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  Im Königreich Tonga: Vava'u, Treffpunkt der Jachten - Schwimmen mit den Walen - Schlimme Verbrennungen von Quallen - Schweine und Choräle in der Ha'apai Gruppe - Riffe aus den Tiefen des Pazifiks, oder die Angst fährt mit

Unsere Ueberfahrt von Niue nach der Vava'u Inselgruppe in Tonga - knappe 250 sm - verläuft die ersten 24 Stunden mit östlichen Winden von 4 bis 5 Beaufort ganz zufriedenstellend. Doch dann wird der Wind schwächer, beginnt zu drehen und schläft bald mit ruhigen Atemzügen. Als sogar das bunte Leichtwindsegel zu schlagen beginnt und schlaff herunter hängt, gibt Hans nach vielen vergeblichen Segelwechseln und Anstrengungen enttäuscht auf.

Wir starten "the iron sail", überqueren die tiefste Stelle im Pazifik, den Tonga-Graben mit 10'000 m Tiefe (was da wohl alles an unbekannten Lebewesen verborgen ist?) und fahren halt die letzten 100 Meilen unter Motor. Schade!

Vava'u, Treffpunkt der Jachten
Beim ersten Licht taucht die nördliche Inselgruppe Vava'u mit dunklen Erhebungen vor uns auf und bald auch ein blasender Wal und ein weisses Segel. In Tonga ist es inzwischen bereits der 20. Juli wie in allen anderen Ländern westlich der Datumslinie. Wir haben den 19. Juli auf der Ueberfahrt einfach "verloren"!

Wir steuern den Hauptort Neiafu an. Doch bevor wir ankern und an Land gehen dürfen, muss einklariert werden. Die Gastlandflagge und die gelbe Q-Flagge flattern bereits vorschriftsgemäss auf der Steuerbordseite neben dem Mast. Wir legen am Haupt-Kai an und ich klettere über die riesigen LKW-Pneus an Land, um die Bugleine zu befestigen.

Bald erscheint der Immigrations-Beamte in typischem Rock an Bord. Seine erste Frage lautet: "Have you any soft drink on board?" Of course we have, aber keinen gekühlten, denn unser Kühlschrank ist seit längerer Zeit still gelegt. "No problem", meint er und geniesst den neuseeländischen Fruchtsaft aus Niue.
Neiafu: Treffpunkt der Jachties Markt in Neiafu
Während ich Formulare ausfülle, kommen die Offiziellen vom Zoll und der Quarantäne ebenfalls an Bord. Weitere Formulare werden vor mir ausgebreitet, die Pässe werden gestempelt und dann will der Quarantänemann die frischen Vorräte und die Abfälle anschauen. Alles problemlos, nur haben wir noch keine tonganesischen Dollars (Pa'anga), um den geforderten Betrag zu bezahlen. Hans darf an Land und bei der nahen Bank am Automaten Bargeld beziehen.

Der Gesundheitsbeamte kommt nicht auf CASIMU (wir sehen wohl zu gesund aus!!), wohl aber auf die beiden nach uns einlaufenden, befreundeten Jachten und sie müssen einen weiteren Betrag bezahlen.

Eine solche Ansammlung von Jachten wie hier in dem geschützten Meeresarm von Neiafu gab's nicht einmal in Papeete! Ich zähle gegen 30. Da liegen neben den Fahrtenseglern aus aller Welt auch noch einige Charterboote von Moorings und Sunsail.

Als ich mich wegen einer freien Boje über Funk erkundige, meldet sich Günther, ein Schweizer aus dem Laufenthal, der mir weiterhilft. Er führe das Restaurant "The dancing Rooster" (vorher war er Küchenchef im besten Hotel von Neiafu, dem "Paradise International", wie wir später erfahren).

