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Abschied von den Marquesas - 6 Tage für 420 Seemeilen!
- Raroia, unser erster Landfall im Tuamotu-Archipel - Zehn
Tage im Paradies
Nach 7 Wochen auf den Marquesas drängt es uns zur Abfahrt
nach den Tuamotu. Wir haben die letzte Woche noch in der Bucht
von Hakahetau auf der Insel Ua Pou verbracht: meist bei Windstille
aber ziemlichem Schwell, so dass Hans bald zusätzlich
den Heckanker ausbrachte, damit CASIMU mit der Nase in den
Wellen und nicht immer wieder quer dazu stand. So wurden wir
weniger geschaukelt. Die Landungen und Einwasserungen mit
dem Beiboot waren recht abenteuerlich, da sich die Wellen
immer wieder über die Felsen und den glitschigen Steg
brachen. Grundsätzlich ruderten wir in den Badekleidern
an Land, die Kleider und den Rucksack im wasserdichten Sack.
Ich schwamm meist das letzte Stück zwischen brechenden
Wellen, surfenden Kindern und grossen Steinen hindurch, während
Hans eine günstige Welle abwartete, um mit dem Beiboot
ans Ufer gehoben zu werden. Beim Einwassern schwamm ich ebenfalls
das erste Stück - allerdings jetzt vom glitschigen und
überfluteten Steg aus - nachdem das Beiboot ins Wasser
geschoben und "behanst" war, um dann in ruhigerem
Wasser auf Casimuli zu klettern. Gerne wäre ich bis zum
Ankerplatz geschwommen, doch wegen der Haie wagte ich es nicht.
Der viele Regen, die matschigen Wege und die Mücken schürten
unsere innere Ungeduld, los zu segeln, neuen Horizonten entgegen.
Anfangs April ist noch etwas früh - die Hurrikan-Saison
endet offiziell Ende April - zudem wurden Unwetter auf den
Tuamotu gemeldet und bei uns schien der Wind seit zwei Wochen
zu schlafen. Manfred, ein deutscher "agriculteur"
und seine einheimische Frau Thérèse wie auch
andere Dorfbewohner verwöhnten uns mit Früchten:
unter verschiedenen Malen hatten wir Pampelmouses, Limonen,
riesige Avocado in allen Reifestadien und einen Bund mit grünen
Bananen sorgfältig mit dem Beiboot auf CASIMU transportiert.
Wir möchten, dass die Menschen auf den Tuamotu - wo ausser
Kokospalmen kaum etwas wächst - an unserem Segen teilhaben
können; dann müssten wir nächstens los segeln!
So lichten wir am Montag, den 5. April, die Anker, besichtigen
unter Motor die Westseite von Ua Pou, die uns vor einer Woche
mit enormer Brandung und Schwell das Ankern verwehrte. Jetzt
liegen die paar Buchten ruhig da. Sollen wir bei diesem leichten
Wind doch lieber noch ein oder zwei Nächte hier ankern
und erst bei eindeutigen Windverhältnissen los segeln?
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Der abenteuerliche Landungssteg von Hakahetau |
Jeder und alles braucht Schatten! |
6 Tage für 420 Seemeilen!
Es ist uns einfach nicht mehr ums Ankerliegen, und so segeln
wir bei leichtem NE-Wind Kurs 200° Richtung Raroia, das
420 sm im SW liegt. Ich möchte dorthin, da die KON-TIKI
von Thor Heyerdahl vor mehr als 50 Jahren hier am Aussenriff
strandete. Zudem werden die östlicheren Atolle der Tuamotu
von Seglern selten angelaufen. Kommen wir anfangs mit Grosssegel
und Blister mit 5 Knoten voran, sind es später unter Blister
noch 3 bis 4, und dann nur noch 2 bis 3! Die See ist bald spiegelglatt,
der Wind wird noch schwächer und die Felsen von Ua Pou
bleiben viele Stunden lang sichtbar. Doch CASIMU liegt ruhiger
als vor Anker, das Kochen ist eine wahre Erholung. Aus dem Logbuch:
"Dienstag 6. April, 2. Tag auf See: Der Pazifik liegt still
da, wie ein Binnensee, ausser die lange, sanfte Dünung
aus S - SE. Die Nachtwache verläuft ohne jeglichen Zwischenfall
und ich sitze oder liege die ganze Zeit auf der Cockpit-Bank,
betrachte die Sterne und den schon leicht "angetütschten"
Vollmond, der ab und zu hinter einer Wolke verschwindet. Unglaublich
wie still es ist! Ab und zu rauscht der einfallende Blister
ein wenig, das Plätschern der Wellen am Rumpf ist kaum
hörbar. Morgens prasselt ein heftiger Tropenschauer auf
uns runter, so dass wir uns in den Süsswasser-Segen stellen
und duschen. Mit dem eckigen Messbecher sammle ich beim Ausgang
der Fussreling am Heck in Kürze einen Eimer Wasser. Praktisch
zum Geschirr spülen und putzen. Röbbi steuert etwa
eine halbe Stunde von Hand, da der Wind kurz bis 30 kn zulegt.
