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Zwiespältige Eindrücke von den Marquesas
Wie geplant sind wir nach dem Einklarieren bei der Gendarmerie
in Atuona - auf der Insel Hiva Oa - für länger als
eine Woche in die faszinierende Baie des Vierges und zu unseren
neuen Bekannten nach der südlichsten Insel Fatu Hiva
zurückgekehrt.
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Grosse Handwäsche am Ankerplatz in Atuona nach
einem Monat Pazifik - Passage |
CASIMU in der Baie des Vierges, vor den imposanten "Verges"
(Ruten oder Phalli) |
Doch nun der Reihe nach: Das Einklarieren war problemlos und
einfach. Nichts von "bond" hinterlegen (Garantiesumme
für Flugticket ins Heimatland); drei Monate können
wir uns ohne Visum in Französisch Polynesien -Marquesas,
Tuamotus und Gesellschaftsinseln- aufhalten. Das grüne,
ländliche Zentrum von Atuona - Gendarmerie, ein paar Läden,
Gauguin- und Jacques Brel-Museum, Friedhof mit den Gräbern
von Gauguin und Brel und auch das "Hopital" - liegt
etwa 3 bis 4 km weg vom Ankerplatz, eigentlich ein schöner
Marsch. Doch in der feuchten Hitze ist es weit und wir werden
von den Autos, die an der einzigen Tankstelle der Insel im Hafen
waren, wie selbstverständlich mitgenommen. Wir fahren hinten
auf Stationswagen, im Schulbus und einmal im Jeep des jungen
französischen Arztes mit und vernehmen so allerlei, was
den Alltag der Einwohner betrifft. Die Marqueser in ihren Gummilatschen
sind unkompliziert, nett und freundlich, wenn auch meist ziemlich
indifferent und desinteressiert. Alle sprechen französisch.
Viele von ihnen sind "gros": mächtig und fett,
sowohl Frauen wie Männer - die sich wirklich physisch häufig
sehr ähnlich sind, wie schon Kapitän Cook bemerkte
- während die kleinen Kinder auffällig schlank und
agil sind. - An einem heissen Nachmittag überschlage ich
die geografische Lage und die Geschichte der Marquesas: bestimmt
sind es die zehn isoliertesten Inseln auf der Erde; mindestens
1000 km sind die nächsten Atolle und Inseln im Südwesten
entfernt, die Hawaii-Inseln im NW mehr als 3000 km und der südamerikanische
Kontinent im Osten ist gar gegen 7000 km weg. Von Tahiti ist
das Versorgungsschiff ARANUI drei Tage und Nächte unterwegs.
Die Marquesas liegen auf etwa 10° südlicher Breite
und 139° westlicher Länge, fast mitten im riesigen
Pazifik -sozusagen als "Eingangsinseln" zu den westlicheren
Gruppen. Wenn ein Segler von Osten - Kalifornien, dem Panamakanal,
den Galapagos oder wie wir vom weiter südlich gelegenen
Chile - mit den Passatwinden einläuft, hat er hier die
Hälfte der Distanz nach Neuseeland geschafft! Der erste
Landfall nach 4 bis 6 Wochen auf See ist in der Regel hier.
Die geologisch jungen, vulkanischen Marquesas empfangen ihn
nicht so, wie sich der Europäer eine Südseeinsel vorstellt.
Nein, sie sind viel dramatischer, wilder, unbezwingbarer; ganz
speziell das südlichste Fatu Hiva. Erst etwa vor einer
Million Jahren sind hier die beiden Vulkane auseinandergebrochen
und teilweise im Meer versunken. Was übrig blieb, sind
senkrechte schwarze Felswände, meist begrünt, die
in das tiefe Blau des Pazifiks stürzen. Zackige, über
tausend Meter hohe Felsen erheben sich im kaum bezwingbaren
Inselinnern.
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Bei einem der vielen, senkrecht über die vulkanischen
Felsen herabstürzenden Wasserfall (hier im Innern
von Fatu Hiva). |
Emile pflückt reife Papayas für uns und Hans
muss sie auffangen. |
Wie überall auf den Marquesas fehlen auch hier die schützenden
Korallenriffe; Brandung und Schwell aus den unendlichen Weiten
des Pazifiks finden ihren Weg ungehindert zu den steilen Ufern
und in die wenigen flachen Buchten. So wird für die Segler
ein Ausflug nicht selten zum Abenteuer, bevor man mit dem Beiboot
gelandet ist! Doch in der Hanavave Bucht (Baie des Vierges)
ist es jetzt komfortabel: ein moderner Wellenbrecher aus Betonelementen
und ein dahinter liegender Pier garantieren fast immer ein bequemes
Anlegen. Die klassischen Auslegerboote der Einheimischen, die
Holz-Pirogen, sind heute motorisiert, daneben sieht man auch
Boote aus Aluminium. Die Häuser werden schon lange nicht
mehr aus dem Holz der Kokospalme erstellt und deren Wedeln gedeckt.