Abends essen wir bereits in Günthers luftigem, kleinem Restaurant über der Bucht: herrlichen "Poisson cru" mit Kokosnussrahm als Vorspeise und dann selbstgemachte Ravioli, eine Portion mit Blaukäse und eine mit Krabbbenfüllung. Dazu eine Flasche neuseeländischer Weisswein. Fein, dass es am anderen Ende der Welt professionelle Schweizer Köche gibt!

Hinter uns sitzt ein "Pensionär", der österreichische Bäcker Joe, der das "Lighthouse-Café" führt, Roggen- und Vollkornbrote und andere ungewöhnliche Leckerbissen bäckt. Wir sind ab nächsten Tag frühmorgendliche Kunden, denn gutes, dunkles Brot konnten wir bisher nirgends im Pazifik kaufen.

Die Einkaufsmöglichkeiten in Neiafu sind mässig: ein paar "Supermärkte" (kleinere Läden) führen vor allem Konserven und als ich endlich Haferflocken für Hans finde, sind die bereits längere Zeit "over data". Zum Glück brauchen wir nichts für CASIMU, denn Schiffzubehör findet man nicht.

Auf dem Frischmarkt gibt es Taro, Maniok und Süsskartoffeln, Gurken und Kohl, Kokosnüsse, Bananen und Papayas. Einmal habe ich Glück und kann ein paar Tomaten auftreiben. Nein, Neiafu ist trotz der Charterbasen kein idealer Ort zum Vorräte aufstocken, die Auswahl ist sehr beschränkt und recht teuer.

Aber ein paar Internet Möglichkeiten sind vorhanden, wenn auch nicht allzu geschwind! Ebenfalls ein paar Wäschereien.

Und die Bewohner? Viele Tonganer sind freundlich, wenn auch nicht sonderlich interessiert an "Palangi" (Weisse). Vielleicht, weil im kleinen, dörflichen Neiafu eben recht viele Touristen - vor allem Jachties - rumlaufen? Die gemächlichen Einheimischen sind unaufdringlich und lassen uns in Ruhe.

Zum ersten Mal sehen wir die bis zu den Waden reichenden Wickelröckelröcke der Männer (vala) und die darüber geschlungenen halblangen Tapa-Bauchbinden (taovala), die aus der Rinde des Maulbeerbaumes kunstvoll geflochten werden. Das sieht bei den meist grossen, hünenhaften Männern würdig aus.

Die Frauen tragen lange Röcke mit kurzen Aermeln und oft enormen Bastmatten um die Hüfte, so bei festlichen Anlässen oder wenn sie trauern. Nie sieht man bei ihnen schulterfreie Tops und Shorts. Diese saloppe Bekleidung ist auch für uns Touristinnen nicht angebracht.

Wenn die Frauen im Meer baden, dann in voller Bekleidung, wie meist auch die Kinder und viele Männer. Die religiösen Tonganer sind in ihrer (vordergründigen) Moral stark von den christlichen Missionaren geprägt und da ist eben vieles, was eigentlich natürlich und dem heissen Klima angepasst wäre, unsittlich.

Nach ein paar Tagen laufen wir aus, um an einem der vielen Ankerplätzen bei den nahen Inseln in unberührter Natur zu ankern. Die "Blue Lagoon", nur 9 sm von Neiafu entfernt, ist einmalig schön: auf zwei Seiten kleine Palmen-Inselchen mit hellen feinen Sandstränden und auf der Westseite Blick auf den offenen Pazifik. Das Riff schützt uns vor den ozeanischen Wellen. Ideal!

Das Wasser um uns ist wunderbar klar und ich sauge die unzähligen Blau- und Grüntöne in mich auf. Wir schwimmen täglich, ich schnorchle am Innen- und bei ruhigen Bedingungen am Aussenriff, wir klettern durch dichten Bewuchs an wilden Geissen vorbei auf die höchste Inselspitze, fahren mit dem Gummiboot bei Hochwasser zwischen den Inseln durch in eine grosse Lagune und geniessen die Ruhe.
Altes tonganisches Auslegerkanu Tonganische Kinder am Schlecken
Tagsüber ankern etwa Charterjachten für ein paar Stunden hier, doch am Nachmittag verlassen sie den Platz wieder, denn in ihren Führern ist er nur als "day anchorage" angegeben. Doch er ist optimal geschützt und wir wettern auch eine Kaltfront hier problemlos ab.