Vor dem Wind rauschen wir mit dem Blister ungewohnt schnell
dahin. Doch bald ist die Regenwolke vorbei und der Wind flaut
wieder ab. Jetzt übernimmt wieder die Windsteuerung ARIES
die Arbeit des Rudergängers. - Nach einer weiteren reifen,
feinen Avocado mit Zwiebeln und Limonensaft jässlen wir
nachmittags im Cockpit, während CASIMU mit uns dahin dümpelt.
Abends muss ich die Uru (Brotfrucht) zubereiten. Sie ist schon
fast zu reif: Eintopf mit Pelati, Knoblauch, Peperoncini und
Gewürzen. Gut!" So gemütlich geht das auch die
nächsten Tage weiter. Ein echter Ferientörn, ab und
zu unterbrochen von Regenschauern und Böen. Wir kommen
sehr langsam voran, Etmale von 60 bis 70 Seemeilen! Die oberen
Bananen des aufgehängten Bundes an der Heckreling werden
gelb und brechen am Stiel, obschon sie täglich sorgfältig
mit dem grossen Regenschirm beschattet werden! Was machen wir
bloss mit Dutzenden von bald reifen Bananen?! Eigentlich wollten
wir ja Früchte auf die ersten Tuamotu - Atolle mitbringen,
wo nirgends so etwas wächst oder zu kaufen ist. Nicht nur
Früchte und Gemüse spüren die feuchte Hitze,
sondern auch wir. Bei der kleinsten Anstrengung tropfen wir.
Trotzdem geniessen wir die mühelose Ueberfahrt. Wir haben
eine Menge Zeit zum Lesen. Ich beende das Buch "Fatu Hiva"
von Thor Heyerdahl- Beschreibung seines einjährigen, jugendlichen
Aufenthalts im Dschungel von Fatu Hiva - das ich mit Genuss
und Interesse gelesen habe. Wir kennen ja Fatu Hiva und das
Dorf Omoa. Er schreibt auch prima und begründet seine Theorie
von den vielfältigsten Gesichtspunkten her: Kon- Tiki kam
- vor den späteren Einwanderern aus Asien - mit seinen
Leuten aus Osten vom südamerikanischen Kontinent auf die
Marquesas. Diese früheren Siedler schufen die vielen Stein-Tikis
(Götter- und Ahnenskulpturen) und Paepae (riesige Steinfundamente
von Siedlungen und Kultplätzen), die heute noch überall
auf den marquesischen Inseln im Dschungel verborgen sind. Ich
begreife die Anfeindungen der Ethnologen gegen seine Theorie
immer weniger. Seine und ihre Hypothesen beissen sich gar nicht,
denn sie sind zeitlich verschoben, und absolut nachvollziehbar
(mindestens für mich als Laie). Doch Heyerdahl war ein
Querdenker und klassische Wissenschaftler versuchen solche oft
wie Ungeziefer zu zertreten, da sie ihre heile, geschlossene
Gedankenwelt in Gefahr sehen. Sie nehmen sich gar nicht die
Mühe die vielseitigen Indizien und Untersuchungen Andersdenkender
auch nur anzuhören, geschweige denn zu studieren! (Die
Astrologin in mir lässt grüssen!)
