. Dezember
01) im Norden der Insel Lanzarote in einer imposanten
Bucht mit wuchtigen Lavafelsen, weissem Sandstrand und
grünblauem Wasser glücklich und wohlbehalten
vor Anker gegangen.
Doch der Reihe nach: In Lagos / Algarve war das Wetter
sehr wechselhaft und die Wettervorhersagen ein paar
Tage lang wenig ermutigend, um die Ueberfahrt auf Madeira
oder die Kanaren zu wagen. Ein paar Boote warteten wie
wir, doch wohl schon einiges länger, auf günstigen
Wind und ruhigeres Meer. Am Sonntagmittag, dem 16. Dezember,
beschlossen wir, nach dem Anhören der Wetterprognosen
von Radio France Inter, es zu wagen. Das Meer sollte
zwar "grosse" sein und ein Tief jagte das
andere, aber immerhin kein Sturm und kein Südwind...
was solls! Alles wurde seeklar verstaut und etwas Picknick
vorbereitet. Es nieselte und war grau, als wir uns vom
holländischen Nachbarn verabschiedeten und als
einzige in Thermowäsche und Oelzeug den Hafen Richtung
offene See verliessen. Der dunkle Atlantik empfing uns
mit zünftigem Seegang. Wir hatten beide noch keine
Seebeine, da wir ja bloss von Vilamoura nach Lagos gesegelt
waren. Der Wind blies mit 5 bis 6, bald mit 6 bis 7
Beauforts (starker Wind, aber noch kein Sturm) von Osten,
wie vorausgesagt. Also die Richtung stimmte, Gott sei
Dank, war unser Kurs doch Südsüdwesten. Bald
musste die Genua (Vorsegel) weggerrollt werden und Hans
musste aufs Vorschiff, um die vorbereitete Starkwindfock
am Kutterstag zu klarieren. Das war schon eine sehr
wellige und unangenehme Angelegenheit! Mit Starkwindfock
und gerefftem Grosssegel machten wir tolle Fahrt von
7 und mehr Knoten ( 12 bis 15 km/h). CASIMU schien richtig
in ihrem Element zu sein. Sie flog nur so über
die Wellen, obschon diese konfus und die See echt ungezogen
und ruppig waren. Die neue Aries-Windsteuerung hielt
sehr gut Kurs. Die Beiden waren ein echt Vertrauen erweckendes
Duo.
Die einzigen, die mit dem Seegang eher Mühe hatten,
waren wir zwei! Ich hatte vor der Ausfahrt zur Vorsicht
ein Stugeron (Mittel gegen Seekrankheit) geschluckt,
und es ging mir zwar nicht blendend aber immerhin recht.
Hans fühlte sich nach dem Balanceakt auf dem Vorschiff
ziemlich elend und verschmähte jegliche Zwischenverpflegung.
Beide vermieden wir es vorläufig, nach unten ins
Schiff zu steigen, empfindet man doch den Seegang da
noch ärger. Im Logbuch wurde nur mit Ueberwindung
und möglichst schnell das Nötigste eingetragen,
um schnell wieder nach oben ins Cockpit zu kommen. Immer
wieder prasselte der Regen nieder. Hinter dem Sprayhood
blieb man eingermassen trocken. Mein bevorzugter Platz
war und ist bei solchem Wetter, im Niedergang zu sitzen.
Abends wollte Hans immer noch nichts von Essen wissen,
und ich hätte es wohl auch kaum geschafft, bei
diesem Geschaukel ein Essen zu kochen; Reis oder Penne
zwar schon. Ich ernährte mich von Darvidas und
rohen Rüeblis, die ich sehr liebe, vor allem bei
unangenehmer See. Bald wurde es ganz dunkel, etwas unheimlich
ohne Mond und Sterne! Die Wellen hörte man nur
anrauschen und sah ihre Schaumkronen erst im letzten
Moment in den Hecklichtern aufleuchten. Wir wechselten
uns im Wachehalten ab; das andere schlief, respektive
lag in den Kleidern im Salon, wo ein Leesegel (eine
Art Auffangnetz) das Runterfallen vom Coach verhinderte.
Ungefähr alle drei Stunden wechselten wir die Rollen.
Wer Wache hielt, hatte eigentlich nicht viel zu tun,
solange der Wind die Richtung und Stärke nicht
änderte. Die Aries-Selbststeuerung und CASIMU erfüllten
ihre Aufgabe, als wären sie schon ein lange eingespieltes
Team. Das war für uns sehr beruhigend. Die Wache
musste mit Hilfe des Radars nach andern Schiffen Ausguck
halten und eben schauen, dass alles regulär tönte,
ächzte, rauschte, donnerte. Das Gehör ist
in solchen Nächten extrem alarmiert und jedes unübliche
Geräusch lässt auch den Ruhenden aufhorchen.