Nein, billige Fertighäuser (dank staatlicher Unterstützung
für nur 3000 US$) mit Wellblechdach sind ihre Behausungen,
die innen oft sehr heiss werden. Unter einem Vordach steht meist
ein japanischer Vierrad-Antrieb-Stationswagen, obschon die einzige
Erdstrasse über unzählige Kurven bloss 17 km lang
ist und ins Hauptdorf Omoa führt: 1,5 Std. Fahrt anstelle
von 15 Minuten mit dem Boot! Aehnliche Verhältnisse treffen
wir auch auf allen anderen Inseln an. Doch irgendwie gehört
ein Auto halt wohl dazu, wie die Waschmaschine, die Stereoanlage,
der Fernseher ... Armut wie in Chile oder Argentinien scheint
es hier nicht zu geben. Aber von der alten Kultur ist auf den
ersten Blick nicht viel übrig geblieben, ausser den kunstvollen
Tätowierungen, die Beine, Arme, Brust oder Rücken
vieler Männer grossflächig schmücken. Ferner
die Fertigkeit, Holzskulpturen aus dem harten Rosenholz oder
Pandanus herzustellen. Heute natürlich vorwiegend mit elektrischen
Werkzeugen, aber oft sehr kunstvoll. Und nicht zu vergessen
der Rudersport der Männer und Knaben mit den Ausleger-Rennpirogen,
die wir in Atuona oder Taiohae vorbei flitzen sehen. - Auf Fatu
Hiva - in den beiden Dörfern Omoa und Hanavave - wohnen
jetzt noch ein paar hundert Menschen. Auf den sechs bewohnten
Marquesas-Inseln leben zur Zeit gesamthaft nur noch etwa 7500
Menschen, vor Jahrhunderten waren es zwischen 50'000 und 100'000,
welche die vielen fruchtbaren Täler bewohnten! Eingeschleppte,
westliche Krankheiten, als Sklaven abtransportierte Einwohner,
Kriege und auch Auswanderung führten dazu, dass die Marquesas
fast verödeten. Etwas oberhalb von Hanavave sind Ueberreste
eines alten Dorfes, das noch vor der Entdeckung durch den Spanier
Mendana im Jahre 1595 - das übliche spanische Blutbad kostete
200 Insulanern das Leben!- von über 2000 Einwohnern belebt
wurde. Unzählige Kultstätten, Ueberreste alter Dörfer
und Tikis (Götterstatuen) sind auf allen Inseln in den
Urwald ähnlichen Tälern versteckt und überwuchert.
Niemand kümmert sich um diese Stätten, einige sollen
registriert sein, aber es gibt anscheinend keine archäologische
Forschung und keine Ausgrabungen! Die feuchte Hitze, die Mosquitos
und Nonos (eklig beissende Fliegen) und die schnell wieder alles
zuwachsenden Pflanzen machen es Archäologen allerdings
auch nicht leicht. Aber trotzdem! Hier, auf den Marquesas ist
ja die Wiege der ost-polynesischen Kultur zu finden. Lange vor
unserer Zeitrechnung sollen furchtlose Menschen aus dem asiatischen
Raum Richtung Osten gesegelt sein. Vor etwa 2000 Jahren landeten
sie dann mit ihren mächtigen Doppel-Kanus auf den Marquesas.
Vom Westpazifik herkommend - wohl vom 3500 km entfernten Samoa
- überwanden sie die grossen Distanzen gegen die vorherrschenden
Winde und Strömungen, beladen mit Pflanzen wie Taro und
Brotfrucht und Haustieren wie Hunde und Schweine. Von hier aus
sollen nach und nach sternförmig weiter besiedelt worden
sein: die Hawaii - Inseln, Tahiti und die Gesellschaftsinseln,
Gambier, die Osterinsel... Mächtige, starke und stolze
Männer und hübsche Frauen waren es, die ihre Kultur
mitbrachten und weiter entwickelten. Kaum mehr vorstellbar,
denn heute sind die Marqueser fast ganz abhängig von der
französischen Unterstützung. Die Regierung in Paris
befolgt natürlich vor allem eigennützige Zwecke: bis
vor kurzem die Atomversuche auf den Tuamotus und jetzt ein nicht
zu unterschätzender Absatzmarkt französischer Produkte.
In den kleinen Läden gibt es meist nur importierte, französische
Waren: Emmentaler Käse von Président und Schachtelkäse
"la vache qui rit", Konfitüre "Bonne maman",
viele Konserven und Knabberzeug, unzählige Haushalt-Artikel,
manchmal Zwiebeln und "corned beef" aus Neuseeland
und noch seltener haben wir das Glück, dass der einheimische
Bäcker Baguettes brachte. Die Preise der Waren sind sehr
hoch, was ja eigentlich bei den weiten und oft komplizierten
Transportwegen und den zusätzlichen 20% Steuern nicht verwunderlich
ist. Das Bier Hinano kommt von Tahiti. Die meisten übrigen
Getränke in Dosen oder Plastikflaschen kommen aus Frankreich.