Aus dem Logbuch: "Karfreitag, 9. April, 5. Tag auf See,
Geburtstag von meiner Freundin Christiane. Nachdem wir die Nacht
bei Flaute beigedreht lagen und schliefen, lässt sich der
Morgen ganz gut an. Der Wind hat auf N gedreht und wir machen
endlich passable Fahrt. Doch das Wetter ist sehr unbeständig
und der Wind dreht vor dem Mittag nach W. Vor uns liegt unter
bedrohlich schwarzen Wolken die kleine Insel Tepoto und östlich
davon das Atoll Napuka, beide ohne gute Ankermöglichkeit.
Wir wollen die kürzeste Strecke fahren, also nehmen wir
die etwa 8 sm breite Durchfahrt, die vor uns liegt. Tepoto verschwindet
bald in heftigsten Schauern, nachdem wir bereits Palmen ausgemacht
hatten. Das Echo dieser Insel ist auf dem Radar schwach erkennbar,
wenn ich den Regen unterdrücke, Napuka als niedriges Atoll
ergibt kein Echo. Unangenehm! Eklige, spitze Kreuzseen und heftigster
Dauerschauer! Der Wind weht inzwischen mit 20 bis 25 kn genau
aus Süd, unserer Fahrtrichtung! Röbbi steht fast aufgeweicht
am Steuer. Unter Motor machen wir 1,5 bis 2 Knoten über
Grund! Strömung und Gegenwind machen uns arg zu schaffen.
Zwischendurch ein kurzer Durchblick auf Tepoto, dann wieder
nur graue Regenschauer. Gegen Abend liegen die kleinen Inseln
Gott sei Dank hinter uns. Das war kein gelungener Willkommensakt
in den Tuamotu, weder von ihnen noch von uns!" - Am Samstag
berechnen wir die Tiden für eine Einfahrt in Raroia am
Ostersonntagmorgen, wechseln dann ab mit seglen, motoren und
drehen nachts vor dem Nachbaratoll Takume bei und schlafen.
Raroia - unser erster Landfall im Tuamotu-Archipel
Am Ostersonntag früh motoren wir bei fast Flaute auf
der Westseite von Takume dem Pass von Raroia entgegen. Fast
jedes Atoll hat einen oder mehrere Pässe, durch die das
Wasser aus der Lagune ins Meer oder in umgekehrter Richtung
fliesst. Oft brodelt es in diesen Pässen von der vielen
Strömung. Vor allem bei viel Wind aus dem östlichen
Sektor entsteht am Riff eine enorme Brandung und es fliessen
Riesenmengen Ozeanwasser über das Riffdach in die Lagune.
Unaufhaltsam entleert sich die Lagune dann durch den Pass;
das Wasser drängt sich dort mit bis zu 10 Knoten hinaus,
zurück ins Meer. Wenn wir also mit dem Segelschiff reinfahren
wollen, gilt es bei möglichst wenig Gegenstrom zu passieren.
Die Gezeitentabellen helfen da nur beschränkt, da eben
die Menge des über das Riffdach gespülten Wassers
von grösserer Bedeutung ist als die Tidenströme.
Stillwasser ist oft kaum vorhanden. Doch da am Ostersonntag
das Meer ruhig ist und wenig Wind weht, durchfahren wir den
mit Seezeichen markierten Pass drei Stunden vor Hochwasser
problemlos. Die herrlich klare Lagune von Raroia ist gross,
etwa 10 auf 20 km und ringsherum von kleinen Palmen-Motus
eingerahmt. Wir ankern vorerst vor dem winzigen Dorf mit der
grossen neuen Schule (für 23 Kinder!) auf einem Flecken
Sandgrund; rund um CASIMU hat es kleinere und grössere
Korallenstöcke. Doch es ist Flaute und somit der beschränkte
Schwojraum kein Problem. Im klaren Wasser entdecken wir bald
einige junge Haie. In einem unserer nautischen Führer
("South Pacific Anchorages" von Warwick Clay) las
ich: "The anchorage is restricted and not well protected.