Schiffe begegneten wir die ganze Zeit über kaum,
also ging es vor allem drum, wach zu bleiben für
alle Fälle. Am Montagmorgen hatte ich Hunger und
fand, jetzt müsste endlich was Warmes gegessen
werden: "Möchtest du lieber Penne oder Reis?"
fragte ich Hans. Ohne grosse Begeisterung und Appetit
kam es: "Penne...aber meinst du wirklich, dass
es nicht zu gefährlich ist, bei diesem Seegang
etwas zu kochen? Du könntest dich leicht verbrennen."
Doch zum Glück gibt's auf dem Segelschiff einen
kardanisch aufgehängten Kochherd und Festmacher
für die Pfannen, sonst wärs bei diesem "mer
grosse" wirklich unmöglich, etwas zu kochen.
Ich schüttete ein ganzes Pack Penne in weniger
kochendes Wasser als üblich, wegen der Gefahr des
Ueberschwappens. Dazu wärmte ich die vorbereitete
Sauce all' arrabbiata. Ich ass mit Heisshunger eine
Schale voll penne mit der herrlich scharfen Sauce und
Parmesan darüber, während Hans nur ein paar
nackte, trockene Röhrchen kaute... ganz gegen seinen
üblichen Appetit!
Der Himmel war immer noch grau und wolkenbehangen und
die vorausgesagten Schauer liessen kaum nach. Doch immerhin
war es wieder Tag und nach dem herrlichen Frühstück
kehrte für mich wieder etwas Normalität in
den Alltag. Ich fühlte mich gut und bei Kräften.
Zudem kamen wir voran und hatten den Wind nicht gegen
uns. Doch am Nachmittag kams beinahe zu einem Unfall:
Nach dem Mittagsschläfchen wollte ich schlaftrunken
aus dem Schlafsack klettern, als CASIMU von einer grossen
Welle rübergeworfen wurde. Ich verlor das Gleichgewicht
und flog kopfvoran an die Türkante, dass es nur
so donnerte und krachte, und ich vor Schrecken und Schmerzen
zu wimmern anfing. Zum Glück hats für solche
Fälle im Kühlschrank stets ein Kühlpaket.
Mein Berner Schädel bekam zwar eine zünftige
Beule, aber sonst schien er zu halten und ich kam mit
dem Schrecken davon!
Nach zwei Tagen ruppiger, nasser und anstrengender Fahrt
zeigte sich doch wieder mal die Sonne und die Thermowäsche
wurde zu warm. Auf einen Schlag war bei dem wunderbaren
Licht alles leichter und angenehmer. Die Nacht zeigte
sich mit ihren Sternen: wunderbar beschützend stand
Orion, der alte Freund, über uns; nicht weit davon
leuchtete Jupiter in seiner vollen Pracht und erfüllte
unser winziges Herz mit Zuversicht und Freude. Mit einem
Mal war es wundervoll, allein auf dem weiten Atlantik
zu sein. Der Wind flaute mehr und mehr ab und wir starteten
den Motor. Da wir vorher unter Segel ein bisschen zu
weit nach Osten / Afrika geraten waren, konnten wir
jetzt den Kurs unter Motor korrigieren. Jetzt steuerte
der elektrische Autopilot. Die Wellen wurden bescheidener
und übersichtlicher, der Barometer stieg und auch
die Temperaturen. Wir waren ja auch schon einige hundert
Seemeilen im Süden von Portugal! Einige Delfine
begleiteten seit Stunden unsere CASIMU. Sie scheinen
das Motorengeräusch zu mögen. Wie sie bloss
unterscheiden können, welches Schiff für sie
ungefährlich und welches verhängnisvoll sein
könnte?
Hans bekam Lust auf gebratene Penne mit Ei, wohlverstanden
zum Frühstück. Dazu eine heisse Ovomaltine!
Ich war zünftig erkältet und hatte einen Kopf
zum Zerspringen. Folgen des Sturzes oder der Erkältung?
Doch der Appetit war mir nicht vergangen.