Zwischendurch fahren wir nach Neiafu zurück, denn Manu, die tonganische Frau von Günther feiert ihren 30. Geburtstag und hat uns dazu herzlich eingeladen. Das Restaurant ist für dieses Fest reserviert und am reichhaltigen Buffet dürfen natürlich die Spanferkel nicht fehlen!

Unter den vielen "Palangi" (Weisse) lerne ich Katharina kennen, eine offene, sympathische Deutsche. "Die grosse Liebe habe sie hierher gebracht", sagt sie schmunzelnd und erklärt, dass vorher ihr Leben nach rein rationalen Massstäben verlaufen sei. Dann habe sie mal auf ihr Herz gehört und all die vernünftigen Einwände zur Seite geschoben und ihre beruflich erfolgreiche Karriere und die Sicherheit und Ordnung in Deutschland aufgegeben.

Jetzt ist sie seit vier Jahren mit einem wesentlich jüngeren Tonganer verheiratet und versucht, sich in dieser völlig "un-deutschen" Gesellschaft wieder eine berufliche Existenz aufzubauen. Als Computer-Spezialistin hat sie es hier nicht leicht.

Sie erlebt die prüde Religiosität der Tonganer als heuchlerisch, denn Seitensprünge seien bei den meisten Ehefrauen (und wohl auch Männern!) an der Tagesordnung. Auch stimme es nicht, dass Geld und Materielles nicht wichtig sei, im Gegenteil!

Da die Sippe alles in Anspruch nimmt, ist häufig für den Einzelnen gar kein Ansporn zum Arbeiten da. In der Bank werden auch Verwandten von einem persönlichen Konto wie selbstverständlich Geld ausbezahlt!

Die Adoptiveltern des Mannes seien in ihrem Haus ein- und ausgegangen und hätten sich einfach frei bedient und mitlaufen lassen, was ihnen gefiel, ohne zu fragen, bis sie den Riegel geschoben habe! Ihr Mann könne einen Teil des Lohnes für sich behalten und sei jetzt motiviert zu arbeiten und stolz, wenn er sich vom eigenen Geld ein Paar Schuhe oder sonst was kaufen könne.

Beschwerlich findet sie das Einkaufen, weil die Auswahl an Frischprodukten sehr beschränkt und unregelmässig ist. Zudem sitzt alle Jahre wieder die Angst vor einem Hurrikan im Nacken, der Haus und Garten zerstören könnte.

Ich bewundere den Mut und die Entschlossenheit von Katharina. Ich glaube nicht, dass ich je wegen einer exotischen Beziehung so viel aufgegeben hätte. (Oh je, meine Vernunft!)

Und da sitzt auch Ivan, ein äusserst liebenswürdiger Prager, der seit 10 Jahren alleine zwischen Tonga und Neuseeland hin und her segelt: 6 Monate hier, 6 Monate dort; solange sind die jährlichen Aufenthaltsbewilligungen für Touristen in beiden Ländern. Doch nach der letzten stürmischen Ueberfahrt hat er genug von der Seglerei und will nach Hamburg zurück. Er zeigt mir den Aushänger am Brett, wo sein etwas herunter gekommenes Schiff zum Verkauf ausgeschrieben ist. Ob er hier einen Käufer für sein Stahlboot findet?

Uwe, ein einsilbiger älterer Deutscher, ist daran, ein kleines "Resort" mit Restaurant und drei Bungalows in einmaliger Lage an der "Blue Lagoon" aufzubauen. Er ist jetzt vorerst am Roden und konnte das Land für 20 Jahre pachten.