There are many sharks." Nun, wir baden zwar am Heck,
aber schwimmen macht uns nicht an. Schon ist Besuch da: Gaston
kommt mit dem Boot und vier Kindern, die mit Wonne unsere
Bananen verschlingen, während ihr Vater zwei schwarze
Perlen aus der Mütze klaubt und gegen Whisky oder Rum
tauschen will. (Auf den Tuamotu ist Perlenzucht eine wichtige
Einnahmequelle.) Doch mit uns kommt es zu keinem Geschäft.
Die letzten Bananen dienen dann noch als Wegzehrung! Das Wetter
ist schwül, meine Haare sind unangenehm lang. Seit Mitte
Dezember, Puerto Montt, sind sie noch nie geschnitten worden,
da wir auf den Marquesas nirgends einen Coiffeur fanden. Die
meisten Frauen und Männer tragen ja die Haare auch lang
und brauchen keinen Coiffeur. Auf meine Nachfragen bei Kurzhaarigen,
bekam ich jeweils die Antwort "il n' y a pas, on le fait
soi-même". Also, machen wir das halt auch "soi-même"
... Hans habe ich vor drei Wochen schon geschnitten und nun
schneidet er mir die Haare; ich dopple später noch nach...nun
sind sie allzu kurz! - Gegen Abend rudere ich den Korallen
entlang zum kleinen Betonsteg, wo einige Dorfbewohner in Gruppen
zusammen sitzen und plaudern. Zwei ältere Männer,
Rongo und Ro'o begrüssen mich freundlich und Rongo beginnt
mir von seinem Leben als Seemann zwischen den Polynesischen
Inseln zu erzählen. Er gibt mir auch verschiedene Tipps:
Die Limonen sollen in trockenem Sand gelagert, lange halten;
die grünen, unreifen zuunterst legen, die gelben in den
obersten Schichten. Eier soll ich 5 bis 10 Sekunden in kochendes
Wasser tauchen, dann würden sie auch ungekühlt lange
frisch bleiben, also eine Art blanchieren. Die chemische Erklärung
liefert er mir gleich mit. Er meint auch, dass wir doch auf
die andere Seite der Lagune verholen sollen, dort sei es schöner
und besser geschützt: "Fahrt zurück zum Pass
und dann quer über die Lagune. Nicht von hier aus direkt
queren, denn da liegen viele Perlenkulturen. Korallenköpfe
hat es nur ganz wenige, und die seht ihr gut. Pas de problème,
mais il vous faut un permit du gendarme!" Als es dunkel
wird, rudere ich mit den Neuigkeiten zu Hans zurück.
Am Ostermontag wechselt das Wetter. Es ist stürmisch
und regnerisch und CASIMU's Heck nur wenige Meter vor einem
Korallenstock auf Legerwall.
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Heftige Schauer und Böen machen den Ankerplatz
vor dem Dorf in Raroia ungemütlich. |
Beide haben wir an meinen Haaren rum geschnitten; nun
sind sie etwas gar kurz! |
Die Kette liegt jetzt wegen dem Windwechsel um einen Korallenstock
gewickelt und ist somit drastisch verkürzt, so dass das
dicke, abfedernde Ankertau nach ein paar Stunden durchgescheuert
ist und reisst. Ja, der Ankerplatz ist wirklich "restricted
and not well protected". Der NE-Wind erreicht in den Böen
bis 35 Knoten, über die grosse offene Lagune entstehen
unangenehme Wellen und wir verbringen einen ungemütlichen
und beunruhigenden Tag an Bord. In einem der heftigen Regenfälle
duschen wir an Deck und ich sammle wieder sauberes Regenwasser.
Gegen Abend dreht der Wind gegen NNW, so dass wir etwas in die
Abdeckung des Motus gelangen und weniger Wellen haben. Am nächsten
Morgen besuchen wir das Dorf. Der lustige, rundliche "infirmier"
- er hat seine langen Haare mit einer bunten Haarklammer hochgesteckt
- kommt auf uns zu und schüttelt uns die Hände. Er
teilt uns mit, dass keine Nachrichten ins Dorf gelangen, da
seit drei Wochen viel Regen und wenig Sonnenschein herrscht,
somit kein Solar-Strom entsteht, und das wiederum heisst: kein
Licht, kein Fernseh - und kein Radio-Empfang. Dafür sind
die grossen Regenwassersammler randvoll. Regenwasser ist auf
den Tuamotus die einzige Süsswasserquelle. - Weiter geht's
durch Kokoshaine an verschiedenen Häusern und Hütten
mit Blechdächern, Wassersilos und Solarzellen vorbei. Wir
planen am Nachmittag den Rat vom erfahrenen Einheimischen Rongo
umzusetzen und über die Lagune an die Ostseite zu verholen.
