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Einsame Isla San Felix: Stützpunkt der chilenischen
Armada und der Maskenmöwen
Ich schreibe von unterwegs. Noch sind es mehr als 3000 Seemeilen
bis zu den Marquesas. Doch bisher hatten wir es einfach: relativ
beständiger eher schwacher Wind aus SSE, kaum Segelwechsel
- wir laufen seit ein paar Tagen mit dem Maximum an Segelfläche
vor dem Wind: ausgebaumte Genua und Blister im Schmetterling
- zuverlässige Windsteuerung, ziemlich ruhige Fahrt und
zunehmend wärmere Luft- und Wassertemperaturen. Unser
Kurs ist vorläufig noch nach Nordwesten. Den Wendekreis
des Steinbocks haben wir bereits passiert und sind auf weniger
als 20° Süd. Wenn wir die Angel nachschleppen, beisst
gegen Abend meist ein Thunfisch von 3 bis 5 kg, so dass für
Frischnahrung gesorgt ist. Da im Augenblick die Sonnenzellen
und der Schleppgenerator mehr als genug Elektrizität
erzeugen, kann ich das Notebook starten und unten im Salon
schreiben. - Doch nun der Reihe nach: Als wir am Samstag,
den 10. Januar, gegen Abend von der Robinsoninsel starteten,
wollten wir eigentlich zur 90 sm weiter aussen gelegenen Insel
Alejandro Selkirk segeln, die so gut wie nie von einer Jacht
angelaufen wird. Doch Wind und Seegang hätten uns eine
mühsame Nacht bereitet und ankern wäre dort wohl
auch nicht möglich gewesen. So drehten wir den Bug von
CASIMU bei zunehmender Dunkelheit nach Norden, Richtung Isla
San Felix, meiner Trauminsel. Von der hat noch niemand je
was gehört, auch ich nicht. Doch ich sah vor einiger
Zeit, als ich im Atlas Hidrografico de Chile blätterte
eine alte Seekarte von 1874 von der Insel und dabei eine Skizze
von der Catedral de San Peterborough, einem unglaublichen
Felsen, der wie die Front einer Kathedrale ausschaut und verliebte
mich in dieses scheinbar einmalige Naturwunder. Zudem heisst
mein Patenkind Felix. Ist ja eigentlich klar, dass man da
vorbeischaut, oder?
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Die Seekarte von 1874 |
Catedral de Peterborough |
Also tue ich Hans meinen Wunsch kund. 450 sm nördlich von
der Robinsoninsel sollen sie nach Karte liegen, die beiden Insel
San Felix und San Ambrosio auf gut 26° Süd und 80°
West. Ob sie bewohnt sind? Von Otto auf der Robinsoninsel haben
wir vernommen, dass San Felix ein Armada-Stützpunkt sei
und auf San Ambrosio etwa Fischer vorübergehend hausen.
Die erbetene Erlaubnis, San Felix anlaufen zu dürfen, trifft
von Valparaiso nicht ein. So versuchen wir's halt einfach mal.
Am vierten Abend drehen wir etwa 20 sm vor San Ambrosio bei
(eine Art Schiff parkieren), da wir nicht in der Nacht ankommen
wollen und schlafen mit ab und zu Ausguck halten. Doch in dieser
Welt verlassenen, düsteren Gegend gibt's keinen Schiffsverkehr.
Beim ersten Morgenlicht liegt der schwarz-graue Klotz San Ambrosio
nahe auf der Backbordseite und Hans setzt Segel. Gemächlich
runden wir die vorspringenden Felsen an der Ostecke und begucken
uns dann die nördliche Steilküste ganz aus der Nähe.