Land und Boden kann in Tonga nämlich nicht gekauft werden. Das gehört alles dem König. Adlige verwalten es und geben es in Pacht: wie man uns sagte, bis vor kurzem je für 50 Jahre, an Ausländer nur noch für 20. Oft ist es so, dass eine tonganische Familie das Pachtrecht besitzt und das Haus oder Geschäft dann an einen Ausländer weiter vermietet.

Günther mit seinem schön hergerichteten Restaurant und auch Joe, der österreichische Bäcker, sind in dieser Lage. Beide konnten die Tonganer nicht dazu bewegen, ihnen das Pachtrecht abzutreten. Ohne Einhaltung einer Frist kann ihnen gekündet werden. Der "Unter-Mieter" ist ohne Recht, auch wenn er viel renoviert und investiert hat. Eine unbefriedigende Situation.

Der bejahrte älteste Sohn des amtierenden greisen Königs - jetzt Aussen- und Verteidigungsminister - hat dringend nötige "Bodenreformen" angekündigt, wenn er mal an der Macht sein sollte... Ob er sie wohl durchführt?

Viel Interessantes gibt es in Neiafu nicht zu sehen. Ich besuche noch das Büro des "IFAW" (International Fund for Animal Welfare), der bei uns viel weniger bekannt ist als der WWF. Filipe Tonga, der Leiter, hat eine Menge Flugblätter mit Informationen über "Whale watching" und Tierschutzprojekte im Südpazifik aufgelegt, die ich mitnehmen darf.
Die Richtlinien fürs Beobachten von Walen studiere ich eingehend, denn schon lange warte ich auf die Gelegenheit, mal mit den Walen zu schwimmen. Und sie kommt überraschend und zufällig.

Schwimmen mit den Walen
Am 1. August lernen wir an einem weiteren Ankerplatz ein sympathisches Schweizer Paar aus Neuseeland kennen. Elsbeth und Hans machen für zwei Wochen hier auf einem kleinen Inselchen in einem Mini-Resort mit nur drei Bungalows Ferien.

Tags darauf fahren sie mit uns auf CASIMU aus. Auf unserem Weg zwischen zwei Inseln sehen wir Wale blasen und auftauchen. Sie kommen sehr langsam in unserer Richtung. Wir stoppen den Motor und beobachten sie. Als sie etwa 300 bis 400m von uns entfernt sind, sage ich: "I gloube, i gah zue ne ga schnorchle." Ich schlüpfe in den Neoprenanzug und flösse mir innerlich Mut zu. Da meint der NZ-Hans trocken: "Isch's raecht, wenn ig o mitchumme?" So paddeln wir gemeinsam mit Flossen, Taucherbrille und Schnorchel los. Ich gebe NZ-Hans die Hand, denn etwas aufgeregt bin ich schon und das Wasser, das wir durchschwimmen, ist tief.

Die Wale bleiben an der Stelle. Wir schwimmen sachte näher: eine riesige Glattwal-Mutter (southern right whale) liegt an der Oberfläche, ein Baby von etwa 5 m - vielleicht eben erst geboren oder höchstens ein paar Tage alt - schmiegt sich ganz nahe an sie. Ob es wohl trinkt? Zwischen ihnen und uns sind noch zwei temperamentvolle Halbwüchsige, die auf- und abtauchen, sich vor uns drehen und mit der Schwanzflosse zünftige Wirbel verursachen.

Sie tauchen mehrere Male tief ab und kommen sehr nahe an uns wieder hoch, so als wollten sie uns begrüssen und gucken, ob wir ihre akrobatischen Einlagen geniessen würden. Das Wasser ist sehr klar und so sehen wir sie auch tief unter uns. Sie bleiben um das grosse Weibchen. Alle vier lassen sich von uns nicht stören. Ich fühle mich richtig wohl und willkommen bei ihnen! Wir können sie oft fast berühren und ich sehe alles ganz genau: ihre weisslichen Warzen ("callosite") am Kopf und bei den Augen, die grossen weissen Flecken am Bauch, die kleinen Putzerfische an ihren Seiten und ihre wunderbaren Bewegungen. Gäbe das Fotos!

