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  Am andern Ende der Welt - Vetea und Lionel von Mopelia, ein Leben in der Natur

Wanderung um die Insel Maupiti Blick auf die Lagune von Maupiti
Nach ein paar Tagen in der schönen Lagune von Maupiti fahren wir bei wenig Wind und ruhiger See die 100 Meilen nach dem vergessenen Mopelia (oder Maupihaa), der letzten und einsamen Gesellschaftsinsel. Mopelia liegt wirklich am anderen Ende der Welt: 180 Längengrade und 12 Stunden Unterschied zu Bern. Fast alles ist hier anders als in Europa und welch ein Unterschied auch zum Leben auf Tahiti!

Der knapp 20 Meter schmale Pass durch die Korallen in die Lagune ist gefürchtet und verrufen, denn ein ständiger starker Strom nach aussen und heftige Strudel werfen die Schiffe herum und lassen uns Segler zittern. Ein starker und zuverlässiger Motor ist notwendig! Oft kann die Einfahrt in die Lagune nicht erfolgen, da zu gefährlich.

Wir haben Glück: infolge des ruhigen Wetters ist auch die Einfahrt durch den Pass an diesem Mittag harmlos. Herzklopfen war verfrüht! Schon fällt der Anker bei den nahen Motus der Vögel: unzählige grosse Fregattvögel, Tölpel und Tausende von laut kreischenden Seeschwalben leben und nisten hier. Wir beobachten sie auf unseren Spaziergängen, wobei die Seeschwalben - trotz gebührendem Abstand unsererseits- recht aggressiv reagieren. Der Grund ist wohl der, dass die paar Bewohner des gegenüberliegenden Motus ihnen etwa die Eier stehlen (und wir ein paar Tage später auch!).
Der enge, strömungsreiche Pass durch die Korallen in die Lagune von Mopelia Grosse Fregattvögel haben eine Spannweite bis 180 cm
Tags darauf verholen wir CASIMU fünf Meilen weit bis zu dem südlichen Ende des langen Motus Maupihaa, wo wir vor weissem, feinem Sandstrand und Kokospalmen ankern.

Nachmittags steht ein junger, schüchterner Mann an der Cockpitreling. Lautlos kam er mit dem orangen Paddelbrett an. "Bonjour, ça va?" Wir beginnen zu plaudern. Er heisse Vetea. Als wir aufs Fischen zu sprechen kommen, berichtet er, dass er einige Tage nicht arbeiten und harpunieren konnte, da er eine böse Entzündung am Fuss hatte. Doch seit drei Tagen schlucke er Antibiotika. Die Lymphknoten seien am Abschwellen und die Infektion am Abklingen.

Er hebt ein Medikamenten-Schächtelchen hoch: "Est-ce que vous changez des perles pour d' alcool?" Auf meine Frage, was denn für Alkohol, meint er: "N' importe quoi: Whisky, Pastis, Rhum...." Er zeigt mir die Perlen, die er in der ungeeigneten Schachtel aufbewahrt. Vetea macht nicht den Eindruck eines Alkoholikers, doch ich antworte vorerst, ich müsse es mir überlegen, denn ich gebe diesen jungen Männern ungern Alkohol. Ausserdem haben wir nur ein paar wenige Flaschen an Bord. Ich würde später bei ihm vorbeischauen und auch noch eine Salbe und Verband für den infizierten Fuss mitbringen.

Später fahre ich mit dem Beiboot zu der unbedeckten Hütte am Strand. Drei Hunde begrüssen mich bellend. Vetea hat schon eine Kokosnuss vorbereitet, damit ich sie trinken kann. Ich gebe ihm die Antibiotikasalbe, ein kleines, mit Watte ausgelegtes Kosmetiktöpfchen, um die Perlen darin aufzubewahren und eine Flasche Rhum. Gleich holt er die schwarzen Perlen. Sie sind natürlich nicht von bester und perfekt runder Qualität. Ich wähle eine tränenförmige aus.

Die makellosen Perlen hat seine Mutter mit nach Maupiti oder Tahiti genommen. Seine Eltern sind nämlich mit dem letzten Schiff weggefahren und kommen erst Ende Juni wieder nach Mopelia. Es dauert jeweils sechs Wochen bis das Versorgungsschiff wieder kommt. Also kann keiner kürzer als für sechs Wochen von hier wegfahren. Ob sie in Maupiti oder Tahiti sind, weiss Vetea nicht, denn er hat keine Nachricht von ihnen. Wie denn auch?