Hier im Windschutz ist der Pazifik glatt und wir können
die vulkanischen Felsen mit dem Feldstecher untersuchen. Auf
einer etwas vorspringenden Terrasse kleben ein paar Bretterbuden
von Fischern und eine einfache Kranvorrichtung, um die kleinen
Boote hochzuziehen. Doch jetzt ist alles verlassen. Bald geht's
bei wieder aufkommendem Seegang zur gut 10 sm westlich gelegenen
Insel San Felix. Unser Capitan Hans meldet sich über Funk
bei der Armada-Station an und fragt um Erlaubnis, ankern zu
dürfen. Nach freundlichem Willkommensgruss hören wir,
dass sie über unser Kommen orientiert wurden und das wohlbekannte
"autorizado", was soviel bedeutet, dass höhere
Mächte uns zu ankern erlauben. Wir segeln der zerklüfteten
schwarzen Südküste entlang, um dann die helle westliche
Ecke, den Cerro Amarillo (gelben Berg), zu runden und beim in
der Seekarte angegebenen Ankerplatz im Norden zu ankern. Schon
fürchten unsere Armada-Leute, dass wir wohl den Ankerplatz
im Süden suchen würden und rufen uns über Funk
auf, um uns zu erklären, dass wir im Norden ankern könnten,
und sie würden bereit sein uns zu "asistir" (beistehen).
Wie wir den Cerro Amarillo runden, erblicken wir sie zum ersten
Mal, die einmalige Catedral de Peterborough, von der ich soviel
erwartet habe. Etwa eine Meile nördlich. Ich bin in Hochstimmung.
Und da stehen sie auch schon zu viert in Uniform auf dem dunklen
Felsvorsprung beim riesigen Schlauchboot, und ein paar weitere
etwas oberhalb, die das Boot mit dem Kran wassern helfen. Alle
salutieren militärisch zu uns hinüber, dann wird das
Boot ins Wasser gelassen und nach ein paar Startschwierigkeiten
des nigelnagelneuen Aussenborders kommen sie stehend angebraust.
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Mit dem Kran wird das Boot gewassert |
Empfangsdelegation |
Colonel Juan Masman V. und seine Männer heissen uns auf
San Felix willkommen. Auf ihr Empfehlen machen wir an der einzigen
Boje fest. Sie kommen an Bord, einer kontrolliert kurz unser
"zarpe" (Fahrerlaubnis) und unsere Pässe und
dann wird schon locker "gsprächlet". Keiner kann
sich erinnern, dass je mal eine Jacht sich nach San Felix verirrt
hat! CASIMU wird nun besichtigt und bestaunt und Colonel Masman
lädt uns zum Nachtessen ein. Da wir zuerst ausruhen und
aufräumen wollen, vereinbaren wir, dass wir vom Schlauchboot
der Armada gegen Abend wieder abgeholt und dann die Insel und
die Einrichtungen der Armada besichtigen würden. Als wir
nach fast zwei Stunden Schlaf erwachen, sind wir samt CASIMU
und Boje schon auf halbem Weg zur Catedral abgetrieben! So eilig
haben wir es nun auch wieder nicht! Langsam motoren wir im Rückwärtsgang
mitsamt der Boje zurück, deponieren diese an ihrem alten
Platz und ankern nebenan. Gegen Abend werden wir vom Armada-Boot
abgeholt und steigen die steilen Treppen den Fels hoch, wo der
Pickup steht. Wir werden nun zur Besichtigung der kleinen, kahlen
Insel zuerst über die 2 km lange Landepiste gefahren, die
sich über den ganzen flachen Mittelteil erstreckt. Am Ende
derselbigen zeigt uns Colonel Juan Masman die vielen Brutstätten
der Piqueros Masquerados - ich glaube auf deutsch heissen sie
Maskenmöwen, wegen ihrem maskenähnlichen Gesicht.
Wir sehen viele einzelne Eier am Boden, je im Zentrum eines
grossen, von Kot strahlenförmig gezeichneten Kreises. Sie
lassen sich durch uns Menschen überhaupt nicht verunsichern.