Das sind etwa 6 Meilen. Doch vorerst müssen wir noch den
"gendarme" auftreiben, von dem wir eine Bewilligung
einholen sollen. Hoch auf einem Trax begegnen wir ihn. Passkontrolle
und Formular sind sehr schnell erledigt. Als wir Richtung CASIMU
zurück schlendern, grüsst uns ein älterer Franzose,
der mit seiner Frau für drei Monate hier in drei Hüttchen
am Strand wohnt: Küchenhäuschen, Dusch- und Waschhaus
und Schlafhüttchen. Alles sehr rudimentär eingerichtet,
das heisst, die Küche eigentlich gar nicht! Weder ein Kochherd
noch ein Tablar befand sich darin, als das Ehepaar ankam. Fliessendes
Wasser sowieso nicht. Auch kein Stuhl oder Tisch fanden sie
vor. Der ehemalige "Pasteur" und seine temperamentvolle
Frau leben seit vielen Jahren auf Tahiti und sind mit den polynesischen
Verhältnissen gut vertraut. So brachten sie fast alles
mit dem Transportschiff von Tahiti mit: einen kleinen Kocher,
einen mit Gas betriebenen Kühlschrank, Hammer und Nägel
so wie eine Riesenmenge Vorräte. So hat er ein paar Tablare
improvisieren können. Tischchen und Plastikstühle
erhielten sie von einer Nachbarin. Wir sitzen mit ihnen in der
kleinen, primitiven Küchenhütte und plaudern. Alle
Fische in der Lagune sollen ciguatoxisch verseucht sein - das
Nervengift ist für uns Menschen gefährlich (Ciguatera
verursachend), ja kann sogar tödlich sein. Nur den "rouget"
könne man bedenkenlos essen. Doch wir haben nicht im Sinne,
hier zu fischen. Ein Hotel oder Gästehaus gibt es auf Raroia
nicht. Doch bald soll ein Streifen Kokospalmen auf dem langen
Motu für den Flugplatz gerodet werden; alles ist schon
abgesteckt. Wie schade! - Nachmittags entwinden wir bei Sonnenschein
die Ankerkette vom Korallenstock und motoren zuerst zurück
zum Pass, um den vielen Perlenkulturen vor dem Dorf auszuweichen.
Dann - nach Korallenstöcken Ausschau haltend - queren wir
die tiefe, blaue Lagune. Es wachsen nur wenige hohe, weitflächige
Korallenstöcke darin und man sieht sie schon von weitem
durch die helleren grünlich bis bräunlichen Farbtöne,
vorausgesetzt die Sonne fällt von oben oder hinten ein.
Wir halten auf eine Gruppe Inselchen mit üppigem Palmbewuchs
zu. Hinter zwei wunderschönen Motus suchen wir uns einen
Ankerplatz mit möglichst wenig Korallenköpfen und
liegen bald im ruhigen, klaren Wasser. Ein angenehmer NE-Wind
kühlt die Luft. Ist das hier wunderschön!
Zehn Tage im Paradies
So stellt man sich die Südsee allgemein vor: klares Wasser
in vielen Grün- und Blautönen, heller feiner Sand
um die Palmeninselchen, ungestörte und unberührte
Einsamkeit. Tag und Nacht so warme Temperaturen, dass man höchstens
die Badekleider anzuziehen braucht. Wir hören die schneeweissen
Vögel schnabulieren und die Brandung am Aussenriff. Sonst
nichts. Jegliche Zivilisation ist weit weg und uns gehören
Dutzende von Motus und die ganze Lagune! Doch nein, da gibt
es noch viele andere Bewohner, die wir respektvoll achten: viele
kleinere und grössere Schwarzspitzenhaie. Bald nehmen vier
junge dicht am Bauch von CASIMU Stellung, zwei weitere unter
dem Beiboot. Sie kommen jedesmal hervor geschossen, wenn die
organischen Rüstabfälle von uns ins Meer fliegen.