Das einzige Kommunikationsmittel, das die zur Zeit sieben Menschen auf dem Motu haben, ist ein Funkgerät. Im Notfall können sie die Gemeindeverwaltung von Maupiti anrufen. Es wird dann sofort ein Schnellboot mit einem Arzt ausgesandt. Grüsse von Verwandten werden jeden Abend über das polynesische Radio gesendet und gespannt verfolgt.

Vetea führt mich etwas weiter in den Kokoshain, wo eine Hütte steht. Der untere Stock ist offen, feiner heller Sand bedeckt den Boden. Er wird als Werkstatt, Küche und Essraum benützt. Oben ist der Schlafraum der Eltern. Auf der Feuerstelle steht ein grosser, russiger Topf. Vetea deckt ihn ab. Es ist eine Menge Ragout darin. Vetea fordert mich auf, davon zu kosten; es sei leckeres Schildkrötenfleisch. Schildkrötenfleisch?! frage ich erstaunt und entrüstet.

Heute morgen hätte ein Nachbar draussen vor dem Pass eine grosse Meeresschildkröte gefangen und sie mit den andern geteilt. Was er da in dem Topf habe, sei höchstens ein Viertel, denn das Tier sei riesig gewesen. Ich muss mich etwas überwinden, probiere dann aber. Das Fleisch schmeckt gut und ist zart. Für die Einwohner hier bedeutet es eine Abwechslung vom täglichen Fischmenu. Ab und zu der Fang eines einzelnen Tieres ist sicher vertretbar.

Viel bedenklicher sind die kommerziellen, illegalen Schildkrötenfänger, die immer noch ihr Unwesen treiben und für die Tiere auf dem Schwarzmarkt viel Geld kriegen - anscheinend für die Chinesen und den Export nach Frankreich!

Veteas Geschwister sind auf andern Inseln am Arbeiten oder in der Schule. Er und seine Eltern züchten schwarze Perlen, trocknen Kokosnüsse (Kopra) und fangen vor Eintreffen des Schiffes Langusten. Einen Sack Langusten - etwa 25 kg - tauschen sie dann gegen ein 200 l - Fass Benzin für den Aussenbordmotor.

Ernähren tun sie sich vor allem aus dem Meer und von den schmackhaften Eiern der Seeschwalben. Natürlich bringt ihnen das Schiff die Grundnahrungsmittel wie Teigwaren, Mehl, Zucker, Kaffee, Zwiebeln... Gemüse und Früchte gibt's kaum. Süsswasser gibt's nur als Regenwasser und aus ein paar Meter tiefen Gruben.

Elektrizität erzeugen einzelne Sonnen-Kollektoren oder kleine Generatoren. Die Nachbarn haben eine Satellitenantenne und einen Fernseher, der ab und zu angeschaltet wird. Veteas Familie hat das nicht. Dafür besitzt er einen Radio mit CD-Laufwerk und einige tahitische und amerikanische CDs. Darunter super Jazz und Reggae!

Eine Strasse gibt's auf dem etwa 8 km langen und gegen 400 m breiten Hauptmotu nicht. Im Osten kann man über scharfe, versteinerte Korallen dem brandenden Riff entlang marschieren, auf der Westseite dem fast durchgehend blendend hellen Sandstrand der Lagune folgen. Zudem führt ein alter Weg durch die dichten Kokoshaine, den die früher zahlreicheren Bewohner schlugen. Doch als 1997 der Zyklon "Ossua" Mopelia verwüstete, verliessen die etwa hundert obdachlosen Siedler die Insel und kehrten nicht mehr zurück.

Heute können Bewohner von Maupiti (uns sonst niemand!) beim Gemeindepräsidenten um ein Grundstück auf Mopelia anfragen, das sie dann gratis zur Nutzung zugeteilt bekommen. Doch mehr als eine Handvoll Familien hat es bis jetzt nicht hierhin gezogen, denn hier ist wirklich das Ende der französisch polynesischen Welt, fast ohne Komfort und weit weg von der Zivilisation.

Dafür Natur pur: ein grosser Fisch- und Langustenreichtum, riesige Vogelkolonien, eine klare durchsichtige Lagune mit wunderschönen Sandstränden und Kokospalmen, unverschmutzte Luft und wohltuende Stille und viel Platz! All das, wovon jemand bei uns träumt!