Das ist so wunderbar, dass wir sicher gegen eine Stunde staunen, ohne uns kaum zu bewegen. Glattwale haben riesige Köpfe, werden bis zu 18 m lang und bis zu 80 t schwer. Die "Teenager" sind auch schon rechte Brocken, sicher fast so lang wie CASIMU. Wir sind echte Winzlinge neben ihnen!

Das war wohl der tonganische Höhepunkt. NZ-Hans und ich sind überwältigt und erzählen den auf CASIMU geduldig Wartenden begeistert.

Hoffentlich kann ich das noch wieder mal......und ich schreibe meinen Lieben zu Hause: "Es ist sooo toll, das könnt ihr euch gar nicht vorstellen!"

Während unserer ganzen Tonga Zeit sehen wir regelmässig Wale, denn die südlichen Glattwale und die Buckelwale kommen im Herbst / Winter in diese warmen, geschützten Gewässer, um ihre Jungen zu gebären und schwimmen, wenn die Kleinen im südlichen Frühling für die Kälte gewappnet sind - die Jungen nehmen von der fettreichen Muttermilch täglich etwa 90 kg zu! - zurück in die Antarktis, um wieder tonnenweise Krill zu filtern. All die Monate hier fressen die erwachsenen Wale nichts, denn es gibt keinen Krill.

Schlimme Verbrennungen von Quallen
Nach gemütlichen Jassstunden bei Regenwetter mit Hans und Elsbeth von NZ ankern wir die letzten Tage in Vava'u zusammen mit unseren kanadischen und amerikanischen Freunden aus Niue nochmals in der "Blue Lagoon". Täglich schwimmen wir im klaren Wasser. Am letzten Morgen, bevor wir nach den südlichen Ha'apai Inseln auslaufen, schwimme ich nochmals, während Hans auf der amerikanischen MUSIC weilt.

Da verbrennen mich unsichtbare Quallen dermassen, dass ich Angst habe, ich komme nicht mehr zum Schiff zurück, denn ich habe im linken Arm kein Gefühl mehr und bekomme Atemnot. Einer der ellenlangen Tentakel wickelt sich auch um meinen Bauch.... es ist absolut der Horror!

Als ich endlich, nach weiteren Quallenberührungen das Schiff erreiche, bin ich total fertig: ich kann kaum mehr atmen, leide unter Schwindel und es brennt überall. Ich erschrecke, als ich mich im Spiegel sehe: ich bin sehr bleich und habe riesige Pupillen. Wo ist bloss die Fenistilsalbe ?!

Ueber Funk ist keines der anderen beiden Boote zu erreichen. So beginne ich in meiner Verzweiflung vom Cockpit aus zu schreien. Auf der DRAGON STAR hören sie mich und Nick startet sogleich den Motor des Beibootes und kommt mit Ginette, die früher Krankenschwester war, zu CASIMU rüber. Bald ist auch Hans da und nach einer Notspritze kann ich wieder normal atmen. Arme, linke Seite und Bauch sind total verbrannt und sehen noch heute, nach mehr als drei Wochen recht schlimm aus. Zudem juckt es in letzter Zeit oft sehr stark.

Schweine und Choräle in der Ha'apai Gruppe
Die Ha'apai Inseln sind wunderschön. Hier hat es kaum Jachten, aber auch weniger geschützte Ankerplätze als in der Vava'u Gruppe.

Kurz nach unserer Ankunft erreicht uns das angekündete tropische Tief und wir verbringen einen sehr ungemütlichen Tag mit starkem, drehendem Wind und ekligen Wellen vor Anker!

Sonntags ist das Tief vorbei, die Sonne scheint. Früh morgens sehen wir im Dorf Uiha überall Rauch aufsteigen. Später wissen wir es: alle kochen vor dem Kirchgang fürs gemeinsame, festliche Mittagessen.