Perrier Mineralwasser aus Frankreich!! Und dabei ist hier fast
überall einwandfreies Trinkwasser in Hülle und Fülle
verfügbar. Frische Fruchtsäfte gibt es nicht, trotz
des enormen Früchte Ueberflusses! Eine frische Kokosnuss
kann man in einem "Snack" etwa als Getränk bekommen.
Wehe, wenn mal die Gelder aus Frankreich versiegen... oder vielleicht:
welch ein Segen, wenn sich die Leute neu orientieren müssten!?
- Wie stark hier die Unabhängigkeits-Bewegungen sind, können
wir nicht beurteilen. Vorsichtshalber haben die Franzosen den
Polynesiern aber verboten, Gewehre und Munition zu besitzen,
was ihnen die Jagd auf die wilden Ziegen erschwert. Eine Menge
französischer Beamter und Profiteure leben hier wie in
ganz Französisch Polynesien, die natürlich wesentlich
mehr verdienen als zu Hause in Frankreich. Dass sich der französische
Staat all das immer noch leisten kann! - Wir besuchen in mehr
als sechs Wochen alle bewohnten sechs Inseln: Fatu Hiva, Hiva
Oa, Tahuata, Ua Huka, Nuku Hiva und als letzte liegt jetzt noch
Ua Pou vor uns. Immer wieder sind wir in unseren Stimmungen
hin- und her gerissen: einerseits die Faszination der einmaligen
Wildheit der Inseln und die eindrücklichen Wanderungen,
andererseits die lästigen Nonos und die feuchte, lähmende
Hitze. Hier der einfache Kontakt zu den freundlichen, unkomplizierten
Menschen, daneben das Erstaunen (oft auch Entsetzen) über
ihren in vielen Belangen unangepassten, unkritisch übernommenen
westlichen Lebensstil. - Ein paar Eindrücke und Bilder,
die für uns typisch marquesisch sind, und wir bestimmt
nicht vergessen werden: der Früchte-Ueberfluss: auf unseren
Wanderungen durch die fruchtbaren Täler und Hügel
liegen unzählige Mangos oder Limonen am Boden und wir sammeln
von den besten ein. Oder wir erhalten oder tauschen riesige
Grapefruits, Limonen, Orangen, Mangos, Bananen, Uru (Brotfrucht),
Kochbananen und Kokosnüsse von den Leuten. So winkt uns
auf Ua Huka - der am wenigsten von Jachten angelaufenen Insel
- im Dorf Hane ein Mann zu seinem Haus. Sie hätten so viele
Bananen, wir sollen doch einen Bund mitnehmen. Oder in der Bucht
Haavei, ebenfalls auf Ua Huka, lesen Alexis und sein Sohn Emile
- die Verwalter des Landgutes - mit dem langen Pflücker
von allen Bäumen die schönsten Früchte für
uns ab, bringen uns die bestellten frischen Baguettes vom Bäcker
und schenken uns auch noch dreizehn kleine, frische Hühnereier!
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Blondine und ihre Schwester waren in der Bananen-Plantage
und kämpfen nun auf dem unwegsamen Pfad mit den schweren
Karretten. |
Alexis und sein Sohn Emile pflücken für uns
die schönsten Früchte, bringen uns Baguettes
und schenken uns frische Hühnereier. |
Es scheint uns selbstverständlich, dass wir ihnen auch
etwas für sie Besonderes schenken: guter chilenischer Wein
und ausgedruckte Fotos sind immer willkommen, wenn auch nicht
erwartet. Ein Höhepunkt ist der riesige Schwarm kleiner
Delphine, die eines Morgens in der Baie des Vierges springend
und spielend auftauchen. Mit Taucherbrille und Flossen schwimme
ich eine Zeitlang inmitten von ihnen. Oefters sehen wir auch
helle, scheue Manta-Rochen im klaren Wasser. Und einmal, in
der Bucht Anaho, im Norden von Nuku Hiva, schnorcheln wir beide
eine ziemliche Weile hinter einer behäbigen Wasserschildkröte
her. Ein besonderes Ereignis war auch die Möglichkeit in
Taiohae, dem Hauptort der Marquesas, nach fast drei Monaten
wieder einmal Zugang zum Internet und unseren casimu-mails zu
erhalten. Herzlichen Dank an alle, die uns so lieb und ermunternd
geschrieben haben. Wir werden uns irgendwann gewiss melden.
- In den nächsten Tagen werden wir noch nach Ua Pou segeln,
um die letzten Vorbereitungen zu treffen und die Wetterprognosen
sorgfältig zu studieren, denn die Zyklon-Saison sollte
vor unserem Absprung nach den Atollen der Tuamotus im Laufe
des Aprils vorbei sein.
25. M�rz 2004 Heidi Brenner
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