Tags darauf ist der Fuss von Vetea fast gesund. Auf jeden Fall kommt er uns mit dem grossen Holzboot abholen. Sein Vater hat es aus herumliegenden Brettern nach dem Zyklon selber erbaut. Mit dem 28 PS Motor sausen wir durchs stille Lagunenwasser. Wir sollen harpunieren gehen.
Vetea fährt mit uns zum Harpunieren
und öffnet Trink-Kokosnüsse für uns
Weder Hans noch ich jagen Fische bei den Korallen mit der Harpune. Wir besitzen nur eine Angel und fischen bloss auf hoher See.

Doch vorerst will uns Vetea noch eine der Perlmuscheltrauben zeigen. Sie sind nicht wie üblich mit Bojen markiert, da sie auch schon gestohlen worden seien, was uns sehr erstaunt! Erst beim zweiten Tauchversuch sind wir am richtigen Ort: im tiefen Wasser befinden sich in etwa acht Meter die Gitterbehälter (Schutz vor Raubfrass der Rochen und anderen Lagunenbewohnern) mit den Muscheltrauben drin. Wie an einer Unterwasser Wäscheleine sind sie in regelmässigen Abständen aufgehängt. Vetea knotet eine los und bringt sie nach oben ins Boot, damit wir sie betrachten können.

Und nun geht's weiter zum Fischen. Vetea trägt einen leichten Neoprenanzug und einen Bleigurt. Er hat einen blauen Benzinkanister bei sich, in dessen Seite eine kleinere Oeffnung geschnitten wurde. Mit einer umgebundenen Schnur wird das Gefäss nachgeschleppt. Schnorchelnd machen sich Vetea und ich auf den Weg zu den Korallen. Hans hat seit ein paar Tagen Probleme mit dem einen Gehörgang und verzichtet aufs Schnorcheln. Er folgt uns mit dem Boot.

Vetea taucht öfters ab, um vor einem Korallenstock liegen zu bleiben und zu zielen. Die harpunierten Fische werden getötet und umgehend in den nachgezogenen Behälter gelegt. So ist die Gefahr kleiner, dass Haie angelockt werden. Ich staune nicht schlecht, wie lange Vetea unter Wasser ausharren kann und wie sicher er trifft! Doch Uebung macht den Meister. Er geht ja täglich harpunieren, denn auch seine Hunde und Katzen leben fast ausschliesslich von gekochtem Fisch.

Nach einer guten halben Stunde sind im Kanister ein Dutzend Fische: Papageienfische, Doktorfische, "Rougets" (rote Schweinslippfische?) und ein paar andere. Bei seinem Lagunen-Pfahlhüttchen legen wir an.
Die bunten Korallenfische sind die fast tägliche Nahrung der Inselbewohner Hier arbeitet und schläft Vetea; zugleich ist es das Bootshaus
Vetea zeigt uns den Arbeitstisch, an dem er den Muscheln den Nucleus einpflanzt, damit nachher eine Perle entstehen kann.

Das Muscheltier produziert Perlmutt um den Fremdkörper herum und nach zirka zwei Jahren kann im günstigsten Fall eine makellose, schwärzliche Perle entnommen werden. Allerdings werden auch einige der Fremdkörper von den Muscheltieren wieder ausgestossen. Ferner müssen die äusseren Bedingungen stimmen: etwa 20 m tiefes, sauberes Meerwasser, regelmässige Reinigung der Muschelschale u. ä. Jede Perle ist in Farbton und Form unterschiedlich. Ich mag die weniger perfekten tränenförmigen.

Vetea erzählt uns, dass seine Familie vor dem Zyklon von 1997 - der ihr Haus und alle andern bis auf die Kirche zerstörte - in der Lagune von Maupiti von der Perlenzucht lebte. Anfangs pflanzte ein chinesischer Fachmann den Nucleus ein und der verstand sein Handwerk. Als er wegzog, übernahm diese heikle Arbeit ein anderer und der war ein Pfuscher. So erlitt Veteas Familie Verluste. Um diese Abhängigkeit los zu werden, schickte der Vater seinen Sohn Vetea nach Rangiroa, dem Hauptatoll der Tuamotu, wo sich die Fachschule für Perlenzucht befindet. Jetzt kann Vetea die heikle Arbeit des Einpflanzens selber ausführen. Er sagt, dass etwa 65% erfolgreich sei. Der Anteil der wieder ausgestossenen Fremdkörper sei nicht sehr hoch.