An vielen grossen und kleinen frei wühlenden Schweinen vorbei wandern auch wir in die grosse Kirche, die vom Ankerplatz aus wie ein Schloss mit vielen Türmchen aussah. Es ist die Wesley Kirche.

Festlich gekleidete Menschen mit eindrücklichen Tapamatten nähern sich der Kirche. Gebrechliche werden hin gefahren. Wir gehen vor allem wegen der wunderschönen, mehrstimmigen Choräle. Die Tonganer haben ausgesprochen wohlklingende Stimmen. Sie üben regelmässig und singen heute in der etwas verlotterten Kirche mit Dirigent, aber alles auswendig. Sie kennen keine Noten wie wir, sondern ihre musikalischen Aufzeichnungen sehen eher wie Mathematik oder Buchhaltung aus, wie wir später an der Wandtafel sehen.
Nach der Kirche gehts zum Fest-Essen Tonganerinnen in Sonntagskleidung
Nach dem Gottesdienst gibt's ein üppiges Mittagessen in der Gemeindehalle, denn ein Minister von der Hauptstadt ist zu Gast und wir werden eingeladen, teilzunehmen.

Alle haben morgens gekocht und gebacken! Viele Spanferkel sind gebraten worden. Die Tonganer essen gerne und viel. Wenn sie so hungrig in einen Schenkel beissen, kann man sich gut vorstellen, dass das vor noch nicht allzu langer Zeit auch Menschenschenkel gewesen sind! - Die Kinder sind schlank, aber ab Pubertät sind die meisten XXL! Fast alle Leute sprechen neben dem tonganisch mehr oder weniger englisch.

Obschon ein Drittweltland, ist das Bildungsniveau in Tonga hoch; praktisch 100 % können lesen und schreiben, viele haben eine höhere Ausbildung. Vielleicht, weil Tonga nie von einer Kolonialmacht gebremst wurde?

Die intellektuelle Elite lebt aber oft ausserhalb des Landes, denn zu Hause gibt es wenig interessante Arbeit und Initiative und Innovation sind Begriffe, die nicht in die tonganische Kultur passen. Dafür ist Stress kaum bekannt und hier soll die niedrigste Sterberate der ganzen Welt sein!

Das Wetterglück verlässt uns. Eine tropische Konvergenz-Zone ist über Tonga und Fiji stationär, was uns einigen Regen und viele Tage grauen Himmel beschert. Immer wieder sehen wir Wale blasen und springen, doch irgendwie sind Palmeninseln, weisse Strände und Riffe ohne Sonnenschein wenig attraktiv.

Wir besuchen in Ha'afeva nochmals ein typisches Dorf mit mindestens so viel Schweinen wie Einwohnern. (Die Schweine leben alle frei im Dorf, das eingezäunt ist, damit die wühlenden Vierbeiner nicht in die ausserhalb liegenden Plantagen können!)

Mele, eine junge fröhliche Dorfbewohnerin, lädt uns zu sich nach Hause ein. Der Bruder wäscht eben seine weissen Hemden für den morgigen Gottesdienst, denn er ist Mormone. Mutter, Grossmutter und Tante sind eifrig mit Bananen- , Pandanus- und Taroblättern beschäftigt, denn am morgigen Sonntagmittag soll es Essen aus dem Erdofen geben, wozu wir herzlich eingeladen werden - natürlich nach dem vorgängigen Kirchenbesuch mit Mele, diesmal in der Tonganischen Kirche.

Wir staunen: während des Gottesdienstes schlägt eine Grossmutter ihren weinenden Enkel mehrere Male recht grob und Hans beobachtet, wie ein Mädchen zu der Bank der Knaben hinüber eilt und einen rechts und links kräftig ohrfeigt! Und das am heiligen Sonntag, wo Tonganer nur beten und essen dürfen!