Als ich am ersten Morgen den Algenbewuchs knapp über der
Wasserlinie weg schabe, merke ich nichts von unseren Gästen.
Doch als ich später ums Schiff schwimme, berührt mich
plötzlich etwas Rauhes am Bauch. Ich "göisse"
und schlage um mich. An meiner Hüfte sind drei feine Striemen,
die leicht brennen. Eins der jungen Hailein wollte wohl an meinem
Bauch Schutz suchen und als ich eine Schwimmbewegung machte,
berührten wir uns. Tags darauf, als ich wieder ums Schiff
schwimme, bitte ich Hans, mal mit der Taucherbrille zu schauen.
Er sieht, dass wieder ein kleiner Hai vom Bauch von CASIMU zu
meinem wechselt und ganz dicht unter mir mit schwimmt. Das ist
mir allerdings zu viel familiäre Nähe, und ich schwimme
von nun an nicht mehr ums Schiff.
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Im Schutz der Motus liegen wir perfekt. |
Blick vom Mast aus zum Aussenriff. |
Ich kann mich an den Farbensymphonien des Wassers, die je nach
Sonneneinfall und Windstärke unterschiedlich schimmern
und den romantischen Inselchen mit den im Wind sich bewegenden
Kokoswedeln kaum satt sehen. Jeden Morgen ist es das erste,
was ich in mich aufsauge und abends - bevor uns die helle Venus
am Westhimmel die ungestörte Sternennacht ankündigt
- das letzte, was ich betrachte. So vollkommen sind Farben und
Formen über dem Wasser und ebenso unberührt die Unterwasserwelt.
Ein riesiger Mantaroche schwimmt eines Tages nahe an CASIMU
vorbei. Ein anderes Mal nehmen wir den enormen schwarzen Schatten,
der so gross und breit wie unser Beiboot gemächlich an
CASIMU vorbeizieht, etwas zu spät wahr. Besuchte uns wohl
ein anderer Roche? Die Korallenstöcke um uns beherbergen
eine Menge verschiedenster kleiner und grösserer bunter
Fische und oft liegen wir einfach schnorchelnd bei so einem
Stock und bewundern den winzigen, bunten Kosmos: wir beobachten
die weidenden Fische, die vielen Mördermuscheln, von denen
jede andersfarbige "Lippen" zu haben scheint, die
verschiedenen Korallen. Und immer wieder schauen wir um uns,
denn es gibt wirklich viele Schwarzspitzenhaie, die patrouillieren,
wobei die grösseren kaum nahe kommen, die kleineren aber
recht neugierig (?), ja fast aufdringlich Bekanntschaft schliessen
wollen, so dass ich mehr als einmal mit Herzklopfen schnell
ins Beiboot klettere. Ja, schliesslich sind wir es, die ins
Paradies eingedrungen sind! Während eines Spaziergangs
auf einem Motu beobachten wir im ganz seichten Wasser viele
junge Haie, deren schwarze Rückenflossenspitze deutlich
aus dem Wasser gucken beim Jagen. Unglaublich, dass die in so
niedrigen Pfützen schwimmen! Hans meint nur: "Ja,
das gibt mir schon zu denken!" Ich weiss, was er meint:
wenn das die kleinsten können, werden es auch die ausgewachsenen
verstehen! - Unsere Tage vergehen unbeschwert einfach. Morgens
früh, vor halb sechs Uhr, rudert Hans meist zu einem Inselchen
und holt frische Kokosnüsse, reife und grüne. Wenn
er zurückkommt, guckt die Sonne über das Motu, ich
bin auf dem Vordeck und turne "Gruss an die Sonne"
und freue mich auf das frische Kokoswasser. Hans hat auf den
Stangen der Windsteuerbefestigung eine kleine "Werkstatt"
eingerichtet: auf einem grossen montierten Tranchierbrett öffnet
er die Kokosnüsse mit Säge und Messer, eine harte
und Schweiss treibende Arbeit! Nach dem Kokossaft und dem Morgenbad
frühstücken wir. Ich backe etwa jede Woche einmal
drei Vollkornbrote und experimentiere im Käse ansetzen.