Der Arbeitstisch ist zugleich auch die Bettstatt! Vetea erklärt lachend, dass er nach getaner Arbeit nur den Tisch leeren müsse und die Matratze darauf ausbreiten, schon könne er schlafen!

Nun zückt Vetea eine Essgabel und beginnt auf dem Steg - wo jeweils auch die Perlmuscheln mit Salzwasser geputzt werden - die Fische zu schuppen. Die Papageienfische werden dann gleich in kleine Stücke geschnitten und in eine Glasschüssel gelegt: "C' est pour le poisson cru." Die andern Fische werden ganz belassen und ausgenommen: fürs Braten und Kochen. "Du isst doch mit uns", sage ich, als Vetea mir all die vielen Fische übergibt. "Mais non, c'est pour vous deux! Moi, je ne veux pas manger tous les jours le poisson!" "An einem anderen Abend isst du mit uns, eine Schweizer Spezialität, gell!"

Doch am nächsten Abend sind wir zum Langusten Essen bei Lionel, einem anderen jungen Mann eingeladen. Am Vorabend sahen wir immer wieder eine helle Lampe am Riff aufleuchten. Aha, jemand ist auf Langustenfang! Und so war es. Lionel hat über dreissig grössere und kleinere Langusten gefangen und lädt Vetea, uns und die beiden schwedischen Seglerpaare, die nicht allzu weit von uns ankern, zum Langustenessen ein. Vetea hilft bei der Vorbereitung: die Langusten werden mit Messer und Hammer der Länge nach geteilt. Ein halbiertes Benzinfass dient als Grill und die Schalen der Kokosnüsse als Brennmaterial. Vetea hat seinen CD-Player mitgebracht und legt wunderschönen Jazz auf. Wir packen zwei Flaschen Wein und unsere mitgebrachten Teller, Gläser und Besteck aus. Die beiden älteren schwedischen Paare sind recht ernst, sprechen kein Wort französisch und trinken gar keinen Alkohol.

Lionel mag den Wein und trinkt auch noch selbst gebrautes Kokosbier (mit Hefe angesetztes Kokoswasser). Das schmeckt süsslich und ist stark! Auch Vetea trinkt mit und die beiden werden immer lustiger und ausgelassener. Lionel strahlt übers ganze Gesicht, wenn er uns eine weitere Languste auf den Teller legen kann. Wir Gäste essen Langusten, bis uns "d' Ohre waggele", den Reis rührt keiner an. Lionel und Vetea essen nicht, solange wir dran sind; so will es der polynesische Brauch. Sie trinken nur und werden erst zugreifen, wenn wir schon wieder weg sind. Für uns sehr gewöhnungsbedürftig!

Zwischendurch zeigt Lionel mir ein offizielles Papier, das ihn berechtigt, hier auf Mopelia Perlen zu züchten. Mit Handschrift wurde beigefügt, dass er der Wächter über den illegalen Schildkrötenfang sei... Und wie machst du das? möchte ich von ihm wissen. Also die privaten Schnellboote würde er nicht anzeigen, die fingen in der Regel nicht mehr als drei Schildkröten, zudem würden sie ihm auch Brot und anderes mitbringen. Also seien sie fast wie Freunde, da könne er sie doch nicht anzeigen!

Ja, wir haben auch einen vierbeinigen Freund namens WHISKY. Wenn er den Motor des Beibootes hört, kommt er dem Strand entlang gerannt und weiss, dass wir wandern gehen. Gleich schliesst er sich uns an. Doch er legt ein paar Kilometer mehr als wir zurück und schwimmt und fischt zwischendurch. So kommt er an einem Morgen mit einem jungen Schwarzspitzen-Riffhai zurück, an dem er etwas leckt und ihn dann bei einem Gestrüpp "deponiert". Zwei Tage später entdeckt Hans, dass an dieser Stelle bereits zwei Haie liegen!
Das Hunde-Original WHISKY hat einen jungen Hai gefischt. Die Nüsse werden von der fleissigen Sophie aus den Schalen gestemmt und als Kopra weiter getrocknet.
An einem Abend brate ich Rösti mit viel Butter und Zwiebeln, dazu neuseeländisches Corned Beef aus der Büchse, was für die beiden Männer eine willkommene Abwechslung zum täglichen Fischmenu bedeutet. Vor allem Vetea mag die Rösti sehr. Zum Dessert gibt's ein selbst kreiertes Bananencake, das ebenfalls Anklang findet. Lionel hat wieder sein Kokosbier dabei und nach dem Wein trinkt er noch davon. Leider greifen wir nicht rechtzeitig ein!