Antibiotische Creme für ein Ekzem, Schulhefte, Kugelschreiber und ein paar andere nützliche Dinge sind unsere Geschenke für die Familie von Mele und die Dorfschule. Freude bereiten hier immer unsere ausgedruckten Fotos.
Sonntagsschmaus Grossmutter, Mutter und Töchter
Noch einmal kann ich die allerliebsten Flughunde beobachten. Wenn sie fliegen, sehen sie wie grosse Fledermäuse aus. Doch wenn ich sie tagsüber an einem Ast hängend durch den Feldstecher betrachte, sind sie so niedlich: wie kleine Wollbären schaut ihr braunes oder schwarzes Pelzchen aus und erst die lustigen Knopfäuglein und die längliche Schnauze! Mit den feinen Zehlein klammern sie sich fest und hängen Kopf nach unten, schlafen aber nur leicht. Akrobatisch bewegen sie Kopf und Körper in allen Richtungen, um Ausschau zu halten oder Pelz und Flügel zu säubern. Da vor dem Aussterben bedroht, sind sie in Tonga geschützt; doch die Tonganer essen sie bei Gelegenheit trotzdem.

Riffe aus den Tiefen des Pazifiks...oder die Angst fährt mit
Am Montag, den 23. August, beschliessen wir, südlich an den beiden Vulkaninseln Kao und Tofua vorbei Richtung Fiji zu segeln. Es ist grau, doch es hat aufgehört zu regnen und der Wind bläst angenehm von Osten. Hoffentlich verlässt er uns in den nächsten Tagen nicht, denn es sind immerhin 410 Meilen (fast 800 km) bis Suva, der Hauptstadt von Fiji.

Ich habe die Route mit Wegpunkten eingegeben. Wir werden durch die südliche, breite Passage zwischen den Inseln Vatoa und Ogea Levu in die Koro See fahren. Das sollte ohne Probleme gehen, auch bei schlechtem Wetter. Leider ist es nicht erlaubt, in der östlichen Laugruppe irgendwo vor Anker zu gehen, bevor wir in Fiji einklariert haben. Und auch dann scheinen die unberührten Lau Inseln immer noch "the forbidden islands" zu sein.

Riffe sollte es auf unserer Strecke keine geben, auf der Seekarte sind die Tiefen immer mehr als 1000m. Zwischen Tonga und Fiji sind die vielen Riffe und Untiefen sehr gefürchtet und immer wieder stranden - trotz GPS - Schiffe. Vor ein paar Wochen mussten Dänen ihre Jacht an einem Riff aufgeben und wurden Tage später in der Rettungsinsel geborgen. Schrecklich!

Im Verlaufe des Nachmittags kommt mir in den Sinn, dass ich in Chile mal eine Liste vom Internet runtergeladen habe mit Koordinaten von gemeldeten Riffen zwischen Tonga und Fiji. Ich bin zwar der Meinung, die wären sowieso alle nördlicher als unsere Route. Doch ich hole den Laptop hervor und Hans druckt die Liste bevor er schlafen geht aus. Während meiner Wache beginne ich nun diese Riffe (natürlich ohne Garantie der Richtigkeit der Lage!) aus der Liste rot in die Seekarte einzutragen... und es wird mir immer "gschmuecher"!

Eine Menge von diesen Untiefen liegt anscheinend über viele Seemeilen kurz vor uns!! Und das in brandschwarzer, regnerischer Nacht! Ich finde eine mögliche "Luecke" von nur etwa 2 sm, doch wie genau diese Angaben sind, weiss natürlich keiner. Ich wecke Hans, der bei der Hiobsbotschaft blitzschnell hellwach ist. Er guckt auch noch in die elektronischen Seekarten, wo noch andere Untiefen angegeben sind.... Um Gottes Willen, was sollen wir bloss tun?!

Nach der Liste sind wir etwa 3 bis 6 sm vor dem ersten Riff! "Wir muessen umdrehen!" meint Hans. Das wäre gegen Wind und Strömung zurück nach Osten! "Aber es können doch aus mehr aus 1000 m Tiefe nicht plötzlich - meine Seekarte stammt aus 1987 - Riffe emporwachsen", wende ich wenig überzeugt ein. "Aber du hast mir ja selber vorgelesen, dass in diesen vulkanisch aktiven Gebieten über Nacht neue Inseln entstehen können. Deine Seekarte ist zu alt und wir haben unsere navigatorischen Hausaufgaben nicht gemacht....." So geht die aufgeregte Diskussion noch ein wenig weiter.