Täglich rühre ich cremige Pulvermilch (etwa 150%ig)
in einem Plastikgefäss an, drücke den Saft von zwei
marquesischen Limonen dazu, - schon beginnt sich die Milch zu
zersetzen - schliesse das Gefäss und stelle es an die Sonne.
Nach einem oder zwei Tagen lege ich ein grosses Taschentuch
in ein Suppenkübelchen und schütte die quarkartige
Masse hinein. So kann ich auch die Molke auffangen, die ich
dann fürs Müesli, in Saucen, Suppen oder auch für
den Brotteig verwende. Mit einem elastischen "Gummeli"
über dem Käseknäuel ergibt sich ein "Pünteli",
das jetzt mit den Ecken an den Lavabohahn im zweiten Bad für
eine Nacht (oder auch zwei) aufgeknüpft wird. Vor dem Genuss
wird der Frischkäse dann noch mit Salz (wenn ich keinen
Anteil Meerwasser benutzt habe), Pfeffer und evt. ein wenig
Olivenöl gewürzt. Ein herrlicher Zmorge- oder Dessertkäse
zu dunklem Vollkornbrot; kann mit einem "chèvre
frais" vom "Chäsbueb" konkurrieren! Die
Schachtelkäslein von "La vache qui rit" munden
nicht mehr; allerdings wäre ein würziger Hartkäse
auch mal wieder fein! - Nach dem Abwasch widme ich mich der
Käseproduktion und Hans schnippelt mit der Raffel reife
Kokosnüsse zum Trocknen: herrliche Müesli- oder Riz
Casimir - Beilage! Danach steigen wir ins Beiboot und gehen
schnorcheln oder rudern zu einem unserer Traum-Motus und erforschen
diese kleine Welt. Auf dem sandigen Boden liegen viele, scheinbar
tote Kokosnüsse und aus mehreren wachsen neue Palmen; so
bedürfnislos sind diese Pflanzen!
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Ob diese junge Kokospflanze neben der grossen aufwachsen
kann? |
Blick vom abendlichen Ausflug zu CASIMU |
Jedesmal entdecken wir etwas Neues: eine junge Muräne (oder
ist es eine Seeschlange?) im seichten Wasser, eine grosse Kokoskrabbe
an einem Stamm, schneeweisse Vögel mit wunderschön
gefächerten Schwanzfedern, die sich flatternd über
unseren Köpfen stationieren, eine angeschwemmte Perlenboje,
die Hans als Ankerboje mitnimmt. - Nach einem leichten Mittagessen
und einer kurzen Siesta mischen wir die Jasskarten und spielen
während der heissesten Tageszeit ein Stündchen im
Cockpit. Gegen Abend - während Hans den Meteo-Fax "stream
analysis" reinholt, rudere ich mit Flossen, Taucherbrille,
Schnorchel und Sandalen los: machmal schnorchle ich noch oder
gehe direkt zum kleinen Motu mit den vielen Einsiedlerkrebsen,
die jetzt alle aktiv werden.