Tags darauf ist Langusten fangen angesagt. Vor Sonnenuntergang holt uns Vetea ab. Casimuli, unser Schlauchboot, wird auf das Holzboot gehoben, denn nachts werden wir zum Schiff zurückfahren, während Vetea draussen beim Riff bleibt, um in den frühen Morgenstunden erneut Langusten zu jagen. Bald kommt nämlich das Versorgungsschiff an und da muss Vetea gegen 150 Langusten bereit halten, um sie gegen die zwei bestellten Fässer Benzin einzutauschen.

Bei den Korallen in der Nähe des Aussenriffs wird das Holzboot bei Sonnenuntergang verankert. Gleich begrüsst uns ein neugieriger Grauhai. Nach der Dämmerung krakseln die Langusten vom Aussenriff hinüber in die Lagune, um im ruhigen Wasser bei den Korallenstöcken nach Nahrung zu suchen.

Erst bei vollständiger Dunkelheit machen wir uns bereit: Flossen, Maske, Schnorchel und Handschuhe werden angezogen. Vetea stösst das grosse Fass, das die Batterie für die starke Lampe enthält und zugleich als Langustenbehälter dient, ins Wasser. Wir sollen rechts und links auf der gleichen Höhe wie er mitschwimmen, unsere Lampe nicht anzünden und die Langusten am Schwanz packen, aber, sie seien schnell! So die Anweisungen von Vetea.

Es ist schon etwas unheimlich aber auch faszinierend, nachts zu schnorcheln. Die Korallenstöcke sind dicht und reichen hoch, so dass meist nur etwa 40 bis 50 cm Wasser über ihnen ist. Für drei neben einander ist oft zu wenig Platz und wir müssen gewaltig aufpassen, dass wir unsere nackten Beine nicht zerkratzen. Blitzschnell packt Vetea die erst Languste und schon zappelt sie im Behälter. Bald folgt eine zweite. Die dritte soll Hans packen, doch sie entwischt ihm blitzschnell, bevor er zugreifen kann. Er und ich werden auch irritiert durch den neugierigen Hai, der gerade auf uns zu schwimmt. Vetea schlägt einige Male ins Wasser, bevor der Besucher sich entscheidet, abzudrehen.

Die Schwimmerei im seichten mit Korallen gespickten Wasser und bei oft verschwindendem Licht ist recht anstrengend und aufregend. Nach etwa 40 Minuten habe ich genug und deute Vetea, dass ich umkehren möchte. Die Petrollampe auf dem Schiff hat er vor unserem Jagdgang ausgelöscht. Wie er in der absoluten Dunkelheit auf dem direkten Weg wieder zum Boot zurückfindet, ist uns ein Rätsel. Während er weiter jagt, tuckern wir den langen Weg zurück zu CASIMU. Wenn wir vom Langustenfang leben müssten, würden wir bald beide sehr schlank sein!

Da bei Starkwind und hohem Schwell eine Weiterfahrt recht ungemütlich wäre, bleiben wir noch weitere Tage im paradiesischen Mopelia bei unseren neuen Freunden.

Wir lernen auch die fleissige Sophie kennen. Ihr Mann Calami soll zusammen mit dem vierjährigen Sohn - der bereits in Maupiti zur Schule muss (!) und somit viele Wochen von der Mutter getrennt ist - auf dem nächsten Versorgungsschiff zurückkommen.

Nora und Hina, Mutter und Tochter, sind ebenfalls zur Zeit alleine. Puha und Sate, Vater und Sohn, werden mit dem Schiff nach Maupiti zu Frau und Geschwistern zurückkehren. Das sind die sieben Menschen, die zur Zeit hier anzutreffen sind.

An einem Abend bringt uns Lionel das Nachtessen an Bord: eine bereits gekochte wunderschöne Kokoskrabbe mit Yam. Alle drei kosten wir das feine Fleisch der Beine. Den öligen, leicht bitteren Schwanzinhalt mag nur Lionel als Sauce zum Yam (Kartoffel ähnliche Knolle), uns schmeckt er nicht.