Anschliessend werden wir zu der kleinen Siedlung der 23 Armada-Männer
geführt: in das helle, saubere Küchenhaus, wo der
appetitliche Koch gerade die Vorspeise fürs Nachtessen
garniert; zum Waschhaus, wo jeder - inkl. Colonel - seine Wäsche
selber besorgt, am Fussball-, Tennis- und Volleyballplatz und
Kraftraumhäuschen vorbei zur Wasseraufbereitungsstelle
und den Generatoren und dann zu zwei recht grossen "invernaderos"
(Treibhäusern), wo vor allem viel Petersilie wächst
aber auch Tomaten und Krautstiele. Auch die Türen zu den
Häusern der Mannschaft werden uns geöffnet. Die grossen
Wohn- Essräume enthalten zwar einen Fernseher, aber die
Männer können nur Videofilme anschauen, Fernsehempfang
und Internetanschluss gibt's nicht. Sie schlafen in Einer- oder
Doppelzimmer. Alles ist sehr ordentlich und sauber. Im Häuschen
des Colonels ist der Tisch festlich gedeckt: weisses Tischtuch,
schönes Geschirr und Besteck.
Zum Aperitiv gibt's den typisch chilenischen Pisco sauer,
dann serviert uns - Colonel Juan Masman, seine etwa 8 Unteroffiziere
und wir - der Kellner sehr gekonnt die dekorative Vorspeise,
Hauptgang und Dessert. Wir haben den Wein mitgebracht, der
sehr geschätzt wird. Während des ganzen Essens reden
wir angeregt und entspannt. Damit wir zurück auf CASIMU
kommen, müssen wieder mindestens sechs Mann zur Einwasserungsstelle
am anderen Ende der Insel mitfahren, zudem den mobilen Generator
mitgeschleppen, um die Beleuchtung der Felstreppen zu aktivieren.
Das ungewohnte, nächtliche Licht weckt die schlafenden
Seeschwalben, die nun verwirrt herum zu flattern beginnen.
Zum Glück hat es kaum Schwell, so dass wir von Ivan dem
Schrecklichen (was er voller Freude immer wieder auszusprechen
versucht: "der Srecklige, der Srecklige...") trocken
und problemlos zum weisslich schimmernden Rumpf von CASIMU
gefahren werden. Wir schlafen wieder mal eine ganze Nacht
durch. Nach dem morgendlichen Turnen schwimme ich ein paarmal
um CASIMU herum. Das Wasser dünkt mich zum ersten Mal
nicht mehr kalt, obschon es nur 19° warm ist. Nachmittags
werden wir wieder vom Armada-Boot abgeholt, denn wir möchten
zum Leuchtturm auf dem gelben Berg, dem Cerro Amarillo, steigen
und die grosse Vogelkolonie in Ruhe anschauen. Natürlich
werden wir von einem Armada-Mann begleitet. Ueberall in den
kleinen, erodierten Felshöhlungen kauert unbeweglich
eine junge Maskenmöwe. Viele sind nur ein runder Haufen
feinster, dunkelgrauer Flaum. Einzig der grosse, fast schwarze
Schnabel verrät, dass wir sie von vorne sehen. Etwas
ältere haben bereits Schwanz- und Kopffedern und nur
noch den Mittelteil voller Babyflaum.
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Piquero masquerado, Maskenmöwen |
Kücken im Fels-Nest |
Nirgends sehen wir einen Elternteil.- Herrlicher Blick zu den
südlichen Küstenfelsen und auf die vielfarbigen Gesteine
unter dem Cerro Amarillo. Auf dem Rückweg zu der Armada-Niederlassung
begegnen wir dem sehr sympathischen Kellner Patricio Solis mit
dem Fahrrad. Nachmittags haben sie frei, und da wird von den
meisten Sport getrieben. Er begleitet uns gerne zu Fuss und
erklärt uns einiges über die Maskenmöwen: sie
kommen nur hier auf San Felix und auf den Galapagos vor, denn
sie migrieren im Winter zu den Galapagos. Feinde haben sie hier
keine. Sie leben monogam und das Weibchen legt zwei Eier. Sobald
das erste Kücken schlüpft, wird das zweite Ei aus
dem Nest gestossen und nicht mehr ausgebrütet. Eben sehen
wir ein Junges neben seiner Mutter stehen. Es ist grösser
als sie und wir können recht nahe heran, ohne dass sie
Angst haben. Patricio hat heute Geburtstag und wird 32 jährig.