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Gefahr droht: der Einsiedlerkrebs rollt sich in sein
"geliehenes" Schneckenhaus ein. |
Kopulieren oder kämpfen sie? |
Ich bestaune ihren Gang und die vielgestaltigen Schnecken- und
Muschelhäuschen, die sie sich ausgesucht haben. Wenn die
Jungtiere wachsen, müssen sie jeweils das alte Häuschen
verlassen und ein neues, grösseres Zuhause finden. Die
kleinsten Krebslein messen weniger als 1 cm, die grossen bestimmt
10 bis 12 cm. Wenn sie die Erschütterungen meiner Schritte
spüren oder mein Schatten auf sie fällt, rollen sie
sich ein und ziehen sich ins Haus zurück; eine perfekt
geschützte Kugel liegt dann unbeweglich da. Ich warte oft
lange, bis sie ihre Fühler wieder ausstrecken, um zu sondieren,
ob die Luft rein ist. Die hungrigen an den Kokosnüssen
und die, die unter einer Palmenöffnung kopulieren, beachten
meine Anwesenheit oft nicht
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Einsiedlerkrebse beim Nachtessen. |
Zielstrebig marschiert er dem Wasser zu. |
Die Sonne geht in den Tropen das ganze Jahr über früh
unter. Gegen halb sechs sitzen wir dann im Cockpit, trinken
einen Aperitif und schauen den rötlich sich verfärbenden,
lebendigen Wolkenbildern und dem langsam sich verfinsternden,
riesigen Himmelszelt über uns zu. Ein abendliches Schauspiel,
das uns immer wieder in seinen Bann zieht. Ganz weit drüben
beim Pass beginnen die solar-betriebenen Seezeichen (das verdanken
wir den Franzosen!) zu pulsieren, die wir stehend eben noch
ausmachen können. Sonst nirgends ein künstliches
Licht. Bald erkennen wir herrlich klar die Venus, etwas höher
den Jupiter und an einem Abend die ganz feine Sichel des Neumondes
im dämmrigen Westen. Schnell ist es dunkel und da erscheint
am Osthimmel der Skorpion in ganzer Grösse, im Norden
der Wagen und im Westen der Orion, der bald untergehen wird
und das Kreuz des Südens wacht über allen. Geht
es uns gut! Ich koche ein einfaches, feines Nachtessen und
wir trinken chilenischen Wein dazu. (Er ist zwar zu warm,
denn wir haben den Kühlschrank wegen dem leidigen Stromproblem
bei Windstille und bedecktem Himmel seit längerem ausser
Betrieb, aber was tut's? Er schmeckt trotzdem. Frische Gemüse
und Früchte haben wir nicht mehr, ausser Kartoffeln,
Zwiebeln, Knoblauch und Limonen. Doch ich kann auch mit getrockneten
Tomaten und Steinpilzen, gedörrten Bohnen, Pelati oder
anderem Gemüse aus der Büchse etwas Feines kochen.
Auch das getrocknete chilenische Soja-Geschnetzelte schmeckt
uns. Tierisches Fleisch haben wir seit Monaten nie mehr gegessen.)
Acht Uhr am Abend ist hier schon spät. Wir lesen noch
ein wenig und schlafen dann früh. So einfach ist unser
jetziges Leben. Ich bin glücklich und für mich stimmt
einfach alles. Auch Hans ist hier viel zufriedener als auf
den Marquesas. Ich bin mir jetzt schon bewusst, dass ich mich
später wohl noch oft nach den harmonischen, paradiesischen
Südseetagen in Raroia sehnen werde. - Eines Abends holt
Hans übers Iridium (Satellitentelefon) die mails von
casimu.com. herein. Mit einem Satz zerbricht meine Idylle:
Hans Egger hat uns an Ostern geschrieben, dass seine herzensgute
Frau Elisabeth, unsere liebe Freundin, im Sterben liegt. Die
akute Leukämie, die vor einem Jahr chemotherapeutisch
besiegt wurde, kam zurück. Eine tiefe Traurigkeit und
Wehmut befällt mich. Ich sehe sie vor mir, eine wieder
genesene, strahlend jugendliche Elisabeth, mit der ich vor
knapp einem Jahr zusammen war, damals, als meine Mutter im
Sterbebett lag. Auch Hans ist erschüttert. Plötzlich
haben unsere Gespräche einen viel ernsteren Inhalt. -Nach
10 Tagen in meinem Paradies kommt Ostwind auf. Wir heben am
23. April mittags den Anker und wehmütig nehme ich Abschied.
Wir segeln in einem Nachttörn dem 80 sm entfernten Atoll
Makemo entgegen. Hier liegen wir jetzt im Südosten der
riesigen Lagune bei zwei Motus vor Anker. Es ist eigentlich
auch schön da, aber ich habe bereits Heimweh nach Raroia.
Seit gestern bläst der Wind mit 25 bis über 30 Knoten
von Osten und wir sind froh, geschützt vor den Wellen
hinter dem Riffdach zu liegen und nicht ungeschützt beim
Pass vor dem Dorf. Unsere Aktivitäten finden zur Zeit
an Bord statt: schreiben, lesen, haushalten...
Bis zum nächsten Mal! Heidi
mehr Fotos zu diesem Bericht: http://www.casimu.com/album/tuamotu/index.htm
26. April 2004 Heidi Brenner
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