Am Mittwochmorgen hatten wir genug vom motoren und bei
schwachem Wind setzten wir unseren neuen, 110qm - Blister
(grosses, farbiges Vorsegel für Schwachwind, einem
Spinnacker verwandt). Zum Glück hat Hans sehr viel
technisch-handwerkliches Gespür und weiss sofort,
wie so ein Ding vorbereitet werden muss, dass es dann
auch richtig hängt! Bei mir wäre das schon
ziemlich unsicherer. Wie er wohl aussieht? Ich wünschte
ihn mir in den Farben weiss, blau (Bavaria-blau) und
natürlich den Stern in der Mitte rot! Kaum zogen
wir die "Wursthülse" hoch, stand er auch
schon in den frischesten Farben und CASIMU machte einigermassen
Fahrt bei dem schwachen Wind. Wieder erstaunte uns,
wie zuverlässig die Aries-Windsteuerung diesen
heiklen Vorwindkurs steuerte und das bei Wellengang!
Die letzten Stunden motorten wir dann gegen einen zunehmenden
Südwind und waren erleichtert und glücklich,
als wir am Donnerstagmorgen die im Norden der Insel
Lanzarote vorgelagerten kahlen und unbewohnten Inseln
passierten. Der Bügelanker fiel in der grossen
Bucht nordwestlich von Orzola und fasste gleich zünftig.
Da immer noch Südwinde vorherrschen, sind wir heute,
am 23. Dezember, immer noch in dieser beeindruckenden
Bucht. Die enormen schwarz-braun-roten Lavafelsen um
uns bieten Schutz, doch pfeifen und fauchen auch gewaltige
Fallwinde zu uns herunter, was uns nachts etwa aufschrecken
lässt.
Doch wir geniessen hier die Einsamkeit und Ruhe. Ausser
ab und zu einem vorbeifahrenden Fischerboot oder der
kleinen Fähre nach dem Inselchen Graciosa, sind
wir ganz alleine. Auch die Temperaturen sind ideal:
Luft ca. 22 bis 23 Grad, Wasser etwa 20 Grad warm. Geduscht
und gebadet wird ab sofort wieder im Meer! Hans hat
den Windgenerator (eine Art Windrad) und die Solarpannels
montiert und angeschlossen, so dass wir für Licht,
Computer und Kühlschrank genügend Strom haben,
ohne den Motor laufen zu lassen. Gekocht wird vegetarisch
(die Fischerrute ist noch nicht in Betrieb) und einfach;
aber täglich essen wir auch frischen Salat und
Früchte und natürlich haben wir auch Wein
an Bord!
Was wir auf der Ueberfahrt wieder mal eindrücklich
erfahren haben: wir zwei waren die schwächsten
und anfälligsten Teile in der Auseinander-setzung
mit den Naturkräften Wind und Wellen. CASIMU, Segel,
Motor und Autopiloten liessen sich in keiner Weise beeindrucken
oder fielen gar aus! Und trotzdem vertrauen wir meistens
vorallem uns selber !!
Vielleicht wirst du dich fragen, was denn eigentlich
an so einer Ueberfahrt Spass macht? Ob es denn nicht
nur ein Ausharren ist, wenn sogar das Auf-die-Toilette-gehen
zum anstrengenden Balanceakt wird? Ja, hmmm... je nach
dem, in welchem Augenblick du uns das fragen würdest,
würden wir dir wohl zustimmen, dass man wohl schon
ein bisschen zum "mad poeple" gehören
muss, wie es ein Engländer ausdrückte, wenn
man segelt. Und doch... wenn man dann ankommt, in einer
ruhigen Bucht liegt, werden die Kleinigkeiten des Alltags,
wie gemütlich zusammen essen, ein Glas Wein trinken,
im richtigen Bett wieder mal eine Nacht ruhig durchschlafen
und und und.....die alle zu Hause selbstverständlich
waren, zu Kostbarkeiten und man geniesst sie intensiv
und ganz bewusst. Und abgesehen davon gibt es auch auf
einer solchen Ueberfahrt immer sehr schöne Momente.
Alles ist halt ziemlich intensiver als der gewohnte
Alltag zu Hause. Und vielleicht sind wir ja auch deshalb
losgezogen, um wieder diese kleinen Dinge schätzen
zu lernen und die Ausschläge des Alltagspulses
weiter werden zu lassen....So genau wissen wir das jetzt
auch noch nicht.
Vorläufig werden wir auf den kanarischen Inseln
bleiben, wo uns nach den Festtagen unsere Eltern und
eine liebe Freundin besuchen kommen. Sie möchten
nämlich wissen, wie unser neues Zuhause aussieht.
Wir wünschen dir etwas Ruhe und Musse über
die Festtage und freuen uns natürlich immer über
e-mail-Post (halt keine Dokumente oder Fotos bitte,
nur reiner Text!). Möchtest du etwas genauer wissen,
mail es uns doch, wir werden sobald als möglich
antworten.
Mit den besten Wünschen fürs 2002 Heidi und
Hans
Lanzarote, der 23. Dezember 2001 Heidi
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