Am Sonntag, den 20. Juni, ist "Vatertag". Lionel möchte ihn mit uns zusammen feiern. Wir grillieren vor seinem Häuschen Langusten. Vor dem Essen wird auf Wunsch Lionels gebetet. Zu den frischen Langusten trinken wir eine feine Flasche chilenischen Weins. Aus seinem Gärtchen - im Sand - schenkt er uns von den wenigen Gurken zwei riesige. "Demain matin, on va chercher les oeufs des ternes!"

Gegen Mittag des nächsten Tages fahren wir zu viert zur grossen Vogelinsel: Lionel mit seinem treuen Hund und wir beiden. Auf der Insel leben Tausende von Seeschwalben und überall liegen die gefleckten Eier auf dem Boden. Sie sind etwas kleiner als Hühnereier. Ich habe gelesen, dass man ihre Lage - sofern sie bereits angebrütet sind - nicht verändern dürfe; also die Seite die oben war, muss wieder nach oben zu liegen kommen, sonst sterbe der Embryo. Mit dem Filzstift markiere ich die Oberseite der Eier vor dem Wassertest. Jedes Ei legen wir in den Eimer mit Wasser: sinkt es und legt sich hin, ist es frisch, ansonsten wird es sorgfältig an seinen Platz zurückgelegt.

Lionel weiss, wo die frischen Eier liegen; nämlich dort, wo die Seeschwalben sie nicht allzu sehr verteidigen. Und richtig: von all den vielen Eiern, die Hans und ich testen, sind nur zwei, die oben auf schwimmen. Lionel braucht keinen solchen Test, er fühlt es, ob die Eier frisch sind. Anfangs war ich etwas besorgt, dass sein Hund mit auf die Insel kommt, denn ich fürchtete, dass er die Vögel jagen würde. Doch die ganze Zeit ist er brav bei seinem Meister und schleckt ab und zu ein frisches Ei. Also kein zusätzlicher Stress für die armen Vögel.
In kurzer Zeit haben wir viele frische Seeschwalbeneier gesammelt Die bereits gekochte, schöne Kokoskrabbe von Lionel
Mit vollen Eimern kehren wir zum Boot zurück. Und nun motoren wir gegen Wind und Wellen zum Pass. Zum Glück haben wir die Eier mit dürren Blättern gepolstert! Lionel will am Aussenriff harpunieren. Mit dem Strom sausen wir durch den Pass und etwa 50 m südlich davon wirft er den Anker.

Hier liegt das Wrack des deutschen Kaperschiffes "SEEADLER", das 1917, also mitten im ersten Weltkrieg, auf dem Riff von Mopelia strandete. Der Pass war zu eng für den als Segler getarnten Hilfskreuzer von Graf Luckner, so dass er nicht in die geschützte Lagune hinein fahren konnte und auf der gefährlichen Riffseite ankern musste, was ihm und seinen Leuten zum Verhängnis wurde. Nach Flucht und Gefangenschaft wurde er nach dem Krieg freigelassen und gefeiert. Eine löbliche Besonderheit war nämlich Graf Luckners Fairness: beim Versenken der 14 feindlichen Handelsschiffen im Jahre 1917 kam kein einziger Mensch ums Leben!

Wir schnorcheln um das Wrack von SEEADLER, das in geringer Tiefe am Riff liegt. Ein riesiges Eisenrad und Kolben und viele andere Eisenteile liegen erstaunlich gut erhalten in den Spalten herum und werden von bunten Fischen umschwommen. Lionel harpuniert etwas weiter weg, was uns recht ist, denn angeschossene Fische ziehen gerne Haie an.

Ein gemeinsames Fischessen findet am Abend auf CASIMU statt. Leider sehen wir Vetea in den letzten Tagen kaum, denn er ist fast Tag und Nacht draussen am Riff, um seine 150 Langusten zu fangen, die das bald eintreffende Schiff eintauschen wird.

Am Mittwoch, den 23. Juni, kommt das Passagier- und Versorgungsschiff TAHITI NUI früh am Morgen an. Sofort fahren die paar Einwohner in schönen T-Shirts mit ihren Booten zum ankernden Schiff heraus, um die lang ersehnten Familienmitglieder und die Vorräte abzuholen.

Wir heben mit etwas Wehmut den Anker. In jeglicher Hinsicht wurden wir hier reich beschenkt. - Segeln heisst auch immer wieder Abschied nehmen von Freunden und Liebgewonnenem.


mehr Fotos zu diesem Bericht: http://www.casimu.com/album/Mopelia/index.htm

4. Juli 2004 Heidi Brenner