Wir kehren nicht um, sondern steuern auf die erhoffte "Lücke" zu. Hans sitzt in Faserpelz und Oelzeug lange oben beim Mast und hält in der rabenschwarzen, regnerischen Nacht Ausschau, respektive versucht, ob er etwa brechende Wellen hören könne. Ich versteife mich unten am Navigations-Computer und melde: " Noch 3 Meilen, noch 2, noch 1 (bis zum Beginn der kritischen Stellen)...." Die Tiefenangaben am Instrument sind immer 40m, 38m, 44m.... Doch darauf kann man nicht gehen, denn wenn die Tiefen über ein paar hundert Meter sind, zeigt es immer so einen Mist an, statt eben nichts! Also weiss ich nie, wie tief es nun wirklich ist!

Die Anspannung wird fast unerträglich und beide plagen uns Zweifel: Sind wir eben im Begriff den grössten Mist unserer Segelreise zu machen....Die dänischen Segler kommen uns in den Sinn und andere Schauergeschichten von gestrandeten Jachten zwischen Tonga und Fiji ....

Nun, wir kommen durch. Doch diese Stunden zwischen Mitternacht und 3 Uhr möchten wir beide nicht noch einmal erleben. Bis am Morgen bleibt die Ungewissheit der Untiefen. Und die nervliche Anspannung äussert sich bei mir sogleich: mein von den Quallen übel verbrannter Arm beginnt zu stechen und zu jucken, dass ich es fast nicht mehr aushalte! Wegen des wenigen Schlafs und dem ekligen Beissen bin ich gereizt und mag gar nichts mehr vertragen.

Die ganze Ueberfahrt bis Suva sehen wir die Sonne nie und das Meer ist ziemlich unruhig und anstrengend. Am dritten Tag, als viele Vögel um uns fischen, bitte ich Hans, auch wieder mal die Angel nachzuziehen. Bald beisst ein "Mocke" an und Hans kämpft lange mit einer schönen Goldmakrele, einem der delikatesten Fische. Doch er hat keine Freude daran, ärgert sich über das Blut auf dem Schiff, will auch keinen Fisch essen usw. Das frustriert mich und ich kann den Schnabel natürlich mal wieder nicht halten! Das macht die Situation auch nicht entspannter. Beide haben wir viel Arbeit mit dem Präparieren des Fisches... und dabei sind wir doch sonst schon genügend gefordert und müde! Die Stimmung sinkt an diesem grauen Nachmittag irgendwie unter den Nullpunkt!

Je näher wir Suva kommen, taucht der kürzliche, tragische Unfall einer jungen Segler- Familie in mir auf: Die Frau hatte gegen Morgen Wache und ist wahrscheinlich eingeschlafen... Auf jeden Fall wurde die Jacht vor Suva von einem Frachter gerammt, der das wohl nicht einmal merkte. Das Schiff sank, die Familie mit zwei kleineren Kindern konnte sich noch ins Beiboot retten. Von den Wellen wurde ein Kind über Bord gespült, der Vater wollte es retten, das zweite Kind fiel auch in die Wellen... die Frau hat man bewusstlos im Beiboot gefunden, von den drei anderen keine Spur!! - Furchtbar! Wie kann sie wohl weiterleben ?!

In heftigen Regenschauern und bei wenig Sicht tasten wir uns am vierten Tag an den Riffen und vielen Wracks vorbei in den grossen Hafen von Suva und ankern im Quarantäneteil.

Wir sind müde aber erleichtert. Wie wird uns wohl nach so vielen Wochen Natur und provinzieller Ländlichkeit die lebendige Hauptstadt Suva gefallen?

Suva, den 30. August 2004

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