Er ist Vater von drei Kindern, das älteste ist bereits
10 jährig. Er ist das erste Mal hier auf der Insel und
wird in den nächsten zwei Jahren abwechslungsweise drei
Monate hier und drei Monate auf dem Festland Dienst tun. Am
meisten vermisst er - wie übrigens die andern Männer
auch - die Familie. Nur Männer, die einen psychologischen
und praktischen Test der Armada bestehen, werden hierhin in
die Einsamkeit geschickt. Viele lockt auch die finanzielle Zulage.
Unter einander haben sie es gut, wie wir es auch zu spüren
glauben. Bei den Häusern angelangt, warten wir draussen
auf die Männer, die fischen gingen und plaudern. Da kommen
sie zurück mit mehr als 20 grossen Vidriolas (sehr guter
Speisefisch). Vom fahrenden Schlauchboot aus haben sie die in
etwa einer Stunde geangelt! Ein Teil wird gegessen, der andere
eingefroren und dann mit nach Hause aufs Festland gebracht.
Colonel Masman hat darauf bestanden, dass wir wieder mit ihnen
essen. Diesmal sind wir alle am langen Tisch im Mannschaftshaus,
stossen auf Patricios Geburtstag an und plaudern noch bis nach
Mitternacht, bis wieder eine Delegation unter Colonel Masman
uns zu CASIMU zurückbringt. - Hans verarbeitet am nächsten
Tag das Fotomaterial, druckt Fotos für die Männer
aus, brennt eine CD für die Mannschaft, während ich
den dreitägigen Fisch zu Ragout koche. Heute müssen
wir mal an Bord essen! Wieder werden wir abgeholt und während
Hans sich mit den Computerangelegenheiten im Mannschaftshaus
zu schaffen macht, spaziere ich - natürlich in Begleitung
eines Armada-Angehörigen - an den Vogelkolonien vorbei
zum schwarzen Sandstrand. Die drei Schäferhunde kehren
eben nass und schwarz von Sand zurück, begleiten uns aber
spielend und rennend zu den Brechern. Auch die Abuela (Grossmutter)
rennt mit den beiden Grosstöchtern um die Wette. Ich hatte
immer das Gefühl, dass Hunde nichts alleine unternehmen.
Das ist wohl bei "Einzelkindern" der Fall, was ja
eigentlich wider die Hundenatur ist. Diese drei amüsieren
sich den ganzen Tag zusammen! - Für Samstag haben wir die
Männer zu einer Segelfahrt auf CASIMU eingeladen. Morgens
hat es enormen Schwell der sich gegen die schwarzen Felsen bricht
und ich fürchte, dass das Schlauchboot unter diesen widrigen
Umständen nicht gewassert werden kann und aus der Spritzfahrt
nichts wird. Doch am Nachmittag beruhigt sich das Meer etwas
und wir segeln mit voll besetztem Cockpit rund um die imposante
Catedral.
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Junge Maskenmöwe mit Mutter |
CASIMU umrundet die Catedral |
Unterwegs steige ich aufs Schlauchboot um, damit endlich mal
Fotos von CASIMU unter Segel geschossen werden können.
Nach einer allgemein genossenen Fahrt unter Segel essen wir
am Ankerplatz noch z'Vieri. Der Schwell schäumt wieder
mächtig gegen die Felsen, so dass die Männer einen
geeigneten Zeitpunkt zum Landen und Auswassern des Bootes abpassen
müssen. Wir verabschieden uns herzlich von einander, denn
morgen Sonntag, den 18. Januar, wollen wir nach den Marquesas
weitersegeln.
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Abendstimmung im Pazifik |
Unsere Passatbesegelung: Blister und Genua |
26. Janauar 2004 Heidi Brenner |
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